In der letzten poetischen Version seines literarischen Lebensthemas schildert Tolkien Earendils Passage durch das Tor der Nacht. Christopher Tolkien nimmt an, und dies deckt sich mit meinem Eindruck, dass dieses Gedicht allen Abrissen und Notizen zum Earendil-Motiv vorausging. Wie sich weiter zeigen wird, enthält es bereits alle Merkmale der Märchensaga Earendil, die auch in ihrer weiteren Bearbeitung durch Tolkiens kontinuierliche Umdichtungen und Neuerfindungen dieser Erzählung weder an poetischer Dichte noch an narrativer Qualität verlieren konnte.
Schon allein aus diesem Grund lohnt ein vollständiges Zitat (Hervorhebungen HWJ):
Éarendel stieg auf aus der Schatten Flut
Am stummen Meeresrand;
Durch den Schlund der Nacht wie ein Strahl von Licht,
Wo schroff und düster das Uferland,
Stieß seine Barke wie ein Silberfunke
Vom letzten und einsamen Strand;
Mit der sonnenhellen Brise des sterbenden Tags
Segelte er weg vom Westerland.
Er suchte den Weg sich auf der Spur
Des Strahls, den die Sonne nährt,
Und trieb vorbei am nahen Stern
In seinem schimmernden Gefährt.
Auf der schwellenden Flut des Dunkels fahren
Des Himmels große Galeeren,
Und schmücken die Nacht mit Segeln aus Licht,
Wenn den wandelnden Stern sie queren.
Er zieht an den blinkenden Schiffen vorbei,
Unbeirrt, von unbänd´ger Reiselust gequält,
Auf endloser Fahrt durch den dämmrigen Westen
Bis über den Rand der Welt;
Und er durcheilt voll Unrast die blitzende Weite
Und das Dunkel, aus dem er stammt,
Das Herz erfüllt von heißem Verlangen
Und das Antlitz silbern umflammt.
Das Schiff des Mondes naht rasch von Osten
Vom Hafen, wo die Sonne wohnt,
Dessen weiße Tore im kommenden Strahl erglänzen,
Wenn riesig kommt der Mond.
Sieh! Schwellende Wolkensegel gehißt,
Lichtet er den Anker, wo tief es dämmert,
Und mit schimmerndem Rudern verlässt er die Flammenufer
In der Barke, aus Silber gehämmert.
Da wich Earendel vor dieses Schiffers Schrecken,
Hinaus aus der dunklen Erde Feld
Und unter den Rand zurück des trüben Meers,
Und setzte Segel hinter der Welt;
Und er vernahm den Frohsinn des Erdenvolks,
Und hörte die Tränen fallen,
Als die Welt in Wolkentrümmern versank
Auf seiner langen Fahrt.
Dann zog er schimmernd durch die sternlose Weite
Wie ein einsames Licht auf dem Meer
Und, unsichtbar für sterbliche Menschen,
Zog er einsam kreuz und quer,
Folgt in seiner Galeone der Sonne Spur
Durch das weglose Firmament,
Bis in kalten Tiefen sein Licht sich mindert
Und seine heiße Flamme nicht mehr brennt.1
Das Buch der Verschollenen Geschichten (ab 1917), das Tolkiens erste zusammengefasste Version seines Legendariums ist, und in denen er erstmals versucht, das Earendil-Motiv prosaisch ausgearbeitet zu präsentieren, enthält lediglich eine kursorische, nicht ausgereifte Fassung dieser Erzählung. Tolkien präsentiert Earendil mehr im Rahmen einer Materialiensammlung, als dass er das Motiv des Seefahrers und Botensterns in eine geschlossene narrative Form gegossen hätte.2
Auch das spätere Earliest Silmarillion aus dem Jahr 19263 streift Earendil nur am Rande; der kulturelle Wandel Beleriands und die prototypischen Helden Tolkiens, Beren, Tuor und Túrin, die den Notwendigkeiten ihrer Zeit eher ungenügend vorbereitet, aber heroisch, begegenen, stehen im Fokus der Ereignisse. Tolkien bringt in dieser Fassung der Quenta Silmarillion Gestalt und Funktion Earendils als rationale Schilderung auf den Punkt, die mythische Dimension des Motivs, die das Earendil-Gedicht auszeichnet, tritt dabei in den Hintergrund; die prosaische Version verliert ihr Geheimnis. Die eigentliche Bedeutung, die Earendil für Tolkien besaß, erfährt der Leser in diesem Text nicht mehr. Er entnimmt den kursorischen Bemerkungen lediglich, dass Earendil sein Schicksal der Verstirnung mit berühmten griechischen Heroen teilt, beispielsweise mit Herakles, den Dioskuren Kastor und Pollux oder Cheiron. Und er erfährt auch, wie Tolkien sich eine Katasterisation vorstellt, die mythische Helden als Sternbild an den Himmel versetzt.
Es gibt in dieser Zeit weitere mysteriöse Ereignisse, die mit der Persönlichkeit Earendils verbunden sind, und die in einem alliterienden Fragment überliefert werden, das Tolkien während seiner Zeit an der Universität in Leeds geschrieben hat. Später erhielt dieses Gedicht den Titel The Lay of the Fall of Gondolin. Die alliterierenden Verszeilen schildern das endgültige Schicksal Earendils, in ähnlich mysteriösen Worten wie sie schon aus den Versionen in den Verschollenen Geschichten bekannt sind:
who passed the Gates of Dread,
half-mortal and half-elvin, undying and long dead.4
Ein knapper Kommentar von Christopher Tolkien zu diesem Gedicht weist darauf hin, dass die Gates of Dread mit den Toren der Nacht am Rande der Welt identisch sind. In A New Star Is Risen Up In The West habe ich die fiktive Geographie Tolkiens ausführlich beschrieben, um nachvollziehbar zu machen, wo sich Earendil aufhält, nachdem er mit dem Silmaril an der Stirn, die Ozeane des Himmels befährt. Manches habe ich dort schon erörtert, was in den beiden Zeilen aus dem Gedicht The Lay of the Fall of Gondolin erneut anklingt, das nun erklärt werden muss.
Verstreute Hinweise und Anmerkungen Tolkiens bezeichnen den Aufenthaltsort Earendils unmissverständlich: Er kreuzt in Ilmen, dort wo die Sterne sind. Ilmen unterscheidet sich von the upper of the stars [Vista] or the outer [Vaiya]; dorthin setzten ihn die Valar, den Edain ein Zeichen, als mythische Katasterisation.5 Und nach dorthin sehen die Edain hoffnungsvoll, zu dem, der einen der Silamril auf der Stirn trägt. Tolkiens Earendil-Version schließt damit, dass Earendil über die Schranke am Rand der Welt (über die Ilurambar) hinaus, auf die Ozeane des Himmels (Ilmen) fährt, um die ganze Welt (ae. middangeard, d.i. Mittelerde), nicht das Universum, zu überblicken.6 Es ist allerdings nicht einleuchtend, wie im Buch der Verschollenen Geschichten geschildert, dass er dabei die Tore der Nacht (Ando Lómen) durchquert, denn dann würde er in die Äußere Leere (Kúma) gelangen, in der nichts jemals ist, und die Kreise der Welt (Arda: zunächst die flache, dann den runden Globus) verlassen. Melkor-Morgoth, der gefallene Valar, wurde nach seiner Fesselung nach der letzten Schlacht in die äußere Leere (Kúma) verbannt. Er musste dazu die Pforten aus der Welt hinaus passieren, während Earendil innerhalb der Welt (Arda) bleibt.
Im Earliest Silmarillion verweilt Earendil in den Grenzen von Ilu (später Ilmen: Äther, Himmel), wenn auch die outer darkness, in die er hinausfährt, die Äußere Leere suggeriert:
Eärendel´s boat is drawn over Valinor to the Outer Seas, and Eärendel launches it into the outer darkness high above Sun and Moon.7
Während die vorausgehende Stelle aus dem Earliest Silmarillion noch Zweifel daran lässt, wo Earendil seine Bahn zieht – in the Outer Seas [d. i. Vaiya] oder the outer darkness, so ist die entsprechende Stelle in der Qenta Noldorinwa, oder Pennas-na-Ngoelaidh, eindeutig:
[...] and she (Elwing; HWJ) devised wings for the ship of Eärendel, and it was lifted even into the oceans of the air. Marvellous and magical was that ship, a starlit flower in the sky, bearing a wavering and hol flame; and the folk of earth beheld it from afar and wondered, and looked up from despair, saying surely a Silmaril is in the sky, a new star is risen in the West.8
Earendil, mit dem Silmaril auf der Stirn, a new star [...] risen up in the West, kreuzt in seinem Schiff Vingilot die Ilmen-Sphäre, a starlit flower in the sky, denn in dieser befinden sich die Sterne. An anderer Stelle der Earendil-Studie habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Himmelskörper (mit Ausnahme der Sonne) in Ulmos Reich verweilen, den Wassern Ulmos ihr Licht spenden. Aber Ulmo mischt Ilmen und Vaiya und sendet diese Mischung hinauf auf die Erde, sodass die Gewässer das Licht der Himmelskörper am Firmament enthalten.9 Möglicherweise bedeutet das, Earendil kreuzt die drei Sphären von Ilu, daran lassen auch die Flügel der Seevögel, deren Reich Aiwenóre (Vogelheim) ist, und die Vingilots luftige Reise ermöglichen, denken: Ilmen, die Region der Sterne, Vista, das Reich der Vögel, und Vaiya, das umzingelnde Meer (die Outer Sea). In Aus der Akasha Chronik beschreibt Rudolf Steiner ähnliche Sphären, nämlich eine Lufthülle, die die Erde umschließt und die viel dichter sei als die gegenwärtige. Von einer solchen Atmosphäre ist dann denkbar, dass, wegen der größeren Dichte der Luft, Earendils Schiff in ihr segeln kann.10
In den verschiedenen Versionen des Quenta Silmarillion-Projekts hat Tolkien die oben ausführlich erörterte Cynewulf-Stelle als narratives Motiv der Earendil-Saga aufgegriffen. Im Verlauf vielfältiger Überarbeitungen veränderte Tolkien dann das Cynewulf verdankte Motiv. In der frühesten, noch sehr skizzenhaften Fassung des Silmarillion hat diese Stelle noch nicht die symbolische Dichte der späteren Versionen angenommen, die der deutlicher herausgearbeitete Charakter Earendils und seiner narrativen Funktion später erforderte. Zu Beginn richtete Tolkien seinen Fokus noch auf einen Earendil, der als neuer Stern am Firmament erscheint:
Eärendel´s boat is drawn over Valinor to the Outer Seas, and Eärendel launches it into the outer darkness high above Sun and Moon. There he sails with the Silmaril upon his brow and Elwing at his side, the brightest of all stars, keeping watch upon Morgoth.11
In allen weiteren Versionen der Quenta Silmarillion ist Earendil dann der Stern, der den Menschen als Zeichen der Hoffnung erscheint:
Now when first Vingilot was set to sail on the seas of heaven, it rose unlooked-for, glittering and bright; and the folk of earth beheld it from afar and wondered, and they took it for a sign of hope. And when this new star arose in the West, Maidros said unto Maglor: ´Surely that is a Silmaril that shineth in the sky?´ And Maglor said: ´If it be verily that Silmaril that we saw cast into the sea that riseth again by the powers of the Gods, then let us be glad; for its glory is seen now by many, and it yet secure from all evil.´ Then the Elves looked up, and despaired no longer; but Morgoth was filled with doubt.12
Der Weg durch die Tore der Nacht ist den Ethnien Mittelerdes versperrt; nur die Valar können ihn ungehindert und jederzeit passieren, oder darüber entscheiden, wer diese Grenze überquert und Mittelerde verlässt.13] Und bevor die Elben und Menschen von Earendil erzählen konnten, er sei in ihrem Auftrag als ihr Botschafter nach Kôr und Valinor gereist, machten ihn die Valar zum Wächter an der Pforte der Nacht: the brightest of all stars, keeping watch over Morgoth.14 Am Ende der Tage jedoch, so lautet eine Prophezeiung bezüglich der finalen Schlacht des Guten gegen das Böse, wird Melkor durch die Tore der Nacht zurückkehren nach Arda: but one day he will find a way back, and the last great uproar will begin before the Great End.15 Über das Endschicksal Ardas, die Eschatologie in Tolkiens Werk, sein Ragnarök, berichten bereits die Verschollenen Geschichten:
Bevor das Große Ende kommt, wird Melko auf irgendeine Weise einen Streit zwischen Sonne und Mond entfachen, und Ilinsor wird versuchen, Urwendi durch das Tor zu folgen, und wenn sie draußen sind, werden die Tore des Ostens und Westens zerstört werden und Urwendi und Ilinsor verloren gehen. So wird es geschehen, das Finowe Úrion, Sohn Manwes, aus Liebe zu Urwendi am Ende Melkos Verhängnis werden wird, und er wird die Welt zerstören, um seinen Feind zu vernichten, und so werden alle Dinge zunichtegemacht werden.16
Earendil erwirbt sich durch diese Passage besondere Eigenschaften: wer sie durchquert, kann der Welt und dem Tod entfliehen. Durch seine Abstammung ist er einer der Pereldar (ein Halb-Elb), durch seine Erhebung in die Ozeane des Himmels ist er, obwohl gestorben, unsterblich geworden. Im Earliest Silmarillion erzählt Tolkien erstmals von Elrond, dem Sohn von Earendil und Elwing, der wie sein Vater ein Pereldar ist. Im Silmarillion heißt es über ihn, dass er darauf verzichtet hat, nach Valinor zu gehen:
In Mittelerde lebte auch Gil-galad, der Hohe König, und bei ihm war Elrond, der Halb-Elb, der sich dafür entschied, wie ihm gestattet worden, unter die Eldar gezählt zu werden; Elros, sein Bruder, aber wählte das Leben unter den Menschen.17
Die Wahl, die Earendils Söhne hatten, entsprach der Entscheidung zwischen dem half-mortal and half-elvin des Gondolin-Gedichtes. Während Elrond, der auch im Dritten Zeitalter noch die Geschicke Mittelerdes beeinflusst, sich für die Unsterblichkeit der Eldar entschied, und darin seinem Vater folgte, wählte sein Bruder die Sterblichkeit der Edain. Als aber die Elben nach dem Untergang von Beleriand nach Westen zurückkehrten, entschied sich Elrond zu bleiben, da ihn die sterbliche Seite seiner Persönlichkeit an Mittelerde band.18
In seinem Status des für irdische Verhältnisse außer Funktion Gesetzten gleicht Earendil seinem matrilinearen Ahnen Beren, der gestorben, von Lúthien aber aus Mandos zurückgeholt, wieder auf der Erde leben konnte. Lúthien musste dieser Tat wegen ihre eigene Unsterblichkeit aufgeben, Beren auf die Kommunikation mit anderen Sterblichen. Im Herrn der Ringe verlässt auch Elrond Mittelerde und kehrt in den Westen zurück. Tolkien lässt Arwen, Elronds Tochter, Lúthiens Schicksal wiederholen, indem sie sich an Aragorn, den sterblichen Menschen Númenors bindet. Während alle anderen Protagonisten der vier Zeitalter Mittelerdes zuletzt ihren Platz finden, bleibt es Earendils Schicksal, der rastlose Wanderer zu bleiben, der er sein Leben lang gewesen ist und der er nun, da er lebend die Pforten der Nacht durchschritten hatte, für alle Ewigkeit bleiben muss. Seine Katasterisation hebt ihn über jegliches menschliche und elbische Maß hinaus; im Wortlaut der griechisch-lateinischen Mythologie erwirbt er den Status eines Halbgottes. Was die Unsterblichkeit, das Privileg der Götter, betrifft, lassen die antiken Mythologien der Indoeuropäer, ob Griechen oder Germanen, nur diese eine Ausnahme zu. Wer in den Hades (Hel) gekommen ist, den behält der Totengott. In Griechenland bestraft Zeus den Askleipios, der mit Hilfe des Blutes der Medusa Tote zum Leben erweckte, tritt als strafender Richter auf, da die Tat des Askleipios doch Plutos Rechte verletzt und gegen die Ordnung des Universums verstößt. Gegenüber Asklepios übernimmt Zeus, für seinen Bruder, die Funktion des Wahrers des Rechts des Hades, schützt also das Recht der Toten, um das Recht auf Leben wahren zu können. Und Hel behält, trotz aller Bemühungen der Æsir, Óðinns Sohn Baldr wie er auch Eurydike behält. In Mandos, Tolkiens Gegenentwurf zur antiken Unterwelt, scheinen Ausnahmen aufgrund besonderer Verdienste oder besonderer Erfordernisse gelegentlich möglich. Als die Eldar in Cuiviénen erwachten, erinnerten sich die Valar daran, dass ihre Aufgabe darin bestand, die Ordnung der Welt (Natur) für die Kinder Ilúvatars zu bewahren und zu sichern. Um dies zu gewährleisten, führten sie den ersten Krieg gegen Melkor (Morgoth), nahmen ihn gefangen und brachten ihn nach Mandos:
Morgoth the Gods drew back to Valinor in chains, and he was set in prison in the great halls of Mandos, from which none, God, Elf, or Men has ever escaped save by the will of the Valar.19
Und weil es Morgoth erlaubt wurde, Mandos wieder zu verlassen, konnte er die Noldor um Feänor verführen, die Zwei Bäume zerstören und die Silmaril rauben, von denen Varda prophezeit hatte:
The fate of the Elves is locked herein, and the fate of many things beside.20
Und auch Isildur brachte es nicht fertig, den Einen Ring zu zerstören, als er die Gelegenheit dazu hatte, denn dass Böse, wie der Tod, ist Teil der Welt und kann nicht für immer aus ihr verbannt werden. Aber es verstößt auch gegen die Ordnung der Natur, dass wer tot ist, als solcher in der Welt der Lebenden bleibt oder in sie zurückkehrt, es sei denn er wird verändert wiedergeboren. Alle Zurückgekehrten, ob Beren, Lúthien oder Earendil, fallen aus der normalen Ordnung des Kosmos heraus; und sie werden einsam unter den Menschen und Elben, zu Gestalten von Mythos, Sage und Märchen, ihres außergewöhnlichen, menschliches Maß übersteigenden Lebens, ein Leben, dass oft die Hybris streift.
Das abschließende Kapitel des Earliest Silmarillion erwähnt die Erneuerung Ardas und das Gericht der Valar am Ende der Tage. Dort wird berichtet, was mit Earendil und den Silmaril geschieht:
And thus it was that the last Silmaril came into the air. The Gods adjudged the last Silmaril to Eärendel – ´until many things shall come to pass´ - because of the deeds of the sons of Fëanor. [...] and with the aid of the Silmaril Elwing is found and restored. Eärendel´s boot is drawn over Valinor to the Outer Seas, and Eärendel launches it into the outer darkness high above Sun and Moon. There he sails with the Silmaril upon his brow and Elwing at his side, the brightest of all stars, keeping watch upon Morgoth.21
Dass Earendil mit Vingilot von den Valar an den Himmel erhoben wurde, erzählt Tolkiens erstmals in der Qenta Noldorinwa, und zwar in der verbesserten Fassung (der Quenta II). Earendil und Elwing trennen sich bei der Ankunft an der Feenküste; Earendil betritt den Strand allein und lässt seine Begleiter auf dem Schiff zurück.22 Elwing nutzt dann später, als ihr Mann nicht zurückkehrt, die Flügel der Seevögel um Earendil zu folgen, was ihr aber misslingt, sodass sie
are sundered till the end of the world.23
In der eschatologischen Perspektive des 18. Kapitels des Earliest Silmarillion wird Elwing mit Hilfe des einen Simaril wiedergefunden und geheilt. Wie dies geschieht, erfährt der Leser nicht. Auch die Verschollenen Geschichten verschweigen, dass Earendils Glanz von einem der Silmaril herrührt; es entsteht vielmehr der Eindruck, dass er von dem Diamantenstaub herrührt, der in Kôr seine Kleidung imprägnierte. Die besondere Bedeutung der Silmaril zeichnet sich mit der Darstellung im Earliest Silmarillion erst allmählich ab; damals war dieses Motiv erst in Anmerkungen spürbar.24 Die Vorstellung, dass der Silmaril den Earendil auf der Stirn trägt, und den Beren und Lúthien aus Morgoths eiserner Krone zurückgewannen, der Morgenstern sein könnte, entwickelte sich erst in der Quenta II genannten, verbesserten Fassung der Qenta Noldorinwa:
In S and Q I Eärendel does not yet bear a Silamril when he wanders the sky as a fugitive star (for the Silamril of Beren is drowned with the Nauglafring, and the others are still in the Iron Crown of Morgoth; whereas in Q II it is at this time that the Silmaril appears in the sky and gives hope to the people of the Outer Lands.25
In der Version der Verschollenen Geschichten kreuzte Earendil schon die Ozeane des Himmels, bevor er einen der Silmaril von den Valar erhielt. Die beiden frühen Versionen der Earendil-Saga, in den Verschollenen Geschichten und dem Earliest Silmarillion, berichten nur, dass zwei der Silmaril verloren gingen: einer versank mit Elwing im Meer, den anderen warf Maglor in eine feurige Erdspalte. Den dritten Silmaril nahm Fionwë nach der letzten Schlacht in Verwahrung, sodass es nur dieser sein kann, den Earendil auf seiner Fahrt am Firmament (Luft) auf der Stirn trägt. Dies ist der einzige Silmaril, der sichtbar blieb.
Schon in vier seiner frühen Gedichte26 charakterisiert Tolkien Earendil durch die charakteristischen Persönlichkeitsmerkmale, die bereits oben erwähnt wurden: Unrast und Reiselust mit feuriger Neugier im Herzen (VG II.351) und mit strahlendem Glanz im silbern umflammten Antlitz (VG II.349). Im Herrn der Ringe ist der Sternenglanz seiner Persönlichkeit, der Earendil ins Antlitz geschrieben ist, sein hervorragendster Zug. In der ursprünglichen Version erscheint Earendil allerdings bescheidener konzipiert als der rastlose Seefahrer, den seine Sehnsucht nach dem Meer und den Westlichen Landen kennzeichnet, unbeirrt, aber von unbändiger Reiselust gequält.27 Diese Merkmale besitzen auch die Elbenfreunde, die die Nachfolger Earendils sind: Eriol und Ælfwine. Das frühe Earendil-Gedicht, Die Bitte an den Sänger, stellt diesen Charakterzug des Wanderes, ganz anders als Die letzte Reise von Earendel, in den Vordergrund seiner Persönlichkeit und Motivation seiner Handlungen:28]
Sing uns ein Lied vom ewig nach dem Meere Begehrenden,
Ehe das Licht sich wandelte, von den Eldar gemacht,
Einen rauschhaften Zauber verspinnend und einen verzehrenden
Durst nach Gischt und den Düften der Nacht;
Von raunendem Dämmer abends auf fernen Ozeanen;
Von seinem Schiff, verankert in rollender See an Inseln, verloren
Auf nie schlafender Wellen endloser Dünung Bahnen,
Vor gebauschten Segeln, wenn ein Wind ward geboren,
Und dem Murmeln tropischer Wasser, die nie schlafen,
Sondern wohltönend unter dem runden Kiel erklingen.29
Erst im Silmarillion ist Earendil dann ganz der Strahlende,30 und erst dort erhält er das Epitheton, das ihm seiner Herkunft aus der nordischen Mythologie wegen zusteht.
Die Auswertung relevanter Textstellen der Earendil-Saga erreicht hier ein vorläufiges Ende. Earendil hat seine Identität preisgegeben: In Tolkiens Legendarium ist er der hellste der Sterne hoch oben am Himmel, die Freude, Orientierung und Hoffnung der Elben und Menschen. Er ist:
The last of the light, the star Eärendil, which is the only Silmaril remaining above ground, appears to the sight of those in Middle-Earth at morning and at evening, times of changing light. No longer a pervasive presence, the light has become only a remainder and a promise, a sign of what was and what yet may be.
This final splintering is the result of the last great act of sub-creation in Tolkien´s world. Out of the mingled gold and silver light of the two Trees Laurelin and Telperion, the great Noldorin smith Feänor creates the three Silmarils. These jewels then become the focus for all the desires, impulses, and conflicting emotions that Tolkien sees as responses to light. At the same time they function as the prism for the refraction and diffusion of those responses. They are the crux, the center to which everything that will come after flows. Light and dark, positve and negative, good and ill – all the opposites come together in the multiple effects of the Silmarils, the last splinters of the light.31
Verlyn Flieger erinnert mit diesen Sätzen daran, dass alles, was nach Melkors Frevel von den primordialen Bäumen Valinors erhalten blieb, dieser eine Silmaril ist, den Earendil auf der Stirn trägt, das letzte reine Licht der Valar, das sichtbar blieb. Dieses Licht, auch daran habe ich in dieser Studie erinnert, steht Frodo und Samweis auf ihrer unmöglichen Queste bei: von Galadriel geschenkt, wird es in Kankras Höhle ein Impuls der Hoffnung in höchster Not. In dieser gemeinsamen Auffassung von Éarendel-Aurvandillr-Earendil überschneiden sich Tolkiens fiktionale Imagination und die altgermanischen Mythenabbrevationen. Die Texte beider Gattungen, der mythischen und der literarischen, beide gleichermaßen fiktional, konzeptionalisieren den Gedanken der Notwendigkeit eines außermenschlichen Leitbildes, eines Sterns, eines Erlösers oder eines heldenhaften Menschens, dessen vergangene Taten in der Gegenwart Orientierung bieten und Identität stiften und bewahren helfen.
Weiter lesen: Earendils letzte Fahrt
Anmerkungen
1 Tolkien, VG II.349-350.
2 Tolkien, VG II.332-357.
3 Tolkien, HME IV.11-75. Für die Earendil betreffenden Abschnitte vgl. für die Erzählung: 36-38 (Herkunft, Geburt, Migration, Heirat mit Elwing), 41 (Earendil erhält den Silmaril und erreicht die Ozeane des Himmels) und für die Kommentare: 68-71 (Earendils Schiff und Reisen, Earendil als fugitive star), 74 (Earendil als messenger).
4 J.R.R. Tolkien, The Lays of Beleriand, The History of Middle-Earth, Volume III, London, 1994:149 [HME III].
5 Vgl. auch Altgermanische Katasterisationen.
6 Er erreicht die Schranke am Rand der Welt und fährt hinaus auf die Ozeane des Himmels, um die Welt überblicken zu können. Der Steuermann des Mondes jagt ihn wegen seiner Helligkeit, und er taucht durch das Tor der Nacht (Tolkien, VG 2.335). Und VG 2.342-343: Er ließ Taniquetil und sogar Valinor hinter sich und trieb seine Barke über die Schranke am Rand des Welt und fuhr mit ihr hinaus auf die Ozeane des Himmels.
7 Tolkien, The Earliest ´Silmarillion´ (The ´Sketch of Mythology´), HME, IV.41.
8 Tolkien, The Quenta, (§ 17 in Quenta II version) HME, IV.154.
9 Tolkien, Ambarkanta, HME, IV.236-237.
10 Dies ist nur eine der vielen Stellen in Tolkiens Werk, die daran denken lassen, dass Tolkien die anthroposophischen Theorien Steiners gekannt haben könnte. Es ist bekannt, dass sich einer der Inklings, Owen Barfield, mit der damals neuen Anthroposophie auseinandersetzte und seine Eindrücke im Kreis der Inklings referierte. Ob Tolkien bei diesem Treffen anwesend war, ist nicht bekannt, aber gut möglich. Eine eigenständige Untersuchung wäre sicherlich lohnend.
11 J.R.R. Tolkien, The Earliest ´Silmarillion´ (The ´Sketch of Mythology´), HME, IV.41.
12 J.R.R. Tolkien, Quenta Silmarillion, HME, V.327-328. Ebenfalls Tolkien, The Quenta, HME, IV.154-155. Vingilot ist Earendils Schiff.
13 Die Tore (oder Pforten) der Nacht errichteten die Valar als Reaktion auf die Rebellion der Noldor: Dort steht es noch, tiefschwarz und riesig gegen die dunkelblauen Mauern. Seine Säulen bestehen aus stärkstem Basalt und sein Sturz ebenso, doch große Drachen aus schwarzem Stein sind dort herausgemeißelt, und ihren Mäulern entströmt langsam wesenloser Rauch. Die Flügel dieses Tores sind unzerbrechlich, und niemand weiß, wie sie gemacht oder eingesetzt wurden, denn den Eldar war es nicht gestattet, dieses erhabene Bauwerk zu schauen, und es ist das letzte Geheimnis der Götter; und kein Angriff aus der Welt kann dieses Tor bezwingen, welches sich nur dem mystischen Wort öffnet; dieses Wort kennt allein Urwendi (Hüterin von Laurelin – einer der Bäume Valinors - und Herrin der Sonne; HWJ) und außer ihr nur Manwe, der es ihr sagte; denn außerhalb des Tores der Nacht ist die äußere Dunkelheit, und wer sie durchquert, kann der Welt und dem Tod entfliehen und Dinge hören, die nicht für die Ohren der Erdbewohner bestimmt sind, und dies darf nicht geschehen (VG I.304-305). Earendil benötigte die Genehmigung der Valar (und insbesondere die Manwes), diese Grenze zu überschreiten. Es bleibt ein unausgeräumter Widerspruch, wie Earendils (als Stern) die äußere Leere durchquert, denn diese befindet sich jenseits der Pforten der Nacht, während die Sterne in der Konzeption Mittelerdes sich generell in der obersten Schicht der Atmosphäre (Vaitya) befinden.
14 J.R.R. Tolkien; The Earliest Silmarillion, HME IV.41. In the present version (J.R.R. Tolkien, Das Silmarillion, Stuttgart, 1999 [SIL.deutsch]; HWJ), Eärendel has still not come to his supreme function as the Messenger who spoke before the Powers on behalf of the Two Kindreds (HME IV.74).
15 Tolkien, HME IV.73.
16 Tolkien, VG I.310.
17 Tolkien, SIL.345.
18 Tolkien, HME IV.38 und 70.
19 Tolkien, HME IV.84.
20 Tolkien, HME IV.88.
21 Tolkien, HME IV.41.
22 There Eärendel and Elwing bade farewell to the companions of their voyage, and were taken from them forever; but Elwing did not even so accompany Eärendel to Tirion (HME IV.197-198).
23 Tolkien, HME IV.197.
24 So lautet eine Anmerkung in Notizbuch C: Was wurde aus den Silmaril nach der Einkerkerung Melkos? Damals, so schreibt Christopher Tolkien, gab mein Vater keine Antwort; doch die Frage selbst legt Zeugnis davon ab, welch relativ geringe Bedeutung die Silmaril Feänors hatten; sie zeigt jedoch, daß er sich vielleicht dessen bewußt war, daß sie in der Myhtologie eine zentrale Rolle spielen könnten (VG II.339-340).
25 Tolkien, HME IV.197.
26 Tolkien, VG II.348-356.
27 Tolkien, VG II.349.
28 Tolkien, VG II.346.
29 Tolkien, Die Bitte an den Sänger, VG II.351.
30 Tolkien, SIL.deutsch.333. In HME IV.151 verwendet Tolkien als Epitheton für Eärendel das Adjektiv bright (leuchtend, glänzend) in verwandter Bedeutung (151).
31 Flieger, Splintered Light, 97-99.
Weiter lesen: Earendils letzte Fahrt
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