Kulturwissenschaftliche Perspektiven in Robin Hobbs Kurzgeschichte Words Like Coins
Careless words are dangerous. To all.
You waste words on what you can’t change.
Robin Hobb
Vorbemerkung
Es ist interessant zu entdecken, welche Zutaten Robin Hobb mischt, um eine spannende Erzählung zu konstruieren, die ihre Leser*innen fesselt. In ihrer Kurzgeschichte Words Like Coins ist das Worldbuilding einfach und unspektakulär. Für die erzählte Welt reicht ihr ein Bauernhof mit seinen Wohnräumen und Nebengebäuden, ein austrocknender Brunnen und ein paar vertrocknete Felder. Die erzählte Zeit, eine Zeit der Dürre, drei Tage und zwei Nächte im Leben von drei Figuren unterschiedlicher Herkunft. Words Like Coins gehört nach einem Eintrag der englischen Wikipedia1 zu den Erzähltexten mit der die Autorin ihre Serie The Realm of the Elderlings begleitet, obwohl man auch anderer Meinung sein kann, denn die Bezüge zu den narrativen Motiven ihres Hauptwerks sind doch sehr dünn.2
Obwohl die Textoberfläche der Erzählung den Eindruck eines Märchens macht, handelt es sich um eine immersive fantasy wie Farah Mendlesohn sie definiert, jene Form der Fantasy, in der die erzählte Welt functions on all levels as a complete world. In order to do this, the world must act as if it is impervious to external influence [...]: it must assume that the reader is as much a part of the world as are those being read about.3 Der Thrill der Kurzgeschichte Words Like Coins besteht in der plötzlichen Verunsicherung der einfachen, beinahe langweiligen Alltäglichkeit des Lebens zweier Frauen auf einem einsamen Bauernhof, die durch den Einbruch das Fantastischen (Magischen) in ihren Grundfesten erschüttert wird.
Eine Kurzgeschichte hat meist einen personalen Erzähler und wird häufig im Präteritum erzählt. Allerdings gibt es keine feststehende Regel, die eine bestimmte Zeitform oder Erzählperspektive vorschreibt. Ebenso kann auch ein Ich-Erzähler oder eine auktoriale Erzählperspektive sowie das Präsens gewählt werden. Schon ein kurzer, inhaltlicher Überblick von Words Like Coins enthält alle Kriterien, die für eine Kurzgeschichte gefordert werden:
- Die anhaltende Dürre auf einem Bauernhof in Tilth (die Einheit des Ortes), eine der nördlichen Provinzen der Sechs Provinzen (Six Duchies), und der damit verbundene Wassermangel, zwingt eine weibliche Märchengestalt (pecksie) dazu, die unsichtbare (kulturelle) Grenze zu verletzten, und die Hexe Mirrifen um Wasser zu bitten, damit sie nicht verdurstet (etwas Außergewöhnliches verunsichert das Alltägliche).
- Zusammen mit der Krudhexe Mirrifen (der homodiegetischen Hauptfigur als Figur der erzählten Welt) lebt ihre schwangere Schwägerin Jami auf dem Bauernhof, während ihre Männer in Bocksburg (Buckkeep) nach Arbeit suchen. Jami hasst Pecksies, und ihre Haltung ihnen gegenüber ist von ethnozentristischen Vorurteilen und Fremdenfeindlichkeit bestimmt. Jami hält sie für schadenstiftende Gespenster, vor denen sie sich und ihr Kind schützen muss. Erst ihre eigenen Erfahrungen ändern zuletzt ihre Einstellung (der Konflikt, der schließlich zu einem Wendepunkt führt).
- Innerhalb weniger Tage (in einem relativ kurzen Zeitraum) gelingt es Mirrifen und der Pecksie die Regeln ihrer Koexistenz auszuhandeln (ein einziger Handlungsstrang) und ihre unterschiedlichen Wertvorstellungen zu verstehen und zu akzeptieren (ein zentrales Thema).
- Die Kurzgeschichte beginnt an einem Nachmittag mit dem unerwarteten Auftauchen einer Pecksie (ein abrupter Beginn) und endet mit der Übereinkunft gegenseitiger Akzeptanz (ein abruptes Ende).
1 Robin Hobb bibliography.
2 Robin Hobb, Words Like Coins, Subterranean Press, Burton, Michigan, Ebook, 2012, ohne Paginierung; erstmals veröffentlicht in Yanni Kuznia (ed.), A Fantasy Medley, Subterranean Press, Burton, Michigan, 2009.
3 Farah Mendlesohn, Rhetorics of Fantasy, Chap.2: The Immersive Fantasy, Wesleyan University Press, Middletown, 2008, Ebook, Pos. 1571-1706.
Wer zum Teufel sind Pecksies?
Die Figuren der Erzählung sind ein Lehrling der Magie (Hedge Witch Apprentice), ihre schwangere Schwägerin, ihre abwesenden Männer suchen in Buck (Buckkeep) Arbeit, sowie eine Pecksie, als Sprecherin ihres Klans. Die erzählte Welt ist das Herzogtum Tilth, im Norden und Landesinneren der Sechs Provinzen gelegen.
Ich weiß nicht, woran Robin Hobb gedacht hat, als sie für ihre Kurzgeschichte Words Like Coins ihren Antagonisten The Pecksie schuf, eine Figur mit einem mysteriösen Gattungsnamen, so fremd und unähnlich den Menschen, mit denen sie sich den Lebensraum teilt, sodass sie ihr keinen Eigennamen gab. Es ist gerade dieser Mangel, der meine Fantasie und Imagination weckt. Vielleicht will ich nicht allein wissen, was ein(e) Pecksie ist. Woher der Name kommt, der sich in keinem meiner Wörterbücher oder Lexika findet?1
Als ich noch ein Kind war, nahmen mich meine Eltern jeden Sonntag auf einen Spaziergang in den nahegelegenen Stadtwald mit. Am Rand des Walds, dort wo das Land (früher) über ausgedehnte Streuobstwiesen zum östlichen Stadtteil Hastenrath abfällt, liegt das Ausflugslokal Killewittchen. In meiner Kindheit war die Umgebung des Lokals mein liebster Ort der sonntäglichen Familienausflüge. Wahrscheinlich machten sich die Ausflügler über die eigenartige Bezeichnung des Lokals keine Gedanken. Sie wurde als der Name eines allgemein bekannten Orts, wie so vieles andere auch, kommentarlos hingenommen. Doch es gibt Höhlen dort, wo wir als Kinder spielten, während die Erwachsenen bei Kaffee und Kuchen die Ereignisse der Woche diskutierten. Ungesichert ist, ob diese Höhlen in der Altsteinzeit (8000 v.Chr.) bewohnt waren. Doch es gibt eine Sage von Bergbau treibenden »Zwergen«, den Killewittchen (kelt. cill, Höhle, Kuhle). Ausgesprochen hilfreiche und nachts tätige Elementargeister, ähnlich den Heinzelmännchen von Köln, Gnome, Kobolde oder Klabauter, die, wie ihre Kölner Vettern, vor ihrem endgültigen Verschwinden, so die Sage, die Bodenschätze, besonders die kostbaren Kalkspäte, mitnahmen.2
Sich Dinge und Zusammenhänge vorzustellen, die sich aus einem Wort ergeben, dass fremd und unvertraut, aber spannend, um nicht zu sagen, magisch klingt, ist ein schöner Zeitvertreib, ein imaginativer Pfad, der durch die labyrinthisch verschlungenen Windungen der Erinnerung führt. Die Namen Pecksie und Killewitchen sind solche Wörter, die man in keinem der üblichen Wörterbücher findet, und die uns unserer Fantasie überlassen. Vielleicht ist der Name Pecksie ein Kosename im Haushalt von Mary Shelley gewesen, der Erfinderin von Frankenstein, wundern würde es mich nicht. Vielleicht geht er auf Märchengestalten wie die Killewitchen zurück. Vielleicht hat ihn Robin Hobb auch aus ihren eigenen Imaginationen geschöpft. Ein Name jedenfalls, tauglich für eine Vielzahl von klanglichen Assoziationen, wie an der wortverwandte Name Schneewittchen.
Wenn auch die Erinnerung wenig verlässlich ist, das Wort Killewittchen habe ich nie vergessen. Und so erinnerte ich mich wieder an die Killewitchen, als ich Robin Hobbs Kurzgeschichte Words Like Coins las, in denen kleine Gestalten eine Rolle spielen, kleiner noch als Tolkiens Hobbits, mit a small gray face [mit] staring eyes [in der ungewöhnlichen] color of verdigris. The hands [...] disproportionately long. [...] Her bark cloth garments contrasted oddly with silvery gray skin. She was half the size of a cat, and thin. [...] Her bare feet were long and narrow. Mirrifen weiß anfangs wenig über Pecksies - I thought they were rare and kept to wild places - kennt nur die gängigen Vorurteile, und glaubt, they dressed in leaves, fur and feathers, and would thieve anything they could carry. They detested cats, and some pecksies had webbed feet. They were reputed to be dangerous, but she couldn`t recall why. Wäre Words Like Coins keine fiktionale Erzählung, sondern eine volkstümliche Überlieferung, dabei will ich nicht behaupten, dass die Autorin nicht aus einer solchen schöpft, dann gehören ihre Pecksies in die Gattung der Niederen Mythologie, die alle nicht-göttlichen Gestalten umfasst, von denen die Mythen erzählen, wie Zwerge, Riesen, Feen oder Kobolde. Sie werden zwar nicht verehrt wie Gottheiten, obwohl sie älter als die Götter sind, wird ihnen aber auch geopfert, damit sie wohlgesinnt bleiben, denn die Elfen (alfr) und Landwichte (landvættir; Wicht, wegan, sich bewegen), die in Island noch immer präsent sein sollen, waren einst für das Leben der Menschen von erheblicher Bedeutung.
Words like Coins ist eine fiktionale Erzählung nach dem Modell der Niederen Mythologie, in der Robin Hobb die Beziehung von zwei Frauen mit einer Pecksies thematisiert wird. Ein bekanntes Beispiel der deutschen Sage sind die Heinzelmännchen von Köln, »Hausgeister«, die nachts die Arbeit der Kölner Bürger verrichteten, während diese schliefen. Nachdem sie eines nachts aus Neugier bei ihrer Arbeit beobachtet wurden, verschwanden sie für immer. »There`s a lot they can`t do,« erzählt Mirrifens Schwägerin, »because they`re small. They can’t sweep, and one almost drowned in our washing tub. But they can fetch eggs and dust, tend the fire, do the sewing, bring vegetables from the garden, weed, and keep rats away.« Wie die Pecksies gehören Heinzelmännchen zur Gruppe der Kobolde, Wichtel und Zwerge, wie die niederländischen Kabouters, die Brownies im englischen Sprachraum, die Nisse in Norwegen und Dänemark sowie die Tomte in Schweden, die dort als Julenisse oder Jultomte, die Weihnachtsgeschenke bringen. Wie die Elfen Irlands zeigt sich ihre Präsenz im Feenstaub, den sie auf dem Boden oder den Gegenständen, die sie berühren hinterlassen: »Don’t you see those silvery smears on the edge? That’s pecksie dust! A pecksie has touched our milk bucket!« [...] »When she touched it, her fingertip came away smudged silver-gray, like the pecksie`s skin.«
1 Nicht zum ersten Mal führt eine Online-Recherche zu einem interessanten Fund, und ich stelle mir vor, dass Robin Hobb, vielleicht an einem regnerischen Nachmittag, als es nichts Besseres zu tun gab, auf die Website Pecksie and the Elf. What's in a Pet Name? gestoßen ist.
2 Hinter der Sage von den Killewitchen verbirgt sich der frühgeschichtliche, insbesondere der keltische und römische Erzabbau, der auch den Rohstoff für die römische Messingproduktion in Eschweiler lieferte.
Die Magie der Heckenhexen
Ohne die Präsenz von Magie ist eine Erzählung nicht Fantasy. Magie ist essenziell in Erzähltexten der Fantasy, und deshalb gibt es auch in Words Like Coins magische Praktiken, obwohl die nicht das wesentlichste Element dieser Kurzgeschichte sind. Der wichtigste Hinweis auf das Reich der Elderlings ist die Hedge Witch, die Heckenhexe, die in der deutschen Übersetzung der Tawny Man Trilogy den ungewöhnlichen Namen Krudhexe bekommen hat.1
Die Magie in Words Like Coins entspricht der ethnologischen Nomenklatur der magischen Praktiken. Die Hexerei, die Mirrifen und die Pecksie betreiben, widerspricht den ethnologischen Erkenntnissen, denn beide, anders als ihre realen Schwestern, sind beide positive Figuren, die sich für das Wohl ihrer Kunden engagieren. Schadenszauber oder schwarze Magie betreiben beide nicht. Die Magie Mirrifens oder der Pecksie besteht aus Zaubersprüchen (charms), die zusammen mit Perlen, Federn, Fell oder Kräutern, die zu einem Amulett verarbeitet werden, verwendet werden. Mit solchen Sprüchen werden die Eigenschaften dieser Gegenstände an die jeweilige Situation angepasst, um die gewünschte Wirkung zu erreichen. Die ethnologische Theorie spricht dann von analogischer oder sympathetischer Magie, da ähnliche Dinge ähnliche Qualitäten besitzen und sich gegenseitig beeinflussen können. Daneben beruht Kontaktmagie auf der Überzeugung, dass Gegenstände, die einmal miteinander in Kontakt standen, auch nach ihrer Trennung ihre Verbindung aufrechterhalten und sich über die Distanz hinweg beeinflussen. Die Ingredienzen (paraphernalia) aus denen ein Amulett besteht, das Ausrichten auf die Person (z.B. durch Handlesen wie in der Tawny Man Trilogy) oder eine bestimmte Kombination der Ingredienzen passen das Amulett an den Träger an.
Eine Heckenhexe besitzt Kenntnisse in niederer Magie, vergleichbar dem weiblichen Seiðr der Germanen in Abgrenzung zur männlichen Wortmagie des Galðr. Mirrifen ist nicht die einzige Heckenhexe in den Sechs Provinzen. In Diener der Alten Macht (dem ersten Band der deutschen Ausgabe der Tawny Man Trilogy), lernen die Leser*innen Jinna kennen, eine Krudhexe, die in Bocksburg ihr Gewerbe betreibt. Nach seiner Bekanntschaft mit Jinna erklärt FitzChicalric Weitseher den Leser*innen, was sie sich unter einer Krudhexe und ihrer Magie vorstellen müssen:
Anders als die Gabe ist für die einfachen Leute Krudmagie nichts, dem man mit Ehrfurcht oder Angst begegnen muss. Anders als die Alte Macht ist sie kein Makel, für den man hingerichtet wird. Die meisten Menschen betrachten sie mit einer Mischung aus Duldung und Skepsis. [...] Die Amulette, die sie [Jinna] ausgelegt hatte, steckten in den traditionellen Beutelchen aus farbigem Stoff: Rosa für Liebeszauber, Rot, um erkaltende Leidenschaft zu beflügeln, Grün für reiche Ernte und andere Farben, deren Bedeutung ich nicht kannte. Sie verkaufte auch Päckchen mit getrockneten Kräutern. Die meisten kannte ich, und sie waren korrekt beschriftet: Rotulmenrinde gegen Halsentzündung, Himbeerblätter gegen morgendliche Übelkeit und so weiter. Unter die Kräuter waren feine Kristalle gemischt, von denen Jinna behauptete, dass sie die Wirkung verstärkten. Ich vermutete Salz oder Zucker. In Tonschalen lagen polierte Scheiben aus Jade, Jaspis und Elfenbein, mit eingeschnittenen Runen für Glück, Fruchtbarkeit oder Seelenfrieden. [...] »Ich habe Amulette für den fruchtbaren Garten, für Jagdglück, für gesunde Kinder.«
Doch Jinna hat auch Amulette, die helfen, hinter das Äußere eines Menschen zu schauen:
Kaum hatte sie das Amulett aus der Hülle gezogen, [...] Ich selbst wich vor dem enthüllten Gebilde zurück. Kurze Holzstäbchen mit schroffen schwarzen Symbolen waren kreuz und quer zusammengebunden, bedrohlich durchsetzt mit unheilvollen Perlen. Einige gequälte Büschel Fell, zusammengedreht und aufgespießt, sträubten sich dazwischen. Der Gegenstand beleidigte mich und verursachte mir Gänsehaut.
Schließlich entscheidet sich Jinna in Diener der alten Macht für ein Amulett, dass das Wachstum der Pflanzen im Garten fördert, und schenkt es Fitz. Jinna beherrscht auch die Kunst in den Linien der Hand Schicksal und Persönlichkeit zu lesen, die Vergangenheit zu erkennen, und die Zukunft vorherzusagen. Um das Gartenamulett auf den Garten und den Gärtner auszurichten, liest sie Fitz aus der Hand. »Du musst mir deine Hand geben, damit ich es auf dich abstimmen kann. Anschließend gehen wir damit nach draußen, und ich richte es für deinen Garten ein. Dieses Amulett ist zur Hälfte für den Garten und zur Hälfte für den Gärtner.«2
Damit sind die magischen Praktiken der Magie in Words Like Coins und die Kenntnisse einer Heckenhexe umrissen, wenn auch nicht so ausführlich geschildert wie dies bei der Figur Jinna der Fall ist, aber es reicht aus, damit die Leser*innen über die Magie von Mirrifen und der Pecksie Bescheid wissen. Mirrifens Ausbildung endete zu früh - Once I wanted to be a hedge-witch, to make charms like that -, was sich darin zeigt, dass sie einen Heilungszauber für den Rattenbiss der Pecksie in gutem Glauben falsch arrangiert: She had never made a fever charm for so small a person. Did she even remember which beads and what order the spindles and rods went in? [...] A charm had to be precisely tuned to the person it would serve.
Später tadelt sie die Pecksie:
»Dangerous. It was wrong. I had to fix the beads. See. Yellow, then green.«
[...]
»It was working when I left you.«
»Worked. Just not as good as it could. Lucky for me, it not do harm. Hedge-witch has to be careful. Precise. Still. It worked. Worked better after I fix it.«
Mirrifen ist nicht vollständig ausgebildet, und ihre Kenntnisse sind, anders als die der Pecksie, nur rudimentär. Ihre Ausbilderin, die Krudhexe Chorly, erzählt sie der Pecksie, gab sich keine Mühe: »I ended up half-taught, my years wasted. [...] My training only included simple things.« Auch ihre Schwägerin ist sich dessen bewusst, wenn sie sagt: »I wish you`d had more hedge-witch training. Then you could make a charm to keep rats from the well and pecksies from the house.« Als sich Jami von ihr einen Schlafzauber wünscht, muss Mirrifen passen, denn: »Sleep charms are complicated. They have to be precisely keyed to the user. Even so, they`re dangerous. Witch Chorly once knew a foolish hedge-witch who tried to make a sleep charm for herself; she finished it, fell asleep and starved to death before she ever awoke.« Beinahe tragisch endet Mirrifens Unkenntnis, als sie ein weiteres Amulett falsch komponiert. Es soll ihre Schwägerin vor der Bösartigkeit der Pecksies schützen, und den Weg ins Haus versperren. Doch ihr Zauber hält nicht nur die Pecksies vom Bett ihrer Schwägerin fern, sondern blockiert gleichzeitig die Geburt des Kindes. Denn was Chorly auch versäumt hat: to teach her the spells against Pecksies. Die Pecksie, die schwanger ist wie Jami, ist eine Meisterin in der magischen Kunst der Amulette. Sie trägt ein Amulett um ihren Hals - a small charm around her neck -, dessen Zusammensetzung und Wirkung Mirrifen nur erahnen kann: She couldn`t read it all, but made out the symbol for birth. Mirrifens falsch konstruierte Amulette sind nicht nur wirkungslos, sondern gefährden die Personen, der sie helfen sollen. Die Krudhexe Jinna und die Heckenhexe Mirrifen sind Reflexe des gleichen narrativen Motivs und bilden nur eines der vielen charakteristischen Merkmale schemaorientierten Erzählens im Werk von Robin Hobb: das gleiche Thema, die gleiche Figur, ein Hauch der gleichen erzählen Welt, mit einem Wort, ein Versatzstück, eine Variation, immer wieder neu verwendbar.
1 Robin Hobb, Diener der Alten Macht, Ebook, Neuausgabe 2018:100ff.; 120ff. Krude = roh, unausgegoren, unbearbeitet, ungekocht, unverdaulich beziehungsweise brutal, gefühllos, grausam, grob, inhuman, rabiat, rüde. Was eine Krudhexe genau ist, weiß ich nicht. Ich habe die Bezeichnung zuvor nie gehört, kann mich auch nicht so recht mit dem Adjektiv krude anfreunden, dass diese Hexe charakterisiert. Keine Schwierigkeiten habe ich dagegen mit dem Namen Heckenhexe, als Pendant zum Heckenritter (Hedge Knight), wie ihn George R.R. Martin schildert, als fahrender, unabhängiger Ritter, als jemand, der niemandem Loyalität schuldet, ohne Besitz und ohne eigene Burg (George R.R. Martin, The Hedge Knight, in: Robert Silverberg, Legends. Short Novels by the Masters of Modern Fantasy, New York, 1998 (dt. Das Urteil der Sieben, München, 2013).). Da eine Online-Recherche nicht weiterhilft, und die Lemmata hedge witch oder Krudhexe weder in der deutschen noch der englischen Wikipedia gelistet sind, gehe ich von der Fiktionalität beider Namen aus.
2 Diener der Alten Macht, Ebook, 99-100; 126-131.
Die Koexistenz verschiedener Kulturen
Die latenten Themen, die Robin Hobb in ihrer Kurzgeschichte mit-thematisiert, sind komplexer als es ein Fantasy-Erzähltext in der Form eines Märchens zulässt: Die Magie der Heckenhexen (s.o.), die Frage nach der Koexistenz diverser Kulturen sowie die bindende Kraft von Gabe und Wort bilden eine vielfältigere narrative Melange als auf den ersten Blick ersichtlich.
Robin Hobb erzählt in Words Like Coins von zwei Frauen und ihrer unterschiedlich geprägten Wahrnehmung der Pecksies, über die schaurige Überlieferungen und Hörensagen-Vorurteile im Umlauf sind, von deren Wahrheit die Schwägerin überzeugt ist, und die ihre irrationalen Ängste triggert. Die Erzählung, ohne zu viel vorwegzunehmen, kreist um die kulturelle Wahrnehmung und den Charakter der Pecksies aus der Perspektive der Landbevölkerung von Tilth; insbesondere um den Sachverhalt, wie die Beziehungen zwischen Menschen und Pecksies gestaltet sind. Toleranz, Akzeptanz für kulturelles Anderssein sowie die Möglichkeit friedlicher Koexistenz diverser ethnischer und sozialer Gruppen, ohnehin zentrale Themen im Werk von Robin Hobb.
Mirrifen, die Heckenhexe, ist eine Frau, die sich nicht an Vorurteilen orientiert, ihre Erfahrungen reflektiert und bewertet, bevor sie ihr Verhalten daran ausrichtet. Unvoreingenommen behandelt sie die Pecksie, der sie am Brunnen ihres Bauerhofs begegnet, mit Anteilnahme, Neugier und Respekt.
Mirrifen set the dripping bucket down. As she stepped back in astonishment, the small creature collapsed. […] They were reputed to be dangerous, but she couldn`t recall why. The little creature collapsed by the well didn`t look dangerous. [...] »That`s all I can do for you, I`m afraid.« Mirrifen replied. »Can you walk?« [...] Mirrifen took off her apron, knelt and picked up the pecksie in a fold oft her fabric. Silently she carried her back to the house and into her own bedroom.
Weder deren physische Gestalt noch ihr eigenartiges Verhalten, für das Mirrifens eigene Kultur kein Äquivalent kennt, hält sie zurück, einer verdurstenden Pecksie zu helfen. Mitleid, Offenheit und Hilfsbereitschaft sind Werte, die Mirrifens Verhalten reflektieren. Die Pecksie und Mirrifen sind beide Heckenhexen, und diese Tätigkeit bildet, trotz ihrer Verschiedenheit eine Verbindung zwischen ihnen, quasi eine interkulturelle Schnittstelle, durch die sie sich zu gegenseitigem Nutzen kennenlernen und austauchen, Fremdheit reduzieren können:
»Dangerous. It was wrong. I had to fix the beads. See. Yellow, then green.« The pecksie tossed the little charm at her. By reflex, Mirrifen caught it. She studied it by lantern light and saw the change the pecksie had made. »It was working when I left you.« »Worked. Just not as good as it could. Lucky for me, it not do harm. Hedge-witch has to be careful. Precise. Still. It worked. Worked better after I fix it.« Mirrifen examined the revised charm. “How did you know how to fix it?«
Ganz anders ist die Reaktion ihrer Schwägerin Jami auf die unerwartete Ankunft von Pecksies auf dem Hof. Jami hat in ihrer Herkunftsfamilie angeblich bereits mit Pecksies zu tun gehabt, berichtet sie Mirrifen und erzählt ist von dem Schaden, den diese ihrer Familie angetan haben. Eindringlich warnt sie Mirrifen davor, der Pecksie zu vertrauen.
»Look. Just look at the milk buket.«
»What?«
»Don`t you see those silvery smears on the edge? That`s pecksie dust! A pecksie has touched our milk bucke« […] »Wash it off! Wash it off!« […] »They`re such dirty, wicked little things!«
Ist Jamis Sorge um ihr ungeborenes Kind verständlich, verschanzt sie sich doch verstockt und unreflektiert hinter Hörensagen und Fremdenfeindlichkeit, ohne Rücksicht auf die berechtigen Bedürfnisse anderer Lebewesen zu nehmen oder ihre Freundlichkeit wahrzunehmen. Aus diesen beiden Positionen entsteht ein Beziehungskonflikt zwischen den beiden Frauen, der dem ungeborenen Kind beinahe das Leben kostet. Nicht die Schuld der Pecksie, die selbstlos helfen will, sondern Jamis Vorurteilen und Fremdenangst geschuldet.
Die Anthropologie versteht unter Alterität (lat. alter; alterity) die partielle interkulturelle Andersartigkeit, das andere von zwei, beziehungsweise die Identität stiftende Verschiedenheit zweier aufeinander bezogener, sich bedingender Identitäten. In der phänomenologischen Philosophie ist Alterität die Entität, die eine Identität ermöglicht, die die Fähigkeit impliziert, zwischen Selbst (eigen) und Nicht-Selbst (fremd) zu differenzieren, um die Existenz eines alternativen Standpunkts einzunehmen, nachzuvollziehen und anzuerkennen. In der Ethnologie, nur mit anderen Worten, die von Empathie getragene Konfrontation des Eigenen und des Fremden.
Mit diesen Konzepten, Identität, Differenz sowie den Kategorien fremd und eigen, ist Alterität inzwischen zu einem Kernbegriff literatur- und kulturwissenschaftlicher Diskurse geworden, der nicht anderes bezweckt, als darauf hinzuweisen, dass schließlich alles auf irgendeine Weise anders ist, und zur Herausforderung aufruft.1 Robin Hobb greift in Words Like Coins (absichtlich?) diese Theorie auf und demonstriert in ihrer Kurzgeschichte, welche Implikationen und Konsequenzen sich aus der Wahrnehmung von Alterität ergeben können. Bedingt durch die persönliche oder soziale Konfrontation (Beobachtung) des Fremden mischt sich ein Anteil Eigenes in die Wahrnehmung des Fremden: Das Eigene ist an der Konstruktion des Fremden beteiligt. In der Kurzgeschichte nehmen die beiden Frauen die Pecksies, aufgrund ihrer Vorerfahrungen unterschiedlich wahr. Die Wahrnehmung von Mirrifen ist durch ihre Unvoreingenommenheit und tolerante Offenheit geprägt. Jamis Wahrnehmung der Pecksie bestimmen ihre negativen Hörensagen-Erfahrungen, ihre Vorurteile und ihre Fremdenangst.
Fremd / eigen denkt im Rahmen des Eigenen das Fremde immer mit, wie fremd es auch sein mag, denn das Fremde befindet sich nicht jenseits der eigenen oder jeglicher Ordnung. Diese Voraussetzung geht von einer gegenseitigen Komplementarität aus, in der beide, fremd und eigen, die gleiche Unterscheidung fremd-eigen treffen. Der Fremde strukturiert seine Wahrnehmungen, wenn er mir begegnet, genauso wie ich, auch wenn er mir fremd ist und ich nicht weiß, wie er seine Welt strukturiert und vice versa.
Mirrifen geht davon aus, dass die Pecksie und sie sich an vergleichbaren Handlungs- und Strukturmustern zur Kommunikation und Weltwahrnehmung orientieren, erkennen sich als verschiedene Kulturen gleichberechtigt an (eigen / fremd), deren Verschiedenheit sich durch einen gegenseitigen Diskurs überbrücken lässt (s.o.). So kommt sie zu dem diplomatischen Schluss: Well, you don`t need to fear me. Not unless you do me an injury. Während sie noch überlegt, sich den ganzen Pecksie-Klan dienstbar zumachen, und ihnen ihr Wasser vorzuenthalten, erkennt sie: I have no desire to bind pecksies, und nimmt sie als gleichberechtigt wahr. She seems, well, not that different from you and me. Der Pecksie bleibt ihre Ambivalenz und letztliche, moralische Entscheidung, sie nicht zu binden, nicht verborgen: »You thought about saying `no` to me. To make all beg water and bind all to you. But you didn`t. Why?«
Ihre Schwägerin Jami, in ihrer Wahrnehmung vielleicht durch die bevorstehende Geburt eingeschränkt, fürchtet die Handlungen und Wertvorstellungen der Pecksie, die mit ihren eigenen nicht komplementär sind, und die sie kognitiv, emotional und wertemäßig nicht nachvollziehen kann. Für sie sind die Überzeugungen der fremden Kultur nicht integrierbar. Deshalb fordert sie Mirrifen auf - »You should send her away.« Jami`s voice shook. Withhold the water until they beg, then give it, bind them, and send them away, It`s the only safe thing to do.« - obwohl sie genau weiß, dass Pecksies, gehorchen müssen, wenn sie gebunden sind, und sterben, wenn sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommen. Worauf Mirrifen antwortet: »I don`t think that`s right.«
1 Oliver Lubrich, Das Schwinden der Differenz: postkoloniale Poetiken. Alexander von Humboldt – Bram Stoker – Ernst Jünger – Jean Genet, Bielefeld, 2004:9.
Die bindende Macht von Wort und Gabe
Der zentrale Konflikt von Words Like Coins, mit anderen Worten die Konfrontation des Eigenen mit den Wertvorstellungen des Fremden, äußert sich narrativ-metaphorisch auch im Angebot (Mirrifen) und der Entgegennahme (Pecksie) einer Gabe, die sozial verpflichtet sowie in der unterschiedlich bewerteten Äußerung von Worten als bedeutungstragende Entitäten, die soziale Situationen absolut und nicht mehr korrigierbar konfigurieren; vergleichbar der altgermanischen Wortmagie des Galðr, der bannenden Macht des Wortes, die sich in den Farseer-Trilogien als Telepathie äußert.
Es ist an dieser Stelle interessant, noch einmal auf die Frage zurückzukommen, was sich die Leser*innen unter einer Pecksie vorstellen müssen, und vor allem: Wo ist die Herkunft dieser mysteriösen Gestalt und ihres Namens zu suchen? Ein Blick in das Cambridge Dictionary verrät, dass das Lemma peck at something in der Bedeutung to eat small quantities of something without enthusiasm bedeutet, und damit das Thema anspricht, das im Titel der Kurzgeschichte angedeutet wird.
Wir alle sind sicher einmal der närrischen Figur Puck in Shakespeares Sommernachtstraum begegnet, der mit den Menschen, die in seinen Wald geraten, seinen Schabernack treibt. Der Name Puk, steht mit dem keltischen Púca in Verbindung, niedersächsisch de Puk oder baltisch Pukis, und bezeichnet eine zwergenwüchsige Figur unbestimmten Geschlechts der nordischen Volkssage. Puks leben mit den Menschen zusammen und gehören in die Gruppe der Elfen aus der germanischen Mythologie. Verwöhnt man die Puks regelmäßig mit Speisen und Getränken und behandelt sie gut, sorgen sie zum Dank für das Wohlergehen der Bewohner und deren Tiere und verhelfen ihren Gönnern zu Reichtum. Werden sie allerdings schlecht behandelt, fügen sie den Bewohnern schwere Schäden zu, die nicht selten in Wahnsinn oder mit dem Tod enden. In ihrer Kurzgeschichte Robin Hobbs bildet die Versorgung der Pecksies mit Wasser den Fokus des Konflikts und die Schnittstelle ihrer sozialen Beziehung, die sich zu einem intensiveren Kulturkontakt entwickelt.
Eines Tages begegnet die Krudhexe Mirrifen an ihrem Brunnen einer fast verdursteten Pecksie. Mirrifen, die gerade ihre Kühe gemolken hat, ergreift Mitleid mit der winzigen, schwangeren Frau, vielleicht weil auch ihre Schwägerin schwanger ist, und lässt sie aus dem Eimer von der Milch trinken.
Mirrifen didn`t pause to think. She dipped a finger in the milk bucket and held it to the pecksie`s lips. A drop fell, wetting them, and the pecksie gaped after it, shuddering. Mirrifen dripped milk into the small mouth. [...] At the third drop, the pecksie blindly seized Mirrifen`s fingertip in her mouth and suckled at it.
Diese freundliche, beinahe selbstverständliche Geste eröffnet eine soziale Situation, deren Konsequenzen Mirrifen weder ahnt noch bewusst sind, sodass sie die eigenartige Reaktion der Pecksie als bedeutungslos hinnimmt: Thank-you, krächzt die Pecksie. She closed her eyes tightly. Her words were oddly accented. I thank you. I am bound now.1 Später in der Nacht trifft Mirrifen die Pecksie wieder am Brunnen, und sie unterhalten sich über die Mirrifen unverständliche Bemerkung der Pecksie - I thank you. I am bound now -, und sie erfährt: Wenn jemand einer Pecksie einen Gefallen tut, und die ihn akzeptiert, verpflichtet sie das zu einer Gegengabe.
If a pecksie accepts a favor from you, the pecksie has to do what you ask it. They`re bound. Once you have one pecksie, the rest of its clan come around. And a clever woman can trick into a bondage as well. [...] All those pecksies had eaten our food and taken favors, so she could command them all. [...] Words bind pecksies. I once heard an old pecksie say that you should spend words like coins.
Es ist nicht die Person, die die Gefälligkeit oder die Gabe gewährt, die bindet, erklärt die Pecksie, es ist die Gabe, die eine soziale Beziehung begründet. Nachdem die Pecksie Mirrifens fehlerhaftes Amulett repariert hat, sagt sie ihr:
»I know things. And again, I am bound.«
»How do I unbind you?« Mirrifen asked. [...] »You can`t. I took favor. I am bound.«
»I didn`t mean to bind you.«
»I bound self when I took milk. Didn`t have to. Could have died.«
Es ist nicht nur Mirrifens Gefallen, der die Pecksie bindet, es sind auch die Worte, die zwischen ihnen gewechselt werden, die eine vergleichbare soziale Beziehung zwischen ihnen etablieren: »Thank you. I am bound,« she replied formally, eine Phrase, eine rituelle Formel, die die Handlung des Gewährens einer Gabe in eine rituelle Situation umwandelt.
Was eine solche rituelle Bindung bedeutet, weiß der Liebhaber von Goethes Faust seit langem:
Geschrieben steht: Im Anfang war das WORT!
Hier stock´ ich schon! Wer hilft mir fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der SINN!
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die KRAFT!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh´ ich Rat,
Und schreibe getrost: Im Anfang war die TAT2
Der britische Ethnologe Edmund Leach hat 1966 die bis heute wohl verbindlichste Definition von dem gegeben, was ein Ritual ist. Erstaunlicherweise löst er mit dieser Definition zugleich auch das Dilemma, das Faust lösen will, indem er vom Wort zur Tat voranschreitet, und die Frage beantwortet, das Wort und Tat interdependent miteinander korrespondieren:
Ritual as one observes it in primitive communities is a complex of words and actions ... it is not the case that words are one thing and the rite another. The uttering of words itself is a ritual.3
Die Ritual-Definition von Edmund Leach bietet eine brauchbare Antwort: Das Wort selbst, so formuliert er zu Recht, ist die Handlung, die Ritualisierung des gesprochenen Wortes in der Rede das entscheidende Ereignis im Vollzug des Sprechaktes. Bemerkenswert ist allerdings, um auf Goethe zurückzukommen, dass Faust vom Wort zum Sinn, von da zur Kraft (Macht) schreitet, um zuletzt bei der Tat anzukommen. Diese vier Begriffe sind die wichtigsten Bestandteile jedes rituellen Systems, wobei zwischen Wort und Handlung eine reziproke Beziehung besteht, während Sinn und (magische) Macht zwischen beide vermitteln. Ein Ritual bezeichnet jede vorgeschriebene, stilisierte, stets gleichbleibende Form der Durchführung einer Handlung.
Das Wort besitzt Macht über die ritualisierte die Handlung hinaus, eine Überzeugung, die die jüngere þóra in der Haukdœla õáttr verteidigt: Dies ist mein Rat, sagt die jüngere þóra, dass wir dieses Gespräch fallen lassen; denn schnell verbreitet sich ein Wort, das über die Lippen geht.4 Damit beruft sie sich auf die Überzeugung, dass das geäußerte Wort etwas von der Person enthält, die spricht, und die auf diese Weise magisch beeinflusst werden kann.
Die Äußerung der jüngeren þóra, dass dem gesprochenen Wort eine Eigendynamik innewohnt, spiegelt die Meinung der Pecksie gegenüber Mirrifen: »No words needed. Words are like coins. To spend carefully, as they are needed only. Not to scatter like humans do.« In der Sturlunga Saga geht diese Überzeugung auf ein altnordisches Sprichtwort zurück: Schnell verbreitet sich ein Wort, dass über die Lippen geht!5 Das einmal gesprochene Wort (an. orðr), insbesondere die in magischer Absicht getane Äußerung, kann sich günstig oder schädlich auf den Sprecher auswirken, auf ihn zurückfallen, oder einem anderen nutzen oder schaden. In dieser Überzeugung äußert sich die Vorstellung, das ausgesprochene Wort kann sich, rituell inszeniert, erfüllen, kann das Gewünschte bewirken; das Gesprochene realisiert sich.
Nachdem der Klan der Pecksies die Ratten um den Brunnen mit Pfeil und Bogen erlegt hat, fragt Mirrifen, warum denn niemand etwas sagt. Die Pecksie antwortet ihr, und legt damit die gleichzeitig ihre kulturelle Verschiedenheit sowie die Überzeugung von der bindenden Macht des Worts offen:
»We are pecksies,« the pecksie said with pride. »We hunt in dark, in silence.«
[...] pecksies counted words as precisely as a miser counted coins.
[...] Careless words are dangerous. To all.
[...] The pecksie didn`t look at her. »You waste words on what you can`t change.«
Menschen verschwenden (unüberlegt) ihre Worte. Die Botschaft der Pecksie lautet dagegen: Keine überflüssigen Worte! Sich heute nicht die Sorgen von morgen machen und seine Worte sorgfältig wählen. Denn haben diese erst einmal den Mund verlassen, können sie nicht zurückgenommen werden.
Robin Hobb öffnet in ihrer Kurzgeschichte eine Perspektive, deren Plausibilität nicht mehr dem bewussten Wissen unseres kulturellen Überzeugungssystem entspricht. Die atmosphärische Dichte, die intensive akustische Präsenz, die vom gesprochenen Wort ausgeht, insbesondere der formalisierten Sprache der Poesie oder der rituellen Formel, die uns im Fluss der Rede eines Dichters ergreift, gehört zum latenten Wissen, zum Untergrund unserer Kultur. Was die gebundene Rede in Dichtung und Ritual verbindet, ist die Faktizität des Fließenden des gesprochenen Worts, beides nicht gleichbleibend, einmal geäußert, nicht zurückzunehmen. Die im Galðr von Óðinn inspirierte Wortmagie fasst Joseph von Eichendorf in seinem Gedicht Wünschelrute in einen romantischen Vers:
Schläft ein Lied in allen Dingen,
die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort6
1 Vgl. auch Marcel Mauss, Die Gabe. Form und Funktion des Tauschs in archaischen Gesellschaften, (Frankfurt a.M., 1990), eine systematische und vergleichende Studie über das weit verbreitete System des Geschenkaustauschs und die Deutung seiner Funktion im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung. Implizit enthält Mauss` Essay die Gegenüberstellung von archaischen Institutionen und unseren eigenen, und tangiert in seiner Darstellung immer wieder die als Alterität angesprochene Komplementarität fremd-eigen.
2 J.W.Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, Klagenfurt, o.J.:50.
3 Edmund Leach, Ritualization in man in relation to conceptual and social development, Phil. Trans. R. Soc. B., 251, 1966 :247-526 (hier 407). Sigmund Freud schloss seine äußerst umstrittene Studie Totem und Tabu ebenfalls mit der Bemerkung, dass die Tat am Anfang jeder Entwicklung (Zivilisation) steht.
4 Hitt ræð ek, segir in yngri þóra, at vit látim þetta tal níðr fala, því at brátt ferr orð, er um munn líðr (zitiert nach Anne Heinrichs, Die jüngere und die ältere þóra: Form und Bedeutung einer Episode in Hauksdœla õáttr, Alívssmál 5, 1995:10. Der Haukdœla õáttr ist ein Erzähltext der isländischen Sturlunga saga).
5 Brátt ferr orð, er um munn liðr!
6 Joseph Freiherr von Eichendorff, Wünschelrute, 1835.
Fazit
Thank you. I am bound! Mit dieser rituellen Formel bestätigt eine Pecksie der Heckenhexe Mirrifen, dass sie mit ihr eine besondere Beziehung eingegangen ist. Mirrifen schweigt, denn sie kennt keine angemessene Antwort. In ihrer Kultur existiert kein Korrelat, das eine gewährte Gefälligkeit (favor), eine Gabe, sie an die absolute Verpflichtung zu ihrer Erwiderung knüpft (die soziale Bindung zwischen Mirrifen und Jami ist durch ihre afinale Verwandtschaft gesichert). Die Gabe der Milch und des Wassers verpflichtet die Pecksie dazu, Mirrifens Bedürfnissen nachzukommen.
Durch die Gabe gebunden, kann die Pecksie ihr keine Bitte oder Forderung verweigern. Sie warnt sie gleichzeitig, ihre Worte sorgfältig zu, da die entstandene Bindung zwischen ihnen auf Wortwörtlichkeit beruht: Pecksies counted words as precisely as a miser counted coins, sodass ein falsch gewähltes Wort, eine Bitte, Forderung oder Drohung erfüllt, ähnlich wie die Drei Wünsche, die eine Fee gewährt sorgfältig zu wählen sind.
In Robin Hobbs Kurzgeschichte teilen Menschen und Pecksies nicht das gleiche kulturelle Wertsystem, sodass beide Kulturen zwar kompatibel, aber nicht gleich sind. Anders formuliert: Pecksies sind keine Menschen, aber beide können ihre Andersartigkeit verstehen und ihre sozialen Beziehungen auf Augenhöhe organisieren. Und so endet die Erzählung auch mit einer versöhnlichen Szene, mit einer Synchronisierung der Bedeutung ihrer Worte und Motive: Mirrifen paused at the door. »You`re a hedge witch, aren`t you?«
The pecksie considered it. »Stupid words. Pecksie not a hedge, not a witch. Pecksie a charm-maker.« Und Mirrifen, die sich bisher immer als eine Heckenhexe gesehen hat, antwortet ihr: »I always wanted to be a charm-maker.«
The pecksie narrowed her green eyes. »Will you bind me to teach you?«
Mirrifen shook her head. »No. Never again. Words are to dangerous to bind anyone with them.«
Und humorvoll, mit einem Augenzwinkern, in menschlicher Attitüde, stimmt ihr die Pecksie zu: »I teach, then.« A small smile of approval bent her cat`s mouth. »You learning already.« Der wesentliche Unterschied, den bereits der Titel andeutet, und den der zentrale Konflikt der Erzählung thematisiert, besteht in der bindenden Macht der Gabe (favor) und der Worte (words), die die sozialen Beziehungen der Pecksies regelt, für die Menschen jedoch, wenn überhaupt, nur noch von untergeordneter Bedeutung ist. Ungeachtet der kulturellen Unterschiede sind Kooperation und Koexistenz möglich.
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