Meine Studie über Hollywoods unzuverlässige Erzähler befasst sich mit einer speziellen Erzählinstanz des Films im 20. Jahrhundert, den aus der Literatur seit langem bekannten, unzuverlässigen Erzähler, der meist dafür sorgt, dass die filmische Erzählung, die er verantwortet, mit einem Plot-Twist endet. Die Analysen und Interpretationen dieser Studie verwenden Beispiele aus mehreren Filmen und setzen voraus, dass die Leser*innen diese Filme gesehen haben, oder nicht ansehen wollen. To spoil, (die Spannung oder den Spaß) verderben, bezeichnet eine Tendenz, entscheidende Motive oder Wendungen zu verraten, die in den sozialen Netzwerken mittlerweile um sich greift, obwohl kaum jemand vorher wissen will, wie eine Geschichte endet. Gerade in Erzählungen, die einen unzuverlässigen Erzähler und einen Plot-Twist verwenden, erweist sich ein Spoiler als perfider Spaßkiller, der, einmal losgelassen, sich wie ein Virus verbreitet und nicht abgewehrt werden kann. Deswegen meine Warnung zu Beginn der Lektüre: Vorsicht Spoiler!
Einleitung
Wann erblickte der erste unzuverlässige Erzähler in der Literatur oder im Film das Licht der narrativen Welt? Die Recherche nach dem ersten Roman, in dem ein solcher Erzähler das Wort ergreift, führt ins 18. Jahrhundert zu Laurence Sterne, der in seinem satirischen Roman The Life and Opinions of Tristram Shandy aus dem Jahr 1759 mit den Konventionen des Romans bricht und eine unkonventionelle, experimentelle Erzählstruktur aufweist. Sterne verwendet Techniken wie Ironie, Widersprüche und Lücken in der Erzählung, um seine Leser*innen zu verwirren, und die den Erzähler über weite Strecken unglaubwürdig machen.
In der Filmgeschichte profiliert sich der unzuverlässige Erzähler zum ersten Mal in dem expressionistischen Stummfilm Das Kabinett des Dr. Caligari, einem Horrorfilm von Robert Wiene aus dem Jahr 1920. Die Rahmenhandlung des Films wird von einem namenlosen Ich-Erzähler präsentiert, der behauptet, die Geschichte wurde ihm von einem Mann erzählt, der Zeuge der Ereignisse war. Durch die Entlarvung des unzuverlässigen Erzählers am Ende des Films wird die Bedeutung der gesamten Geschichte in Frage gestellt, die das Publikum mit dem vielleicht ersten Plot-Twist der noch jungen Filmkunst konfrontiert. In den folgenden Jahren sind Thriller, Horrorfilm, Mystery oder Psychothriller das bevorzugte Genre des Phantastischen, in denen unzuverlässige Erzähler ihren Auftritt haben.
Der Gegenstand dieses Blog-Beitrags ist ein Erzählkonzept, das garantiert zum Vergnügen des Publikums beiträgt, das virtuos im Unklaren gelassen wird, bis sich die gestiegene Spannung und Unsicherheit schließlich in dem fulminanten, finalen Akt auflöst. Erstaunt, noch immer irritiert, sitzen wir noch eine Weile im Parkett, wundern uns über unsere irregeleitete Wahrnehmung, so gekonnt in die Irre geführt worden zu sein, und fragen uns verwirrt: Wie konnte das nur passieren? Ein Erzählkonzept, von Drehbuchautoren und Regisseuren geschätzt, aber nicht einfach zu realisieren, da das Risiko besteht, dass die Plausibilität der Geschichte allzu leicht in die Brüche geht, die Gefahr, zu früh zu viel mitzuteilen. Das Publikum darf den Glauben nicht daran verlieren, jederzeit den Überblick über den Gang der Dinge zu behalten, damit die Spannung steigen kann, und die Überraschung, oft erst in der letzten Szene, ihn unvorbereitet trifft. Wieder einmal sind wir dem unzuverlässigen Erzähler auf den Leim gegangen, dem unreliable narrator, einer Figur der erzählten Welt, einer, der nicht zu trauen ist. In einem Essay vergleicht Victor Crapanzano den Ethnologen im Feld mit Hermes, den Götterboten. When Hermes took the post of messenger of the gods, he promised Zeus not to lie. He did not promise to tell the whole truth. Zeus understood. The ethnographer has not.1 Rezipient*innen, die einem unzuverlässigen Erzähler begegnen, befinden sich in dem gleichen Dilemma wie der Ethnologe: Wie jeder andere Erzähler verspricht auch der unzuverlässige Erzähler die Wahrheit zu sagen, denn die Geschichte, die er zu erzählen hat, ist eine wahre Geschichte. Was er seinem Publikum aber verschweigt, denn er hat es nicht versprochen, ist nicht alles in dem Augenblick zu erzählen, in dem es sein Publikum vielleicht von ihm erwartet. Viel wäre geholfen, wüsste man nur, wer er ist und was ihn umtreibt. Doch noch mehr wäre verloren, träte er gleich zu Beginn seiner Erzählung ins Rampenlicht, und gäbe seine Absichten zu erkennen. Ehrliche Erzähler gibt es reichlich, die Helden, die von Anfang an als sie selbst auf der Bühne stehen, während dem Dieb und dem Trickster, die im Hintergrund wirken, seltener eine Erzählung anvertraut wird, denn er lässt sein Publikum bis zuletzt im Unklaren über das Geschehen. Ich frage mich, ob der unzuverlässige Erzähler es bei Walter Benjamin gelesen hat. Jede Vermittlung, so Benjamin, is only a somewhat provisional way of coming to terms with the foreignness of language.2 Auch die Erzählung einer Geschichte ist zuallererst ein provisorischer Umgang mit einem Bündel von Informationen, die übersetzt werden müssen, um sich im Erzählen in einen Erzähltext zu verwandeln. Der unzuverlässige Erzähler bewegt sich gerne zwischen den Zeilen der Sprache und muss, wie jeder andere Erzähler auch, seine Erzählung zuerst produzieren.
Die große Herausforderung des Erzählens, mit der der unzuverlässige Erzähler leichtfertig umgeht, heißt Plausibilisierung, das Erzählte nachvollziehbar zu machen, was für jede Erzählung essenziell ist. Doch auch der unzuverlässige Erzähler kommt daran nicht vorbei. Die Frage lautet allerdings: Wann lässt er die Katze aus dem Sack, und rückt mit der Wahrscheinlichkeit der Geschichte, die er erzählt, heraus? Wann präsentiert er die Gründe und Fakten, die den Wahrheitsgehalt des Geschehens stützen? Was den unzuverlässigen Erzähler betrifft, er zögert genau diese Situation so lange wie möglich heraus, genießt das Vorspiel, und stellt sich vor, das Publikum bis zum Höhepunkt vor sich her zu treiben. Dazu legt er unklare Spuren, fingiert undeutliche, vage Indizien und verstrickt das Publikum in Ambivalenzen, sofern dieses es in seiner Erregung und Anspannung überhaupt mitbekommt. Die Kompetenz des unzuverlässigen Erzählers liegt in seiner Fähigkeit, seine Rezipient*innen zu der Bereitschaft zu bewegen, seine unwahren Vorgaben unvoreingenommen zu glauben. Natürlich wissen die Leser*innen oder das Kinopublikum Bescheid: die Erzählungen in Buch und Film sind frei erfunden. Fiktiv! Gleichgültig wie fantastisch oder unmöglich diese Erzählungen auch sind, auf den Kunstgenuss wirkt sich die Fiktionalität des Erzählten nicht aus. In dieser willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit, den suspense of disbelief, liegt die Chance jeder Erzählung, sein Publikum zu fesseln, in ihren Diskurs zu bannen, und solange darin zu behalten, bis die Kunst des Erzählens, des Geschichtenerfindens ihre mitreißende Wirkung entfaltet, die in ihrer reinsten Form Verzauberung ist.3 Jedenfalls solange sie den Kunstgenuss nicht stört. Aristoteles, der die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Erzählen eröffnete, behauptete in seiner Poetik bereits, dass eine bestimmte Erzähltechnik bei den Zuschauer*innen eine emotionale Erfahrung hervorruft. Er nennt dies das charakteristische oder gemäße Vergnügen (oikeia hedone), das für ihn ein wichtiger Aspekt einer gelungenen Erzählung ist. Die konstitutiven Elemente dieser Erfahrung, der Lust an Erzählungen, sind die von Autor*innen bewirkten Affekte: Mitleid (eleos) und Furcht (phobos), die sich in der Katharsis auflösen. Erst die Kombination von guter Erzähltechnik und emotionaler Erfahrung, wie wir alle wissen, macht die gute Geschichte aus, die dieses angemessene Vergnügen bereitet.
In meiner Studie Mein Name ist Kvothe habe ich eine selbstkritische Bemerkung der Hauptfigur in Patrick Rothfuss Roman Der Name des Windes zitiert: Aber gerade ihr solltet doch im Klaren sein, wie schmal der Grat ist, der die Wahrheit von einer überzeugenden Lüge trennt. Die historische Wahrheit [faktural] von einer unterhaltenden Geschichte [fiktional]. Die gleiche Antwort bekam auch C.S. Lewis von seinem Freund Tolkien, der fantastische Erzählungen als durch Silber geblasene Lügen bezeichnet hat. Mit seiner Unterscheidung, faktual beziehungsweise fiktional, bezieht sich Kvothe auf den Wahrheitsgehalt einer Erzählung, auf die Frage, ob die narrative Rede eine empirische Referenz für ihre Behauptung beanspruchen kann oder ob sie keinen Bezug zur Welt der Zuschauer*innen aufweisen muss, um das aristotelische gemäße Vergnügen zu bewirken. Handelt es sich aber um einen unzuverlässigen Erzähler, dann präsentieren reale Autor*innen eine Fiktion in einem fiktionalen Geschehen, wie es Christopher Nolans Science-Fiktion-Film Inception mit dem Motiv des Traums im Traum idealtypisch vorführt.
Der unzuverlässige Erzähler bezieht sich auf eine Erzähltechnik, bei der der Erzähler bewusst oder unbewusst falsche oder verzerrte Informationen liefert. Diese Technik wird oft verwendet, um Leser*innen oder Zuschauer*innen tiefer in die Geschichte zu ziehen, sie emotional stärker aufzuwühlen, um ihre Aufmerksamkeit, Furcht und Mitleid, zu erhöhen, indem sie dazu verleitet werden, den rätselhaften, als wahr erzählten Ereignissen nachzuspüren, um die Wahrheit hinter den Ereignissen zu ergründen. Der unzuverlässige Erzähler fordert sein Publikum auf, sich aus ihrem bequemen Sessel zu erheben, und seine Herausforderung, den Wahrheitsgehalt seiner Rede aktiv, kognitiv und psychisch zu hinterfragen. Um diese Reaktion des Publikums zu erreichen, verwendet der unzuverlässige Erzähler, gleichgültig ob in den Worten einer literarischen Erzählung oder in den Bildern eines Films, unterschiedliche Effekte. Spannung und suspense of disbelief ziehen die Rezipient*innen in die Erzählung, weil sie nur schwer entscheiden können, ob die Informationen des Erzählers wahr oder falsch sind. Die Charakterisierung der Figuren ist meist intensiver, da ihre subjektive Wahrnehmung und ihre Persönlichkeit durch die Art und Weise, wie sie die Ereignisse wahrnehmen und erzählen, beeinflusst werden. Unzuverlässige Erzähler kritisieren oft gesellschaftliche Missstände oder Irrationalitäten, indem sie soziale oder politische Verzerrungen und Fehlwahrnehmungen durch ihre Figuren aufdecken lassen. Obwohl das besondere Erzählen des unzuverlässigen Erzählers gewollt verwirrend ist, darf die Plausibilität der Geschichte, eine gewisse Glaubwürdigkeit, nicht völlig vernachlässigt werden, sonst wird dem Publikum mehr zugemutet, als ihr Bedürfnis nach einem angemessenen Vergnügen ertragen kann. Ob in Literatur oder Film, das Interesse und die Aufmerksamkeit des Publikums gilt dem Kunstgenuss. Daran darf auch der unzuverlässige Erzähler nicht rühren.
Hollywoods Schwarze Serie
Den Film Noir, Hollywoods Schwarze Serie, kennzeichnen dunkle, düstere und zynische Themen, denen die Figuren, die die Schauspieler darstellen, eine mysteriöse Aura verleihen. Filme wie Billy Wilders Sunset Boulevard (1950), John Hustons The Maltese Falcon (1941), Carol Reeds The Third Man (1949), Howard Hawks The Big Sleep (1946) oder Orson Welles Touch of Evil (1958) sind nur einige Beispiele eines umfangreichen Genres, das sich in Hollywood-Filmen besonderer Beliebtheit erfreute und zahlreiche, heute klassische Filme hervorbrachte. Die hartgesottenen, pessimistischen Figuren, die moralisch zweideutigen Handlungsstränge sowie die kontrastreiche, schwarzweiße Kinematografie dieser Filme gaben der Gattung ihren Namen: Schwarze Serie oder Film noir. Aus einem ästhetischen Blickwinkel prägt den Film Noir ein hoher Kontrast zwischen Licht und Schatten. Der Schwarzweiß-Film mit seinen harten Kontrasten, dem breiten Spektrum an Grautönen sowie der starken Betonung von Schatten und Dunkelheit, kommt dieser Ästhetik wie kein anderes Medium entgegen. Visuelle Details und Texturen, hervorgehoben durch eine harte Beleuchtung, eine dramatische Wirkung, die die emotionale Intensität und Spannung, die dieses Genre aufbaut und die weitgehend pessimistischen Affekte, die das Spiel der Akteure in Publikum auslösen, gehören zu den zentralen narrativen Mitteln des Film Noir. Und: Unzuverlässige Erzähler bilden in diesen Filmen keine Ausnahme. Sie sind die Regel, die charakterisierende Eigenschaft dieses Genres.
Seinen großen Auftritt hat der unzuverlässige Erzähler im Film Noir der 1940er und 1950er Jahre, in Hollywoods Schwarzer Serie. Besonders die Namen von zwei Schauspieler*innen-Duos repräsentieren das Genre wie kein anderes: auf der einen Seite Alan Ladd und Victoria Lane, auf der anderen Humphrey Bogart und Lauren Bacall in den Hauptrollen. Sie sind die unangefochtenen Stars des Film Noir dieser Jahre, dessen Gesicht sie bis heute prägen. Die populärsten Film-Noir-Erzählungen basieren auf erfolgreichen literarischen Vorlagen weltbekannter Autoren wie Graham Greene (This Gun for Sale, 1936), F. Scott Fitzgerald (The Great Gatsby, 1925) oder Raymond Chandler (The Big Sleep, 1939; The Blue Dahlia, 1946) um nur einige der zahlreichen Beispiele zu nennen. Ich bin nicht sicher, welcher Film Noir die Figur des unzuverlässigen Erzählers in dieses Genre eingeführt hat. Aber ich vermute, es ist Frank Tuttles This Gun for Hire (1942), dem die Ehre gebührt. Orson Welles Film The Lady from Shanghai (1947) kommt ebenfalls in Frage, da Frank Tuttles Erzähler Philip Raven, anders als Michael O'Hara, den Orson Welles selbst spielt, schwach profiliert ist und noch nicht alle Anforderungen eines unzuverlässigen Erzählers erfüllt.
Aber mit Frank Tuttles Film This Gun for Hire (Die Narbenhand) von 1942, am Drehbuch beteiligt Graham Greene, der die Vorlage für diesen Film lieferte, hat wahrscheinlich alles begonnen. Gleichzeitig erlebt das Publikum in diesem Film auch den ersten Auftritt eines der genreprägenden Duos, Alan Ladd und Veronika Lake, an deren düster-mysteriösen, emotional distanziert erotisierendem Spiel zukünftig keine Schauspieler*innen des Genres mehr vorbeikommen sollten. Die düstere Atmosphäre schwarzweißer, kontrastreicher Bilder, die schnörkellos erzählte Geschichte und ihr charismatisches Spiel definierten, was zukünftig Film Noir hieß. Die Handlung des Films schildert eine Episode aus dem Leben des Auftragsmörders Philip Raven (Alan Ladd). Raven wird von dem Nachtclubbesitzer Willard Gates (Laird Cregar) im Auftrag des skrupellosen Industriellen Alvin Brewster (Tully Marshall) angeheuert, um den Chemiker und Erpresser Albert Baker (Frank Ferguson) zu töten, in dessen Besitz sich eine gestohlene chemische Formel befindet. Als Raven den Auftrag ausführt, entdeckt er, dass er von Gates betrogen wurde, und dass dieser ihn loswerden will, um seine eigenen kriminellen Machenschaften zu vertuschen, mitten im Zweiten Weltkrieg Giftgas an die verfeindeten Japaner zu verkaufen. Zusammen mit der Tänzerin Ellen Graham (Ladds Anima Veronica Lake) flieht Raven vor der Polizei und kämpft gegen Gates und seine Schergen, um seine Unschuld zu beweisen und Rache zu nehmen. Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, dass This Gun for Hire eine auktoriale Erzählperspektive verwendet, in der Wahrnehmungen und Wissen mit dem Publikum geteilt werden. Doch der Schein trügt von Anfang an. Der eigentliche Erzähler geht im Geschehen unter und ist kaum sichtbar. Das Geschehen wird durch Dialoge, die Handlung und die Interaktionen der Charaktere vorangetrieben. Die Hauptfiguren, der Auftragskiller Raven, der Detective Michael Crane (Robert Preston), der Ellen Graham anheuert, um Raven zu stellen, wie auch Willard Gates (Laird Cregar), sind zur Introspektion fähige Charaktere, die den Zuschauer*innen Einblick in ihre Motivationen, Gefühle und Gedanken erlauben, sodass ihre Entscheidungen und Handlungen nachvollziehbar erscheinen. Aus der Sicht des nur vage profilierten, eben nicht allwissenden Erzählers, entfaltet sich das Geschehen im Film aus sich widersprechenden Perspektiven verschiedener Figuren und ihrer Interaktionen. Um diesen Effekt zu erreichen, und weiter zu steigern, arbeitet der Regisseur mit der Voice-Over-Technik, die wie ein Bewusstseinsbericht des Erzählers wirkt. Ravens Stimme wird aus dem Off eingeblendet, während er selbst zu sehen ist, allein in Gedanken versunken, um seine Vermutungen und seine psychische Befindlichkeit an die Zuschauer*innen zu vermitteln, die unmittelbar an den inneren Konflikten und Emotionen partizipieren, die das Geschehen in ihm auslöst, sodass sie sich in seine Lage versetzen können. Als Erzähler ist Alan Ladd eine Figur der erzählten Welt unter anderen. Sein Wissen über die erzählte Welt und seine Wahrnehmung der Ereignisse sind nicht immer wirklich zuverlässig, auch wenn er auch diesen Eindruck erweckt, und anscheinend seine Sicht der Ereignisse vorbehaltlos mit dem Publikum teilt. Doch sein Wissensstand ist immer nur vorläufig, und wird durch die häufigen Wendungen der Handlung beeinflusst. Besonders durch das mysteriöse Verhalten von Ellen Graham, muss er seine Wahrnehmung kontinuierlich an neue Informationen und den sich ändernden Gang der Ereignisse anpassen.
In dem Film The Lady from Shanghai gerät der Protagonist, der Matrose Michael O`Hara (Orson Welles) wie Philip Raven in ein Netz von Intrigen, in ein Mordkomplott, in dem die mysteriöse Elsa Bannister (Rita Hayworth), der er nur scheinbar zufällig begegnet, die Fäden zieht, und die es mit ihrem Komplizen George Grisby (Glenn Anders) auf das Vermögen ihres Mannes abgesehen hat. Als Vorlage für seinen Film diente Welles ein Kriminalroman, If I Die Before I Wake (1938) von Sherwood King, den Welles in ein Drehbuch umschrieb und auch selbst die Regie führte. Wie Philip Raven ist auch Michael O`Hara ein unzuverlässiger Erzähler, der sich in die Ehefrau des reichen Anwalts Arthur Bannister (Everett Sloane) verliebt, und die ihn, weil er zunehmend ihren Reizen verfällt, gnadenlos ausnutzen kann. Die Geschichte, die O`Hara seinem Publikum präsentiert, filtert seine verzerrte Wahrnehmung und sein fehlerhaftes Gedächtnis. Wie Raven ist er ein Ich-Erzähler, der über seinen zwielichtigen Charakter keinen Zweifel lässt, ohne dass sofort deutlich wird, welche eigenen Interessen er verfolgt. Zwar ermöglicht die Ich-Erzählung es den Zuschauer*innen sich in seine Gedankenwelt hineinzuversetzen und seine Wahrnehmung der Ereignisse zu verstehen, was aber nicht gleichzeitig bedeutet, dass er es ihnen erspart, seine Version der Ereignisse kritisch zu hinterfragen. Er präsentiert sich ihnen als Außenseiter und moralischer Held, aber seine Handlungen zeigen, dass seine Motive und Vorurteile seine Sichtweise beeinflussen. Die hohe Spannung und emotionale Dichte des Films ist dem unzuverlässigen Erzähler geschuldet, der sein Publikum bis zuletzt darüber im Unklaren lässt, wer die Wahrheit sagt, und wer lügt.
Den modernen Enkel dieser Gattung, Martin Scorseses Film Shutter Island, in das richtige Licht zu stellen, dient ein Blick auf Meilensteine der Schwarzen Serie: The Blue Dahlia von 1946, nach einem Roman von Raymond Chandler für den Film inszeniert von George Marshall, The Big Sleep, ein Film von Howard Hawks mit einem Drehbuch von William Faulkner (1946), die Vorlage ebenfalls von Chandler sowie Touch of Evil, den Orson Welles 1958 nach dem Kriminalroman Badge of Evil (1956) von Whit Masterson verfilmte, Erzählungen, in denen der unzuverlässige Erzähler ungeniert reüssiert.
In The Blue Dahlia spielt Alan Ladd einen traumatisierten Kriegsveteranen namens Johnny Morrison, der von Albträumen und Erinnerungen geplagt wird. Fälschlicherweise wird er des Mordes an seiner Frau beschuldigt und begibt sich auf die Suche nach dem wahren Täter. Die Geschichte seiner Rückkehr in die USA wird aus einer intern-fokalisierten Perspektive erzählt, sodass die Zuschauer*innen das Geschehen durch seine Augen erleben und unmittelbare Zeugen werden, wie er immer tiefer in eine mysteriöse Welt von Intrigen und Mord verwickelt wird. Auf diese Weise entwickelt sich das Geschehen verzwickter, als es zu Beginn den Anschein hat, und Johnny Morrisons Sicht auf die Ereignisse wird ambivalenter, denn sein Wissen über das Geschehen und seine Wahrnehmung der Ereignisse ist stark subjektiv geprägt und durch seine Kriegserinnerungen verzerrt. Trotzdem enthält der Film Momente, in denen andere Figuren seine Wahrnehmungen teilweise bestätigen, wie Brotkrümel im Wald verstreute Hinweise, die dem Publikum hilft, und das Geschehen etwas durchsichtiger macht, damit es vor lauter Bäumen den Wald noch sieht. Johnny Morrisons Bemühen, wahrheitsgemäß zu erzählen, so wie er die Ereignisse versteht, lässt ihn daher nicht ganz unglaubwürdig erscheinen. Doch die stilprägenden Elemente des Film Noir stellen seine Wahrnehmung der Wahrheit auf subtile Weise immer neu in Frage. Dazu tragen besonders die widersprüchlichen Aussagen von Joyce Harwood (Veronica Lake) bei, der Freundin von Johnnys bestem Freund und Kriegskamerad Buzz Wanchek (William Bendix). Immer wieder verschweigt sie wichtige Informationen, sodass Johnny ihr schließlich nicht mehr vertraut und sich entschließt, den Täter allein zu suchen. Buzz hilft ihm zwar dabei, doch er leidet an kriegsbedingter Amnesie und kann sich nicht genau erinnern, und seine Aussagen und Erinnerungen sind alles andere als deutlich und widerspruchsfrei. Der dritte unzuverlässige Erzähler im Bund ist Eddie Harwood (Howard da Silva), der Schwager von Joyce und ein zwielichtiger Nachtclubbesitzer, der dem Publikum verschiedene Versionen seiner Motive und Handlungen präsentiert, sodass sein Anteil an der Tat lange unklar bleibt. Wenn Johnny glaubt, etwas herausgefunden und verstanden zu haben, streuen diese drei unzuverlässigen Erzähler bewusst falsche Informationen, um ihre wahren Absichten im eigenen Interesse zu verschleiern und verwirren die Hauptfigur und das Publikum. Die Handlung des Films wird immer komplexer und undurchsichtiger, sodass die Spannung steigt und die Zuschauer*innen gezwungen sind, das Puzzle selbst zusammenzusetzen und nach Hinweisen auf die Wahrheiten zu suchen.5
In The Big Sleep ist Humphrey Bogart zu sehen, Erzähler und Figur, der den Detektiv Philip Marlowe spielt, der von einem reichen Mann angeheuert wird, um den Mord an seinem Partner zu untersuchen. Während seiner Ermittlungen gerät er in eine Welt von Betrug, Korruption und Verbrechen, in eine gefährliche Welt, in der Wahrheit und Lüge undurchsichtig miteinander verschmelzen. Er ist gezwungen, seine eigene Rolle in der Erzählung zu verbergen und zu verschleiern, um seine eigenen Ziele zu erreichen und um sicherzustellen, dass er nicht in Schwierigkeiten gerät. Die Autoren verwenden in Buch und Film eine geteilte Erzählinstanz. Obwohl Philip Marlowe ein homodiegetischer Ich-Erzähler ist, wird auch aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers erzählt, der aus seiner allwissenden Perspektive in die Handlung eingreift, und der Kenntnis der Gedanken und Gefühle verschiedener Figuren besitzt, von denen Marlowe nichts wissen kann. Trotzdem bleibt Marlowe als homodiegetischer Ich-Erzähler der wichtigste Erzähler, der seine Untersuchung des Verbrechens, seine Motive und Einsichten sowie sein Wissen aber nur sehr zögerlich mit den Zuschauer*innen teilt. Er ist ein weiterer unzuverlässiger Erzähler, der wichtige Details und Hintergründe verschweigt, um das Geschehen und andere Figuren zu manipulieren. Er gibt dem Publikum nur preis, was er für notwendig hält, um die Handlung voranzutreiben, ist vage und ausweichend, was nur ein begrenztes Verständnis von den tatsächlichen Ereignissen und Motivationen der Figuren ermöglicht. Neben Philip Marlowe gibt es weitere unzuverlässige Erzähler in The Big Sleep. Vivian Sternwood Regan (Lauren Bacall), die ältere Tochter des Millionärs General Sternwood, für den Marlowe arbeitet, ist eine manipulative und geheimnisvolle Figur, die ihn mit Worten und Handlungen verwirrt. Nicht nur Marlowe, auch dem Publikum fällt es schwer, ihre widersprüchlichen Angaben über sich, ihre Beziehungen und ihre Motivationen richtig einzuschätzen. Auch die jüngere Tochter des Millionärs Sternwood, Carmen Sternwood (Marth Vickers), eine impulsive, zu exzentrischem Verhalten neigende Persönlichkeit, ist undurchsichtig und schwer durchschaubar. Sie verfälscht die Wahrheit und lügt, um sich aus Schwierigkeiten zu befreien oder um ihre eigenen Interessen zu sichern. Sie agiert als unzuverlässige Erzählerin, sodass das Publikum nie genau weiß, wie es sie einschätzen soll.6 Eine Studie über die Frauenfiguren in diesen Filmen der Schwarzen Serie der 1940er und 50er Jahre gewährte tiefe Einblicke in das von Männern definierte Frauenbild dieser Epoche, dass von verdrängtem sexuellen Begehren des Mannes und mysteriös-unnahbarer, unerfüllbarer Fantasie von Weiblichkeit erzählte.
Wahrscheinlich ist The Big Sleep die bekannteste Film-Noir-Erzählung mit unzuverlässigen Erzähler*innen, da die komplexe Handlung der Geschichte sowie die verwirrenden narrativen Elemente die Zuschauer*innen direkt auffordern, die Wahrheit zu hinterfragen, ohne dass ihnen das auch gelingt. Als unzuverlässiger Erzähler relativiert und verschweigt Philip Marlowe wichtige Details so lange, bis die Aktualität der Handlung seine Informationen überholt hat, oder er lügt dreist, um seine eigenen Ziele zu verschleiern. Als Detektiv erscheint er zuverlässig und zielstrebig, als Erzähler aber alles andere als glaubwürdig, denn er sagt seinem Publikum nicht immer die vollständige Wahrheit, zieht eigene Schlüsse, die nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Philip Marlowe ist Hermes in Aktion, neigt dazu, seine eigene Rolle zu dramatisieren und übertrieben darzustellen, um sich den Zuschauer*innen als unabhängigen und tapferen Helden zu profilieren.
Orson Welles Film Touch of Evil, um ein letztes Beispiel eines unzuverlässigen Erzählers zu bemühen, ist ein Nachzügler der Schwarzen Serie, der erst 1958 in die Kinos kam. Welles setzt einen auktorialen Erzähler ein, der die Geschichte allerdings aus der Perspektive von Hank Quinlan (Orson Welles) erzählt, einem korrupten Polizeikommissar, der die Ermittlungen in einem Mordfall leitet. Er manipuliert Beweise und Zeugen, um einen unschuldigen Mann des Mordes zu überführen, nur um seine eigene Macht und Autorität zu sichern. Quinlan, Welles unzuverlässiger Erzähler, bringt die Zuschauer*innen dazu, die Wahrheit zu hinterfragen und die Perspektiven der Charaktere zu analysieren, um sich ihre eigene Meinung zu bilden, weil sie nie sicher sein können, ob das, was er erzählt, wahrnimmt, oder vorgibt zu wissen, auch der Wahrheit entspricht. Die beiden anderen Hauptfiguren, der Drogenfahnder Mike Vargas (Charlton Heston) und die mysteriöse Nachtclubsängerin Tanya (Marlene Dietrich) sind keine unzuverlässigen Erzähler. Ihre Perspektive auf das Geschehen wirkt glaubwürdig, und hilft so dem Publikum sich zurechtzufinden. Allerdings tragen beide zu der Atmosphäre der Unsicherheit und Unbeständigkeit bei, da sie häufig die Erzählposition von Quinlan stützen, denn ihre Perspektiven und Motivationen stehen oft im Widerspruch zueinander. Geschickt nutzt Orson Welles die visuellen Markenzeichen des Film Noir, wie lange Kamerafahrten und ungewöhnliche Kamerawinkel, um die Geschichte zu erzählen und die Emotionen und Motivationen der Figuren zu vermitteln, was die einzigartige Atmosphäre des Films ausmacht, der mit Sicherheit ein Klassiker des Genres ist.
Martin Scorseses Verbeugung vor Hollywoods Film noir
In seinem Psychothriller Shutter Island bewegt sich der Regisseur Martin Scorsese gekonnt in den Spuren seiner Vorgänger des Film noir. Aus einem ästhetischen Blickwinkel betrachtet, prägt seinen Film Noir ein hoher Kontrast von Licht und Schatten, ein breites Spektrum an Grautönen verursacht eine starke Betonung von Schatten und Dunkelheit. Martin Scorcese versucht in seinem Film Shutter Island mit zwar farbigen, doch kalten und gedämpft monochrom gehaltenen Bildern diese Ästhetik zu imitieren, was ihm trotz der Farbigkeit visuell durch das hermetische Worldbuilding und die klimatischen Atmosphären einer von drohenden Wolkenfronten, Stürmen und wildbewegtem Meer, das die Inseln umgibt, gut gelingt. Seine Wahl, in Farbe zu drehen, gestaltet die Düsternis der Erzählung aber optimistischer als es der Tragik der Hautfigur entspricht. Seine filmästhetische Atmosphäre erreicht sein Film durch den ungewöhnlichen Kamerawinkel und eine Beleuchtung, die eine irritierende Unruhe und das Gefühl der Isolation der Charaktere betont. Visuelle Details und die durch eine harte Beleuchtung hervorgehobene Texturen unterstützen dabei die dramatische Wirkung und emotionale Intensität sowie die Spannung und weitgehend pessimistischen Affekte, die das Spiel der Akteure im Publikum auslöst. Verstärkt wird die düstere, bedrohliche Atmosphäre durch die Verwendung von Schatten und Dunkelheit. Musik und Soundeffekte sind so gestaltet, dass sie die Angst und das Unbehagen der Figuren unterstreichen, und die unheimliche Stimmung des Films verstärken. Die schnellen Schnitte und ungewöhnlichen Montagetechniken spiegeln die Unruhe und das Gefühl der Verwirrung der Figuren wider, sodass auch die Rätselhaftigkeit und die Geheimnisse der Handlung betont werden.
Shutter Island von Martin Scorsese ist insofern ein außergewöhnlicher Film, weil er drei narrative Mittel kombiniert: einen unzuverlässigen Erzähler in einer hermetischen Welt mit einem furiosen, nicht zu erwartenden Plot Twist. Der Film basiert auf einem Drehbuch nach dem gleichnamigen Roman von Dennis Lehane aus dem Jahr 2003. Der zentrale Konflikt des Psychothrillers betrifft die Wahrnehmung und das Wissen der Hauptfigur, den schmalen Grat von Wahrheit und Täuschung seiner Erlebnisse zu unterscheiden. Ob als Buch oder als Film, Psychothriller bilden die ideale Bühne für den Auftritt des unzuverlässigen Erzählers. Der US-amerikanische Regisseur Martin Charles Scorsese (*1942), dessen internationales Renommee nicht besonders hervorgehoben werden muss, hat gemeinsam mit der Drehbuchautorin Laeta Elizabeth Kalogridis (*1965), die an den Drehbüchern für X-Men, Tomb Raider und Avatar mitgewirkt hat, Lehanes Roman von 2010 in die filmische Version von Lehanes düsterer Welt der Intrigen, Verwirrung und Finsternis adaptiert. Für die filmische Adaption von Lehanes Roman nutzten die Autoren die klassischen Elemente des Horrorfilms sowie des Film noir, die die erzählte Welt Shutter Island mit ihren unheimlichen Wäldern und einem mysteriösen, abgelegenen Leuchtturm optimal ins Bild setzen, und so eine Atmosphäre schaffen, die von Spannung, Paranoia und Verwirrung geprägt ist. Die anhaltend ambivalente Stimmung der Figuren, deren Motive und Konsequenzen nie deutlich auszumachen sind, ziehen die Zuschauer*innen auf ihrem Weg durch die immer nur spürbaren Geheimnisse der Erzählung unmittelbar in den Bann, eine Wirkung, die Kameraarbeit und Musik weiter verstärken.
Die Geschichte des Films von Scorsese und Kalogridis konzentriert sich auf die Ermittlungen des US-Marshals Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) und seines Partners Chuck Aule (Mark Ruffalo). Im Jahr 1954 werden die beiden Marshals beauftragt, auf dem abgelegenen Shutter Island, eine hermetisch geschlossene Welt bedrückender Atmosphären von Isolation und Unwirklichkeit, die eine psychiatrische Einrichtung für kriminelle Geisteskranke beherbergt, das mysteriöse Verschwinden einer Insassin aus dem Ashecliffe Hospital zu untersuchen. Schnell stellen sie fest, dass die Insel und ihre Einwohner seltsame Geheimnisse verbergen, und dass ihre Mission weitaus komplizierter ist, als sie ursprünglich erwartet hatten. Von Beginn an prägt die filmische Erzählung die beeindruckende Darstellung des zerrütteten und traumatisierten US-Marshals durch Leonardo DiCaprio, den seine Dämonen rastlos durch die labyrinthischen Flure, Räume und Keller der Gebäude und über die wilde meerumtoste Insel treiben. Teddy Daniels wird von Albträumen und Halluzinationen geplagt, die sich um seine verstorbene Ehefrau und Erinnerungen an die Befreiung des KZ Dachau drehen, an der er beteiligt war. Körperliche Beschwerden, vor allem Kopfschmerzen, Übelkeit und Benommenheit, die ihn schon während der Anreise quälen, verschlimmern sich zunehmend. Die Recherchen auf dem Klinikgelände und unter dem Personal überzeugen ihn davon, dass er es mit einer Verschwörung zu tun hat. Besonders nachdem er feststellt, dass eine nicht auffindbare Person inkognito behandelt wird, wird er zunehmend paranoid. Nicht nur der Psychiater und Direktor Dr. John Cawley (Ben Kingsley) und sein Kollege, Dr. Jeremiah Naehring (Max von Sydow), ein deutscher Psychiater und ehemaliger Kriegsgefangener, verhalten sich verdächtig, auch die Interaktionen und die Atmosphäre werden zunehmend verwirrender, und verstören Teddy Daniels weiter, der bereits bei seiner Ankunft auf der Insel beunruhigt, übermotiviert und unterschwellig aggressiv auftritt. Ihr Auftrag, das Verschwinden der Patientin zu untersuchen, stößt gleich zu Beginn auf Daniels verborgenes Misstrauen. Während der Ermittlungen gerät er in einen psychischen Strudel. Sein Verhalten, seine Interaktionen und seine Reaktionen werden immer eigenartiger, beeinflussen seine Wahrnehmung der Realität und lösen bei den Zuschauer*innen ein wachsendes Gefühl der Irritation aus. Teddy Daniels ganzes Verhalten sieht danach aus, als sei der US-Marshal in eine psychische Krise geraten, während sein Partner das seltsame Benehmen des Klinikpersonals gelassen hinnimmt.
Die personal inszenierte Erzählfigur Teddy Daniels erzählt die Geschichte aus seiner subjektiven Perspektive, gestattet dem Publikum einen Blick durch seine Augen, und öffnet ihnen seine Gedanken und Gefühle. Das führt dazu, dass die Zuschauer*innen ihm vertrauen, dann aber immer unsicherer werden, ob sie ihm wirklich vertrauen können, oder ob er mehr weiß und wahrnimmt, als er ihnen mitteilt. Da es im Film keine allwissende Erzählperspektive eines auktorialen Erzählers gibt, ist die Rezeption der Erzählung ganz auf die begrenzte Perspektive eines heterodiegetischen Erzählers angewiesen, der selbst keine Figur der erzählten Welt ist, allerdings über eine genügende Innersicht (internen Point of View) verfügt, um die psychische Befindlichkeit von Teddy Daniels darzustellen. Seine Erzählfigur Teddy Daniels ist zur Introspektion fähig, sodass das Publikum tiefe Einblicke in seine Gedanken- und Gefühlswelt erhält, die aber auch nicht dazu beitragen, dass seine Erzählung plausibler wird. Während er auf der Insel ermittelt und, nachdem er die verschwundene Patientin gefunden hat, weiter nachforscht, um sich über die eigenartigen Eindrücke, die ihn zunehmend heimsuchen, ein Bild zu machen, schwanken Figur und Publikum gemeinsam zwischen Teddy Daniels verzerrter Wahrnehmung und einer irgendwie gearteten Realität.
Shutter Island ist eine abgeschlossene Welt, die nur geringe Kontakte mit der Außenwelt unterhält. Das sagt schon der Titel des Films, denn shutter bedeutet Verschluss, und eine bessere Signatur für ein hermetisches Worldbuilding gibt es nicht. In eine solche Welt dringen kaum Informationen, die sich auf Entwicklungen und Veränderungen der Normen und Werte der Figuren auswirken. Das Erzählkonzept der hermetischen Welt fokussiert auf eine Erzählweise, die eine eigene Realität beschreibt, die Fantasy, Science-Fiction und auch den Mysterythriller charakterisieren. In Shutter Islands hermetischer Welt gibt es eine klar definierte Hierarchie, eigene Regeln und eine Sub-Kultur, die sich stark von der Außenwelt unterscheidet. Die Figuren zeichnet ein tiefes Verständnis für diese Strukturen aus, denn sie sind ein integraler Teil dieser Welt, was der Film Matrix der Gebrüder Wachowski konsequent nutzt. Eine ideale Umgebung, die die Wahrnehmung von Teddy Daniels auf seine eigenen Emotionen und Affekte lenkt, der eine Korrektur von außen fehlt. Durch die Figuren, besonders aber durch den Erzähler, wird das Publikum allmählich in diese Welt und ihre Gesetze und Geheimnisse eingeführt. Die Insel selbst bildet dabei die Metapher für die erzählte Welt, hermetisch vom Meer und einer starken Brandung umgeben und schwer zugänglich. Das abgelegene Shutter Island mit der von hohen, bewachten Mauern umgebenden Psychiatrie, bilden ein hervorragendes Beispiel für das Erzählkonzept der hermetischen Welt, in der der diegetische Raum zentraler Bestandteil von Handlung und Atmosphäre ist, ein narratives Element, das Scorsese dem haunted house horror entlehnt hat. Der größte Teil der Handlung findet innerhalb der Mauern der Psychiatrie statt, die aus verschiedenen Gebäuden besteht. Die Insel ist von einer wilden, unwegsamen Landschaft umgeben, die von Klippen und Felsen durchzogen ist. Häufig wüten Stürme, deren Bedrohung während des ganzen Films präsent ist und dazu beiträgt, die unheimliche und bedrohliche Atmosphäre aufrechtzuerhalten, die die Erzählung auszeichnet. Dunkle, unheilvolle Wolken und der stark wehende Wind verstärken das Gefühl von Isolation und Verlorenheit, welche die Hauptfigur des Films erlebt. In diese Welt geraten die beiden Hauptfiguren, Teddy Daniels und Chuck Aule, wie es zuerst scheint unvorbereitet, eine Welt, die von den Regeln der psychiatrischen Anstalt beherrscht wird, in der sie ihre Recherche durchführen müssen. Die Psychiatrie stellt eine kafkaeske, komplexe und undurchsichtige Institution dar, deren einschüchterndes Regelwerk von der Hauptfigur einerseits nicht verstanden und andererseits als behindernd erlebt wird, von deren starren Regeln und Geheimnissen sich Teddy Daniels bedroht fühlt. Hinzu kommt, dass die Geschichte in einer Kombination von Analepsen (Rückblenden) und Prolepsen (Vorwärtsbewegungen) erzählt wird, die das Publikum zwingt, sich ständig neu zu orientieren, um eine alternative Wahrheit zu enthüllen, die es die ganze Zeit hinter der Geschichte vermutet, sie aber nicht zu greifen kann. Die hermetische Welt, in der der US-Marshal versucht, seinen Job zu erledigen, erschwert diese Mühe und verstärkt das Gefühl seiner Isolation.
Das wichtige Stilmittel in Dennis Lehanes Roman sowie in Martin Scorseses Film Shutter Island ist der unzuverlässige Erzähler, ohne den die Spannung und der psychologische Realismus der Erzählung nicht gelungen wäre. Die Ereignisse auf Shutter Island werden durch diesen unzuverlässigen Erzähler vermittelt, der allmählich eine starke emotionale Verbindung zwischen dem Publikum und den Protagonisten erzeugt. Der häufige Wechsel der Erzählperspektive zwischen der Innen- und Außenwelt von Teddy Daniels führt zunehmend dazu, dass die Zuschauer*innen bezweifeln, ob das, was die Figur erlebt, wirklich real ist oder nur in ihrem Kopf stattfindet. Die häufigen Rückblenden in Teddy Daniels Vergangenheit verstärken diesen Effekt und verdeutlichen seine psychische Instabilität. Ein weiteres wichtiges narratives Element ist die Verwendung von Symbolen und kafkaesken Metaphern, insbesondere die symbolische Verwendung der Elemente Wasser, Feuer und Sturm. Die Integration dieser Symbole in verschiedene Szenen der Geschichte verdeutlichen Teddy Daniels mentale Zerrissenheit. Wasser symbolisiert das Unterbewusste und das Flüssige seiner emotionalen Instabilität, während Feuer und Sturm seine Wut, Verzweiflung und Aggressivität repräsentieren. Während die Erzählung fortschreitet und das Geschehen immer mysteriöser wird, zwingt der unzuverlässige Erzähler die Zuschauer*innen, sich in Teddy Daniels intern-fokalisierte Erzählperspektive einzufühlen und seine verzerrte Realität zu akzeptieren, sodass ein tiefes emotionales Engagement entsteht, das sie intensiv in das Geschehen einsaugt, eine Wirkung des suspense of disbelief. Die zurückgehaltenen Informationen und nicht mitgeteilten Wahrnehmungen ermöglichen dem unzuverlässigen Erzähler eine bis an die Grenze der Erträglichkeit gesteigerte Spannung, mit der er sein Publikum mental beschäftigt und emotional ablenkt, um es leichter auf falsche Fährten zu locken. Mit fadenscheinigen Informationen, die er für wahr erklärt, und die Figur und Publikum als wahr akzeptieren, verleitet er es zu falschen Schlussfolgerungen, bis er sie am Ende, von der unerwarteten Wendung der Geschichte überrascht, schockiert und verwirrt aus der Erzählung entlässt. Dass Teddy Daniels als heterodiegetische Erzählfigur unzuverlässig ist, verstehen die Zuschauer*innen, ähnlich wie in The Sixth Sense, erst in der finalen Szene im Leuchtturm, als ihnen bewusstwird, dass US-Marshal Teddy Daniels, inzwischen selbst in Zweifel über seine Identität verstrickt, sich den rationalen Argumenten des Direktors der Einrichtung und seines Partners öffnet, der sein Therapeut ist. Erst jetzt erfahren sie die Wahrheit: Teddy Daniels ist selbst Patient auf Shutter Island, der an einem Test teilnimmt, der über seine Entlassung entscheiden soll, und dass die meisten seiner Wahrnehmungen und Erinnerungen verzerrt oder falsch sind, und dass im Verlauf seiner Recherche seine Psychose die Kontrolle über das Geschehen übernommen hat. Der überraschende Plot-Twist am Ende des Films erlöst das Publikum aus der intensiv zugenommenen Spannung mit dem Gefühl: Ich hatte schon die ganze Zeit ein so eigenartiges Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Wieder einmal hat es der unzuverlässige Erzähler geschafft, das Publikum zu täuschen, falsche Spuren zu legen, und Teddy Daniels Charakter bis zuletzt im Dunkeln zu lassen.
Die Verwendung eines unzuverlässigen Erzählers, verbunden mit einem Plot-Twist und einer hermetischen Welt, wird auch außerhalb der Schwarzen Serie eingesetzt, um Filme fesselnd zu inszenieren, in denen das Geschehen bis zuletzt unvorhersehbar bleiben soll. Wenn ich auch Shutter Island für das gelungenste Beispiel halte, gibt es andere, neuere Filme, die diesen Kriterien entsprechen, da sie, wie auch Shutter Island, psychisch kranke Persönlichkeiten als unzuverlässige Erzähler einsetzen. Damit stehen sie in einem krassen Gegensatz zu den oben erläuterten Beispielen des Film Noir. Das Geschehen in Filmen wie Fight Club (1999) von David Fincher, Memento (2000) und Inception (2010) von Christopher Nolan sowie The Usual Suspects (1995) von Bryan Singer inszenieren in einer hermetischen Welt das Gefühl der Isolation und der Unwirklichkeit, in der die Figuren und die Zuschauer*innen tief eintauchen, und sich auf die gleiche Weise gefangen fühlen wie die Figuren, deren Erlebnisse sie verfolgen. Ein unzuverlässiger Erzähler, der das Geschehen auf einen Plot-Twist zutreibt, ist in dieser filmischen Umgebung zu Hause.
Der namenlose Erzähler (Edward Norton) in Fight Club erzählt aus der Ich-Perspektive, und beteiligt die Zuschauer*innen unmittelbar an seinen Gedanken und Emotionen. Der Plot-Twist am Ende des Films zeigt, dass der Erzähler seine Persönlichkeit in zwei separate Identitäten aufgeteilt hat und der Zuschauer die ganze Zeit von einem unzuverlässigen Erzähler getäuscht wird. Die Hauptfigur leidet an einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung, was nicht direkt thematisiert wird, im Film aber an charakteristischen Symptomen wie Amnesie, Depersonalisation und Identitätswechsel erkennbar ist. Die erzählte Welt in Fight Club ist eine hermetische, die aus der zunehmenden Entfremdung, Isolation und Rebellion des Erzählers gegen das herrschende System besteht. Er findet Trost und Befriedigung in der Gewalt, die er im Fight Club ausübt, organisiert von Tyler Durden (Brad Pitt), seiner alternativen Persönlichkeit. Die radikale Ablehnung der bestehenden Gesellschaft und der Schaffung einer alternativen Identität und Realität, eine Ideologie, die das System und die Gesellschaft, in der er lebt, radikal ablehnt, reflektiert die Abgeschlossenheit seiner Lebenswelt, eine Entwicklung, die schließlich in einem tragischen Finale endet.
Der Erzähler Leonard Shelby (Guy Pearce) in Memento erscheint ebenfalls als unzuverlässiger Erzähler, der sich in der hermetischen Welt seiner vagen und verzerrten Erinnerung bewegt. Er leidet an einer psychischen Störung, an anterograder Amnesie7 und versucht den Mord an seiner Frau zu rächen, obwohl er nicht in der Lage ist, neue Erinnerungen zu bilden und sich an das zu erinnern, was seit dem Tod seiner Frau geschehen ist. Er erzählt seine Geschichte nicht-linear und zwingt die Zuschauer*innen eigene Schlüsse zu ziehen, um die Wahrheit herauszufinden. Der unkonventionelle Plot-Twist, der die ganze Geschichte auf den Kopf stellt, besteht darin, dass Leonard Shelby doch nicht der unzuverlässige Erzähler ist, als den er sich selbst darstellt. Stattdessen ist er der Mörder seiner Frau und der Mann, den er die ganze Zeit über als den Schuldigen gejagt hat, ein von ihm erfundener Sündenbock.
The Usual Suspects erzählt von einer Gruppe von Kriminellen, die in einen Raubüberfall verwickelt ist, von einer Welt der Kriminalität und Gewalt. Die Figuren werden von ihrer Vergangenheit verfolgt und können nicht vor den Konsequenzen ihrer Handlungen davonlaufen. Die erzählte Welt ist auf den Raum begrenzt, in dem die Charaktere gefangen sind. Der Erzähler Verbal Kint (Kevin Spacey) ist ein weiterer unzuverlässiger Erzähler, dessen Erzählung die Wahrnehmung der Zuschauer*innen in der Schwebe hält, weil sie sich nie sicher sein können, was real und was fiktiv ist. Erst der Plot-Twist am Ende des Films löst das Rätsel. Der Erzähler ist der einzige Überlebende des Raubüberfalls, ein unzuverlässiger Erzähler, der eine fiktive Figur namens Keyser Söze erfunden hat, um sich selbst zu schützen.
Auch in Inception verwendet Christopher Nolan wieder ähnliche narrative Mittel wie in Memento, um eine Geschichte zu erzählen. Ein Mann namens Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) bricht mit seinem Team in die Träume anderer Menschen ein, um Geheimnisse zu stehlen oder um ihnen Ideen einzupflanzen. Diese Ideen markieren den Anfang (inception) einer neuen oder veränderten Entscheidung, die den Auftraggebern der Traumdiebe materielle oder ideelle Vorteile verschaffen soll. Zu diesem Zweck konstruieren die Diebe imaginäre Welten im Bewusstsein der Träumenden, ineinander verschachtelte fiktive Räume, in die sie sich hineinträumen.8
Der Film erzählt aus der homodiegetischen Perspektive von Dom Cobb, der Hauptfigur, folgt seinen Gedanken und Handlungen, sodass die Zuschauer*innen die Ereignisse aus seiner Perspektive erleben, während er versucht, in die Träume anderer Personen einzudringen und ihre Gedanken zu manipulieren. In einem zweiten, zuerst maskierten Handlungsstrang versucht Dom Cobb seine traumatische Vergangenheit zu bewältigen. Dazu belügt und manipuliert er seine Partner, was ihn filmintern bedingt als unzuverlässigen Erzähler kennzeichnet, denn seine wahre Identität ist nicht so vollkommen verschleiert wie die von Teddy Daniels. Der Ich-Erzähler, der er selbst ist, aber auch seine Partner, verstreuen Hinweise wie Brotkrümel, aus denen sich Schlüsse über Cobbs Motive ziehen lassen, obwohl lange nicht deutlich ist, wie verzerrt dessen Perspektive und wie instabil seine Realitätssicht in Wahrheit ist. Als unzuverlässiger Erzähler erzählt er nicht alles, sondern hält essenzielles Wissen zurück, und maskiert seine Wahrnehmung. Und wieder ist es ein Plot-Twist, der am Ende (während des letzten Kicks, um in die Realität zurückkehren zu können) deutlich macht, dass Cobb die ganze Zeit seine Präsenz im Traum falsch kommuniziert und damit nicht allein seine Partner belügt und gefährdet, sondern auch das Publikum über seine wahren Motive und Interessen täuscht, die lange Zeit an seine Ernsthaftigkeit glauben, mit der er vorgibt, sein Projekt uneigennützig zu verfolgen. Obwohl Cobb seiner Frau und seinen Kindern immer wieder in den künstlichen Welten des Traums begegnet, wirken diese Begegnungen akzidentiell und bleibt die Bedeutung dieses Motivs lange im Dunklen. Die Mitglieder seines Teams wissen zwar davon, weil sie sie miterleben, halten diese Entwicklung auch für gefährlich, ahnen aber nicht, dass Dom Cobb sie selbst herbeiführt. Die Präsenz von Cobbs Frau, die in den Traumwelten, die er inszeniert, auftritt, und mit der er sichtbar eine Beziehung führt, bleibt lange ein Rätsel, dessen Tragweite das Publikum erst sehr spät versteht. Die Traumwelten, die die Vorstellungskraft des Erzählers schafft, und der spät zutage tretende Plot-Twist, auf den der Film zusteuert, stellt die Zuschauer*innen konsequent vor die Frage, was eigentlich in der Realität passiert, ohne dass sie dies überzeugend beantworten können. Der Traum im Traum, insbesondere derjenige, in dem Dom Cobb sich eine imaginäre Welt geschaffen hat, um weiter mit seiner gestorbenen Frau (und seinen Kindern) zusammen zu sein, ist eine hermetische Welt, in die sein Bewusstsein seit dem Tod seiner Frau immer wieder zurückkehrt, gefangen in dem latenten Wunsch, für immer zu bleiben.
Anmerkungen
1 Victor Crapanzano, Hermes` Dilemma: The Masking of Subversion in Ethnographic Description, in: James Clifford and George E. Marcus, Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography, University of California, 1986:51-76.
2 Walter Benjamin, Illuminations, New York, 1969:75.
3 J.R.R. Tolkien, Über Märchen, Die Ungeheuer und ihre Kritiker, Gesammelte Aufsätze, Stuttgart, 1987:190.
4 Vgl. Herbert W. Jardner, Weblog Grüne Sonnen, Mein Name ist Kvothe: [ https://gruenesonnen.blogspot.com/2023/01/mein-name-ist-kvothe.html ]; Patrick Rothfuss, Der Name des Windes, Ebook, Stuttgart, 2010:67.
5 Zwei andere Klassiker des Film Noir mit Alan Ladd, die sich eines unzuverlässigen Erzählers bedienen und zeigen, wie er die Geschichte verändert und den Zuschauer in die Irre führt, sind: The Great Gatsby (1949) und The Badlanders (1958). F. Scott Fitzgeralds Roman, mittlerweile fünfmal verfilmt, zuletzt mit Leonardo DiCaprio in der Titelrolle und Tobey McGuire in der Rolle des unzuverlässigen Erzählers, erfreut sich ungebrochener Beliebtheit des internationalen Kinopublikums. Nick Carraway, der Jay Gatsby und seine Vergangenheit idealisiert und ihn sympathischer macht, als er tatsächlich ist, lässt sich durch seine persönliche Beziehung zu den anderen Figuren der Erzählung, durch seine persönlichen Vorurteile und negativen Empfindungen in seiner Erzählperspektive beeinflussen.
6 Wichtige Filme dieser Gattung sind auch The Killing (1956) von Stanley Kubrick sowie Laura (1944) von Otto Preminger. Beide Filme enthalten überraschende Wendungen und eine unzuverlässige Erzählstruktur, die die Zuschauer*innen dazu verleitet, die präsentierten Annahmen zu hinterfragen, zu verwerfen, sich eigene Vermutungen über das Geschehen zu bilden, sie wieder verwerfen und so weiter, bis die Verwirrung komplett ist.
7 Eine Gedächtnisstörung, bei der die Bildung eines Neugedächtnisses - Speicherung neuer Informationen - ab dem Zeitpunkt der Schädigung nicht mehr möglich ist. Erinnerungen aus der Zeit davor können allerdings nach wie vor abgerufen werden.
8 Eine alternative Perspektive besteht in der Auffassung, die Traumwelten, in der Cobbs Team einbricht, als parallele Realitäten im Sinne der Viele-Welten-Theorie zu interpretieren (Vgl. Herbert W. Jardner, Die Entfremdung des Alltäglichen, Grüne Sonnen, 2024 sowie Herbert W. Jardner, Das unwahre Leben der Grace Stewart, Grüne Sonnen, 2024).
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