Donnerstag, 5. September 2024

Mein Name ist Kvothe!


Aber gerade ihr solltet doch im Klaren sein, wie schmal der Grat ist,
der die Wahrheit von einer überzeugenden Lüge trennt.
Die historische Wahrheit von einer unterhaltenden Geschichte

Kote in Der Name des Windes.1

Die Konstruktion postmoderner Fantasy in Patrick Rothfuss` Königsmörder-Chronik

Die Königsmörder-Chronik von Patrick Rothfuss ist eine epische Fantasy-Romanreihe, die neuerdings in drei Romanen und zwei Novellen vorliegt: Der Name des Windes (2007; The Name of the Wind) und Die Furcht des Weisen (2011; The Wise Man's Fear). Mittlerweile gibt es vier Spin-offs der Königsmörder-Chronik: die drei Novellen The Lightning Tree (in George R. R. Martin and Gardner Dozois (ed.), Rogues, 2014), Die Musik der Stille (2015; The Slow Regard of Silent Things [2014]) sowie Der Weg der Wünsche (2023; The Narrow Road Between Desires), die das Schicksal der Nebenfiguren Bast oder Auri weiterverfolgen, sowie die Kurzgeschichte How Old Holly Came To Be (in Shawn Speakman, Unfettered 2013).
In den primären Erzähltexten steht Kote-Kvothe im Zentrum, ein legendärer Magier, Musiker und Abenteurer, der seine Lebensgeschichte im Gasthaus am Wegstein einem reisenden Chronisten erzählt. Die Romanstruktur und die Erzählperspektiven bieten interessante Einblicke in die Art und Weise, wie Autoren Phantastischer Literatur ihre Erzähltexte konstruieren. Das erzähltextanalytische Instrumentarium von Franz K. Stanzel und Gérard Genette, das ich in meiner Studie anwenden werde, bildet einen ausgezeichneten Werkzeugkasten für einen Blick hinter die Kulissen einer populären Fantasy-Serie.*

* Vgl.a. Herbert W. Jardner, Die Konstruktion sekundärer Welten, Blogbeitrag Grüne Sonnen, 2023.

Seit den 1950er Jahren wurde es zunehmend üblich, dass erfolgreiche Fantasy-Autoren ein strukturelles, narratives Mittel wieder verwenden, das Erzähler schon im Mittelalter entwickelt hatten – die Technik des Interlacement (entrelacement).2 In die moderne Fantasy-Literatur eingeführt haben diese Technik insbesondere Autoren wie J.R.R. Tolkien für sein epochales Werk The Lord of The Rings sowie in dessen Nachfolge Robert Jordan in The Wheel of Time. Im Gegensatz zu den Erzähltexten der heroischen Fantasy sowie der sword and sorcery, die mehrheitlich einem linear-progressiven Diskurs folgen, auf dem sich Reflektorfiguren (POV) auf einem Zeitstrahl bewegen, orientiert sich die epische high fantasy an der Tradition von Werken mit einer breiteren Perspektive und komplexen, in mehrere parallele Erzählstränge gebündelte Plots. Neuerdings hat G.R.R. Martin in seinem Epos A Song Of Ice And Fire diese literarischen Instrumente im Rahmen seiner realistic oder historical fantasy virtuos vorgeführt, und für sein Interlacement-Konzept jeweils eigene, perfekt korrespondierende Point-of-View-Charaktere entwickelt.3 Diese beiden narrativen Mittel markieren mittlerweile den Unterschied zwischen dem talentierten, kreativen Autor und dem vielgelesenen und publizistisch erfolgreichen Autor.

Patrick Rothfuss schlägt in seinem mehrbändigen Debüt der Königsmörder-Chronik einen anderen Weg ein, den er allerdings nicht als erster ging.4 Der Diskurs, den P. Rothfuss für seine beiden bereits vorliegenden Bände seines Fantasyzyklus entworfen hat, ist, wie bei einem solchen Erzähltext eigentlich zu erwarten, nicht durchgängig linear-progressiv konstruiert. Kote, die Hauptfigur der Rahmenerzählung, erzählt in einer inkludierten Binnenerzählung sein Leben als Kvothe linear-regressiv. Kote erzählt in der Retrospektive, berichtet über bereits Vergangenes, über schon Geschehenes in der Rahmenerzählung, sodass unterschiedliche narrative Diskurse entstehen. Auf beiden Erzählebenen existiert mit dem Double Kote-Kvothe nur ein einziger Erzähler, der aus zwei verschiedenen, zeitlichen Perspektiven erzählt: Kvothe im fiktiven Damals versus Kote im fiktiven Jetzt. Patrick Rothfuss hat sein von der Kritik begeistert aufgenommenes Erstlingswerk in verschachtelte Erzählebenen gegliedert. Epische Fantasy-Erzählungen wie die seinen, nutzen traditionell nicht nur die Interlacemant-Technik, sondern werden im allgemeinen auch in der dritten Person (ER) und im Präteritum verfasst. In den meisten dieser Erzählungen gibt es, generell betrachtet, den personalen Erzähler5 oder die auktoriale Erzählsituation.6 Ein ICH-Erzähler7 wie Kvothe, die Hauptfigur in Rothfuss` Roman, ist dagegen seltener. Die beiden bisher veröffentlichten Teile der Königsmörder-Chronik stehen außerdem in der Tradition eines Bildungs- und Erziehungsromans, in denen die magischen und künstlerischen Talente, die von der Hauptfigur Kote-Kvothe erst erworben werden müssen, den Fokus der Erzählung bilden. Die Entwicklung der Ereignisse lebt von den sukzessiven Veränderungen der sozialen Rolle und den inneren Konflikten dieser narrativ ambivalenten Erzählfigur. Die äußere Handlung, in die sie eingebettet ist, konstruiert der Autor episodisch und dramatisch. Dabei liefern die einzelnen Episoden immer nur Auslöser und Impulse, die für die Entwicklung der Persönlichkeit Kvothes erforderlich sind.8 Soweit eine kurze Skizze des Gegenstands dieser Studie, und nun ein Schritt nach dem anderen.

Die biografische Chronik als Textsorte der Fantasy

Im Untertitel der Königsmörder-Trilogie, der als Paratext gedacht ist, beansprucht Patrick Rothfuss für seine unvollendete Trilogie das Attribut eine Chronik zu sein.9 Bei einer Chronik handelt es sich um eine Geschichts-Prosa, die historische Ereignisse in zeitlicher Reihenfolge geordnet darstellt. Chroniken reichen von knappen, reinen Datenlisten bis zu ausführlichen Schilderungen für einzelne Jahresereignisse und wie bei der Fantasy-Erzählung dieser Studie auch um individuelle Biografien mit Herkunfts- und Familienhintergrund wie beispielsweise Snorris Chronik der norwegischen Könige Heimskringla. Nicht verschwiegen werden darf, dass Chroniken, trotz ihres Anspruchs historisch zu sein, immer fiktive Texte sind, selbst so bedeutende Texte wie die Germania oder die Annalen des Tacitus, die Angelsächischen Chroniken oder die Gesta Danorum des Saxo Grammaticus. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, begegnet den Leser*innen der Königsmörder-Chronik gleich zu Beginn ein reisender Chronist, dem der Erzähler der Rahmenerzählung seine Biografie in die Feder diktiert.
Eine andere Chronik postmoderner Fantasy-Literatur ist der Lebensbericht von Fitz Chivalric Weitseher, in der ein Ich-Erzähler seine Biografie mit der Geschichte der Weitseher-Dynastie und des Königreichs der sechs Provinzen verwebt.10 Robin Hobb bedient sich in ihrer Weitseher-Serie eines Ich-Erzählers, nämlich Fitz Chivalric Weitseher, der seiner Lebensgeschichte einen Kommentar vorausschickt, der auf seine besondere Herkunft hinweist. Fitz beginnt seinen Lebenslauf in seinem sechsten Jahr, als ein kleiner, eltern- und heimatloser Junge von ungewisser Herkunft, der auf einem militärischen Stützpunkt abgegeben wird, umgeben von geheimnisvollen Gerüchten und Vermutungen, er sei der illegitime Sohn des Thronfolgers Prinz Chivalric:

Mein Blick in die Vergangenheit reicht bis zu meinem sechsten Lebensjahr zurück. Davor ist nichts, eine absolute Leere, die keine Anstrengung meines Bewusstseins je zu füllen vermochte – als hätte ich erst an jenem Tage in Mondesauge zu existieren begonnen. Doch an dem Zeitpunkt setzt die Erinnerung schlagartig ein, mit einer Schärfe und Deutlichkeit, die mich überwältigt, aber auch Zweifel weckt an ihrer Glaubwürdigkeit. Entstammen die Bilder meinem Gedächtnis oder den dutzendfachen Wiederholungen aus dem Mund von Mägden, Küchenjungen oder Stallburschen, die sich gegenseitig meine Anwesenheit erklärten? Vielleicht habe ich die Geschichte so gehört und von so vielen Seiten, daß ich sie für meinen ureigenen Besitz halte?11

Auch Kvothe, dem Ich-Erzähler in Der Name des Windes, ist es wichtig, dass den Leser*innen sein besonderer Status, der bis in die Kindheit zurückreicht, und seine narzisstische Persönlichkeit markiert, bewusst ist, bevor er mit seiner Biographie beginnt:

Mein Name ist Kvothe. Namen sind wichtig, denn sie verraten viel über einen Menschen. ich habe schon mehr Namen getragen als irgendjemand rechtmäßig tragen dürfte. [...] Jeder Erzähler ist anders. Jeder möchte, dass man seine Geschichte nicht anrührt. Aber alle schätzen auch einen aufmerksamen Zuhörer. [...] Mein Name ist Kvothe. [...] Ihr habt womöglich schon von mir gehört.12

Ein weiteres Motiv leitet häufig die Charakteristik besonderer Protagonisten in den Erzählungen ein, wie im folgenden Beispiel die von Kvothe:

Euch mag das nicht ungewöhnlich erscheinen, ich aber fand es seltsam. Während ich bei den Edema Ruh aufwuchs, war mein Zuhause nie ein bestimmter Ort gewesen. Mein Zuhause war eine Wagenkolonne und bestimmte Lieder am Lagerfeuer. Als meine Truppe ermordet wurde, verlor ich mehr als meine Eltern und Kindheitsfreunde. Es war, als wäre meine ganze Welt bis auf die Grundfesten niedergebrannt. [...] In mancher Hinsicht war es tröstlich, aber der Edema Ruh in mir blieb rastlos und sträubte sich gegen den Gedanken, irgendwo Wurzeln zu schlagen.13

Das Mythen- und Märchenmotiv des verlorenen Sohnes oder des ausgesetzten Prinzen ist universell; wahrscheinlich sogar archaisch. In der Bibel tritt er beispielsweise in der Gestalt des Moses auf, im altenglischen Versepos Beowulf als Scyld Scefing (Sceaf), einer der illegitimen Söhne Óðinns. Beide wurden als Kind in einem Boot ausgesetzt, und schon sehr früh aus eigener Kraft die Persönlichkeit, als die sie in der Mythologie ihrer Platz behaupten. In den Märchen kommt diese Figur als Dummling, Tor oder jüngster Sohn vor, der erst nach schwierigen Prüfungen und Herausforderungen seine Identität entfaltet, und schließlich zu sich selbst findet:

Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste gescheit und wußte sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, und wußte nichts zu begreifen und lernen: und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: »mit dem wird der Vater noch seine Last haben!14

Es ist kein Zufall, dass Kvothe in seiner Kindheit schlicht nur Kvothe hieß. Sein Vater sagte ihm einmal, das bedeute zu wissen.15 Die Großen Arkana des Tarot fassen diesen Archetypus im Bild des Narren zusammen, dessen Weisheit sich hinter einem bunten Narrengewand versteckt. Und so begegnet Kvothe den Leser*innen zum ersten Mal auch als Mitglied einer reisenden Theater- und Schaustellertruppe der Edema Ruh. Wenn es sich auch mit Kvothes Herkunft etwas anders verhält, vereint ihn doch seine Entwurzelung nach dem Mord an seinen Eltern mit Fitz und den anderen, zahlreichen eltern- und heimatlosen Helden, die seit jeher durch die Erzählungen der Fantasy-Literatur streifen. Patrick Rothfuss erzählt Kvothes Lebensgeschichte im Kielwasser der beiden Weitseher-Trilogien von Robin Hobb als eine weitere individuelle Biografie.
Die drei Hauptfiguren der ersten Erzählebene, der Rahmenerzählung, heißen Kote, der Wirt, sowie Bast,16 sein Schüler und ein wie zufällig eintreffender, reisender Chronist. Die nur gelegentlich vorbeischauenden Gäste agieren als Statisten oder Beobachter. Sie geben der Rahmenhandlung die authentische Alltäglichkeit und Farbigkeit, ohne die Kotes Lebensbericht ein schwarz-weißes Kammerspiel wäre, sorgen sie doch für dramatische Szenen und spannende Action im Hier und Jetzt der Erzählung. Die Binnenerzählung des Romans überliefert als eine zweite Erzählebene Kvothes Erlebnisse als eine inkludierte Geschichte. In dem mittlerweile auf zwei Bände angewachsenem Werk dominiert die Binnenerzählung die Rahmenhandlung, die bis auf die Zwischenspiel (interlude) genannten Kapitel den größten Teil des Romans ausmacht.17

Der doppelte Erzähler der Königsmörder-Chronik

In dem einsam gelegenen Wirtshaus zum Wegstein treffen Menschen aufeinander, die sich abends beim Bier mit Passagen aus volkstümlichen Überlieferungen unterhalten.18 Einer dieser Gäste, ein reisender Chronist, fordert Kote, den Besitzer des Wirtshauses auf, ihm seine Lebensgeschichte zu erzählen.19 Zuerst zögerlich, willigt er schließlich ein, und erzählt dem Chronisten seine Biografie die dieser aufschreibt. Die Vereinbarung zwischen Kote und dem Chronisten eröffnet den Reigen einer Geschichte voller skurriler Figuren, magischer Praktiken, verwirrender Rätsel, überraschender Wendungen und abenteuerlicher Projekte, die auch einem Abenteuerroman gut zu Gesicht stehen würden.
Patrick Rothfuss schlägt in seinem mehrbändigen Debüt der Königsmörder-Chronik einen anderen Weg ein als Robin Hobb im Weitseher oder George R.R. Martin im Lied von Eis und Feuer. Der Diskurs, den Rothfuss für seine beiden bereits vorliegenden Bände, Der Name des Windes und Die Furcht des Weisen, erfindet, ist nicht durchgängig linear-progressiv konstruiert. Kote, die Hauptfigur der Rahmenerzählung, berichtet in der Binnenerzählung sein Leben als Kvothe linear-regressiv. Er erzählt in der Retrospektive, berichtet über bereits Vergangenes, über schon Geschehenes, dies allerdings im Rahmen des linear-progressiven Plots der Rahmenerzählung, sodass unterschiedliche Diskurse entstehen. Außerdem sind die Figuren Kote und Kvothe identisch, sodass der Erzähler beider Diskurse dieselbe Figur ist, nur in einer anderen Lebensphase.20 Kote und Kvothe: nur ein persönlicher Eigenname, nichts weiter, kein Familien-, Abstammungs- oder Herkunftsname, obwohl Kote ausdrücklich auf die Bedeutung von Namen hinweist.21 Neben einem doppelten Erzähler, der in Wirklichkeit nur einer ist, führt der Autor ein anderes wichtiges narratives Mittel in seinen Erzähltext ein: die zeitliche Tiefe und Distanz, die Kotes retrospektives Erzählen erst ermöglicht.
Patrick Rothfuss hat seinen Romanzyklus auf eine ungewöhnliche Weise aufgebaut, indem er ihn in vier in einander verschachtelte Teile gegliedert hat. Der Haupttext, der aus Rahmen- und Binnenerzählung besteht, wird in beiden Bänden vom Prolog und Epilog der Dreistimmigen Stille gerahmt.22 Prolog und Epilog unterscheiden sich gegenüber dem Hauptteil der Erzählung durch eine abweichende Erzählerposition. In beiden spricht eine Stimme aus dem Off, die sich außerhalb des Erzähltextes befindet: Ein extradiegetischer Erzähler, der nicht zur erzählten Welt gehört, und der ähnlich wie ein auktorialer Erzähler eine Außenperspektive einnimmt, meldet sich kommentierend zu Wort und kündigt die Atmosphäre der Erzählung an.23 Als ein solcher schildert er nicht nur die Stimmung im Wirtshaus am Wegstein als eine dreistimmige Stille, sondern er beschreibt auch in wenigen Worten Aussehen (rothaarig), Motivation (sterben) und Tätigkeit (Tresen polieren) eines Wirts, dessen Name erst später offenbar wird. Auf diese Weise wird er als Hauptfigur der Rahmenerzählung bereits im Prolog eingeführt. Dieser Erzähler, der in knappen Worten das Profil des Erzählers der Rahmenerzählung skizziert, gehört selbst nicht zum Figurenpersonal der Erzählung. Zwischen Prolog und Epilog beginnt eine Geschichte, die Rahmenerzählung, die immer wieder durch eine Erzählung in der Erzählung unterbrochen wird, einer Binnenerzählung, die den größten Teil der beiden ersten Bände der Königsmörder-Chronik ausmacht.

Kote - das erzählende Ich der Rahmenerzählung

Patrick Rothfuss, der reale Autor der Königsmörder-Chronik, hat seinen unvollendeten Romanzyklus in zwei verschachtelten Diskursen organisiert, sodass eine episodische, man kann auch sagen serielle, Struktur entsteht. Jeder der beiden Diskurse verfügt über einen eigenen Erzähler,24 sodass der Autor nicht den Erzähler wechselt, sondern die Erzählinstanz:

  •  Die Rahmenerzählung, die Ebene des erzählenden Ichs im fiktionalen Jetzt, präsentiert Kote, den Gastwirt des Wirtshaus am Wegstein, als primären, heterodiegetischen Erzähler, der den Diskurs der Geschichte entscheidet, und bestimmt, was sich in Kvothes fiktionaler Welt des Damals ereignet hat. Der Kote der Rahmenerzählung verwandelt sich in der Binnenerzählung in einen sekundären, intradiegetischen-autodiegetischen Erzähler, was ihm auch bewusst ist: Lasst und lieber rasch zu der einzigen Geschichte kommen, die wirklich von Belang ist [...] Meiner.25
  •  Die Binnenerzählung, die Ebene des erlebenden Ichs im fiktionalen Damals, präsentiert Kvothe, die Hauptfigur der von Kote erzählten Geschichte, als den sekundären, intradiegetisch-autodiegetischen Erzähler des von Kotes Erinnerungen bestimmten Diskurses und Geschichte, dessen Biografie er tradiert, über die Kote die Kontrolle ausübt, da er der primäre Erzähler ist, der die Fäden wie ein Puppenspieler in der Hand hält, die Fäden, an denen Kvothe agiert.

Der doppelte Erzähler Kote-Kvothe erzählt aus zwei verschiedenen, zeitlichen Perspektiven, die als Rahmenhandlung gegenwärtig, als Binnenerzählung vergangen ist, und zwei narrative Sub-Diskurse markiert: Kote im fiktionalen Jetzt versus Kvothe im fiktionalen Damals. P. Rothfuss Erzählerposition, Kote als erzählendes Ich und Kvothe als erlebendes Ich, vertreten in der Homodiegese dieselbe Person (figurale Identität), deren Beziehung durch die zeitliche Distanz ihres Handelns charakterisiert ist (fiktionales Jetzt versus fiktionales Damals). Das erzählende Ich berichtet retrospektiv, was ihm als erlebendes Ich widerfahren ist. Kote, der ältere und erfahrenere, bewegt sich auf einen Zeitpfeil durch seine eigene Vergangenheit, entscheidet, wählt aus und thematisiert, was ihn mit dem erlebenden Ich verbindet, was er erinnert, um es stellvertretend erzählen zu lassen. Wie es sich für einen heterodiegetischen Erzähler gehört, hält er zurück oder entscheidet neu und anders, welche Informationen er wann, zu welcher Zeit und in welchem Umfang vermittelt. Er übernimmt die Rolle eines Regisseurs, der als einziger das vollständige Skript der Inszenierung kennt. Die Beziehung zwischen erzählendem und erlebendem Ich ist immer eine einseitig abhängige.
In der Rahmenerzählung begegnen die Leser*innen dem primären, heterodiegetischen Erzähler Kote. Es ist immer ein die Lektüre bereicherndes Spiel, herauszufinden, welcher fiktive Erzähler uns eine Geschichte erzählt, die ein realer Autor zwischen zwei Buchdeckeln untergebracht hat. Oberflächlich betrachtet, ohne einen analytischen Blick zu bemühen, wirkt ein Erzähler leicht wie der andere. Dennoch bestehen erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Erzählerposition, die für die zahlreichen Atmosphären verantwortlich ist, die die besondere Aura einer Geschichte ausmachen. Um zu erkennen, wer es ist, der uns eine Geschichte erzählt, ist es hilfreich, zu wissen, ob es sich um einen offenen (ouvert narrator) oder um einen verborgenen Erzähler (couvert narrator) handelt, eine Unterscheidung, die für die Erzählerposition ausschlaggebend ist. Die Erzähler der Rahmen- und Binnenerzählung in der Königsmörder-Chronik sind sogenannte offene Erzähler, die ein deutliches Persönlichkeitsprofil besitzen und wie eine Figur unter anderen gestaltet sind. Anders der Erzähler des kurzen Prologes und Epilogs, der sich deutlich von der Rahmen- und Binnenerzählung unterscheidet. Er agiert als ein extradiegetischer und verborgener Erzähler, der distanziert ganz hinter dem Erzählten verschwindet. Für die Leser*innen macht sein Verhalten den Eindruck unmittelbaren Erlebens, die ihn als Herausgeber der Königsmörder-Chronik betrachten, als denjenigen, der die Geschichte aus einer Metaperspektive supervidiert. Man kann ihn aber auch als einem namenlosen, anonymen, primären Erzähler betrachten, obwohl diese Rolle erklärtermaßen Kote zusteht, der kein auktorialer Erzähler ist. Trotzdem garantiert der Erzähler von Vor- und Nachwort, die sich wie von selbst erzählen, die Authentizität der von Kote erzählten Geschichte, und sanktioniert sie vorausschauend als »historische Wahrheit«. Später wird Kote dem Chronisten gegenüber erklären, dass jeder Erzähler anders ist, und dass die einzige Geschichte, die wirklich von Belang, seine eigene ist. Diese Auffassung verbindet ihn mit Robin Hobbs Figur Fitz Chivalric Weitseher. Der fingierte Erzähler des Prologs und Epilogs vermittelt nicht zwischen den beiden Erzählebenen, er rahmt sie durch faktische Authentizität. Je mehr ein Erzähler aber in den Hintergrund tritt, desto mehr wirkt der Erzähltext wie ein dramatischer Text, ein Phänomen, das Rothfuss in seiner lyrischen Metapher der dreifachen Stille einsetzt, um seine Leser*innen auf die emotionale Dichte und zunehmende Spannung einzustimmen, die seine Vorrede suggeriert und seine Nachrede bekräftigt, denn die dreifache Stille bleibt ein subjektiv empfundenes Mysterium, das nur Kote ganz versteht. Im Prolog heißt es deshalb auch, dass die dritte Stille, die die beiden anderen einschließt, dem Mann am Tresen gehört, wie auch das Wirtshauses zum Wegstein das seine ist.
Der Erzähler, den die Leser*innen in der Rahmenerzählung Der Name des Windes antreffen, tritt anfangs noch nicht sehr markant in Erscheinung. Sie erfahren anfangs nur wenig über ihn, denn seine Persönlichkeit ist allenfalls indirekt skizziert. Es gibt einige, verstreute Kommentare, die nach dem auktorialen Erzähler des Prologs klingen. Mehr über ihn, sein Äußeres erfahren die Leser*innen durch sein Verhalten. Nur so viel scheint klar: Der Wirt ist ein heterodiegetischer Erzähler, der anfangs die Rolle des beteiligten Beobachters spielt, wenn auch keine Figur der erzählten Welt, dennoch mit einem deutlichen Profil ausgestattet. Das Wirtshaus am Wegstein ist ein Ort im fiktionalen Jetzt, und es ist unzweifelhaft, dass die Leser*innen es mit einem erzählenden Ich zu tun haben, obwohl der Erzähltext das Er des epischen Präteritums verwendet. Der Mann, für den der reale Autor die Rolle des Erzählers gestaltet, ist noch keine Dreißig, hat lange, anmutige Hände mit feingliedrigen Fingern, leuchtend, flammend rotes Haar. Seinen Rücken und seine Arme überziehen glatte, silbrige Narben, die wie Blitze aufscheinen. Sorgenfalten überziehen sein Antlitz. Hinter seinen Augen, die dunkel und abwesend blicken, warten nur Leere und Schmerz, große Sehnsucht und Reue, oft ein gehetzter Blick, die Augen halb in diese Welt gerichtet halb, sich erinnernd, anderwärts,26 Niemand zweifelt daran: ein Mann mit diesem Profil ist kein gewöhnlicher Mensch. Er bewegt sich durch das Wirtshaus mit einer Sicherheit, die sich aus vielfältigem Wissen speiste.27 Und wie der Erzähler des Prologs bereits verraten hat, wartet der Mann darauf zu sterben.28 Im ersten Kapitel ist der Erzähler kaum wahrnehmbar, gewinnt aber von Kapitel zu Kapitel mehr an Präsenz bis er die Erzählung dominiert. Er ist zwar anwesend, doch bewegte sich vorsichtig durch die Stille,29 geht im lauten Getriebe des Wirtshauses, in dem die Gäste die Szene beherrschen, fast unter. Den Leser*innen gerät er anfangs leicht aus dem Blick, besonders da Cob, eine Nebenfigur und Gast im Wirtshaus, den anderen Gästen eine spannende Schauergeschichte erzählt.30 Der Wirt, anfangs noch ohne Namen, reduziert sich auf die Rolle des beteiligten Beobachters, der das Treiben seiner Gäste aus der Distanz miterlebt und ihren Gesprächen zuhört: Im Hinterzimmer stand der junge Gastwirt hinter der Tür und lauschte.31 Erst als einer seiner Gäste ein Sprichwort falsch zitiert, mischt er sich in das Gespräch ein, um sie belehren. Das genaue Zitat, und erst recht seine Kenntnis von den unheimlichen Skrael, verrät, dass hinter dem unscheinbar wirkenden Wirt, dessen Name, Kote, die Leser*innen nun endlich erfahren, weitaus mehr steckt, als der erste Eindruck vermuten lässt.
Im ersten Teil der Binnenerzählung, die mitten im fünften Kapitel beginnt, Kvothe ist gerade elf Jahre alt, nennt ihn sein Lehrer Abenthy, ein reisender Arkanist,32 einen ausgesprochen klugen Jungen, ja, klug ist wirklich noch untertrieben. Schon in jungen Jahren unterrichtet ihn Abenthy in den Grundlagen der Naturwissenschaft und Magie. Er beobachtet genau, mit Augen, die aussehen, als wollten sie die Welt aufsaugen. Er lernt schnell und mit Leichtigkeit, und wenn er einen Fehler macht, wiederholt er ihn kein zweites Mal. Er wird der Welt seinen Stempel aufdrücken - als einer der Besten, lautet Abenthys Fazit in einem Gespräch über Kvothe mit dessen Eltern.33 Seinem Schüler Bast, der ihn respektvoll Reshi 34 nennt vertraut er einmal an: Ich neige dazu, viel zu denken, Bast. Meine größten Erfolge verdanke ich Entscheidungen, die ich traf, als ich mal aufhörte zu denken und einfach tat, was mir gefühlsmäßig als das Richtige erschien. Selbst wenn es für das, was ich tat, keine gute Rechtfertigung gab.35

Kvothe - das erlebende Ich der Binnenerzählung

Nachdem sich Kote mit dem Chronisten über den Modus des Erzählens geeinigt hat, setzt die Binnenerzählung, die Kvothes Biografie enthält, als Ich-Erzählung übergangslos mitten im fünften Kapitel ein, ohne das epische Präterium aufzugeben.36 Die Binnenerzählung enthält die Haupthandlung der Königsmörder-Chronik. Die Funktion der Rahmenerzählung besteht lediglich darin, eine Erzählklammer zu sein, die die serielle Reihung der Episoden der Binnenerzählung, die immer wieder durch Ereignisse in der Rahmenerzählung unterbrochen wird, in einer chronologischen Form zu ordnen. Mit dem Beginn der Binnenerzählung wechselt der Erzähler die Rolle und wird zum sekundären, autodiegetischen Ich-Erzähler Kvothe, der anderen Hauptfigur des Romans, dessen erzählendes Ich der Gastwirt Kote ist.
Im zweiten Kapitel von Der Name des Windes erleben die Leser*innen wie ein reisender Chronist überfallen und ausgeraubt wird. Der Chronist begegnet Kote auf seinem Weg nach Newarre, wo beide in einen Kampf mit einer Rotte Skrael geraten, und Kote ihn anschließend bewusstlos mit nach Hause ins Wirtshaus nimmt.37 Dem Chronisten, der mit bürgerlichem Namen Devan Lochees heißt, ist sein Name so unwichtig, wie Kote Namen äußerst ernst nimmt. Er braucht auch keinen Namen, denn er ist nicht irgendein Chronist, er ist der Chronist. [...] Der große Entlarver höchstpersönlich,38 und die wichtigste Nebenfigur der Erzählung, denn er vermittelt auf der Ebene des Erzählens, der Exegese, zwischen den beiden Erzählern Kote und Kvothe. Nachdem der Chronist sich mit seinem Wissen über Kotes Vergangenheit ausgewiesen hat,39 vertraut ihm Kote und stimmt schließlich zu, ihm seine Biografie zu erzählen, bedingt sich aber eine Voraussetzung aus: Eine richtige Geschichte braucht Vorbereitung, und so fährt er fort: Ich brauche drei Tage für die Geschichte,40 die der Chronist in den drei Büchern der Königsmörder-Chronik erzählen wird. Jede Erzählung dauert, und die Bestimmung der zeitlichen Dauer - drei Tage - die Kote für die Erzählung seiner Biografie ansetzt, ist die erzählte Zeit, die das fiktive Jetzt zum fiktiven Damals überbrückt. Er erkundigt sich beim Chronisten, wie Leute normalerweise ihre Geschichten erzählen, und der Chronist gibt zu, die Ereignisse in die richtige Reihenfolge41 zu bringen, Unnötiges wegzulassen, er erläutere einige Dinge, vereinfache andere. Kote gefällt der Gedanke nicht, dass ein Rezipient seine Geschichte bearbeitet, denn, sagt er dem Chronisten: Jeder Erzähler ist anders. Jeder möchte, dass man seine Geschichte nicht anrührt. Aber alle schätzen auch einen aufmerksamen Zuhörer, den Kote im Chronisten gefunden zu haben glaubt.42 Und er weist darauf hin, wie der reale Autor seine Leser*innen durch Kotes Mund, dass eine gute Geschichte nur selten den direkten Weg nimmt.43
Nachdem Kote die Details mit dem Chronisten geklärt hat, beginnt er mitten im fünften Kapitel sein Leben zu erzählen: Wenn diese Geschichte so etwas wie das Buch meiner Taten werden soll, müssen wir ganz am Anfang beginnen.44 Und das tut Kote, denn er beginnt seine Lebensgeschichte mit seiner Kindheit bei der Schaustellertruppe der Edema Ruh. Was Kote als erzählendes Ich dem Chronisten berichtet, sind Ereignisse aus seiner Vergangenheit, die nicht mehr zu seiner Gegenwart gehören. Als erzählendes Ich besitzt Kote in der Binnenerzählung keine Erzählgegenwart mehr. Er bleibt für die Leser*innen, und damit im Erzähltext, nur deshalb präsent, weil er sich in den in die Binnenerzählung eingestreuten Episoden der Rahmenerzählung kontinuierlich in Erinnerung bringt. Ansonsten bleibt er im Hintergrund, tritt nicht offen in Erscheinung, sodass er aus dem Blickwinkel der Binnenerzählung zu einem verborgenen Erzähler (couvert narrator) wird. Kotes Präsenz als Erzähler zeichnet sich durch Kommentare und Allwissenheit Allwissenheit in Bezug auf sein eigenes Leben aus, was ihn zu einem extradiegetisch-heterodiegetischen Erzähler macht. Kvothe bleibt in seiner Lebensgeschichte dagegen auf sich selbst als erlebendes Ich bezogen. Kvothe bleibt in seiner Lebensgeschichte dagegen auf sich selbst als erlebendes Ich beschränkt, ohne allumfassenden Überblick, denn als autodiegetischer Erzähler nimmt er nur das wahr, und weiß nur das, was sich in seiner Gegenwart ereignet. Übergeordnete Informationen oder später erworbenes Wissen erhalten die Leser*innen nur von Kote. Vereinzelt ergänzt Kote in der Rahmenerzählung das eine oder andere Detail, das Leser*innen unbedingt wissen müssen, das Kvothes Lebensbericht aber auslässt. Kvothes Lebensgeschichte ist von Kote initiiertes, retrospektives Erzählen. Die berichteten Ereignisse finden in der Gegenwart des Wirtshauses am Wegstein statt, wo Kote sie aus der rückschauenden Erinnerung dem Chronisten erzählt, ein Vorgang, den Shlomith Rimmon-Kenan ulterior narration nennt, und der für fiktive Erzähltexte die Regel ist, die vor der Zeit des Erzählens (in der Rahmenerzählung) stattfinden.
Für die eigentliche Erzählung, die Lebensgeschichte Kvothes, ändert P. Rothfuss die Erzählerposition. Jeder Binnenerzähler, ob sekundär oder tertiär, ist ein offener Erzähler (ouvert narrator), da er, bevor er zu erzählen beginnt, vom primären Erzähler der Rahmenerzählung, dem übergeordnete primären Erzähler, als eine Figur des Erzähltextes eingeführt wird. Kvothe, der Ich-Erzähler der Binnenerzählung der zweiten Erzählebene, ist nicht nur ein autodiegetischer Erzähler, der als Ich-Erzähler in der Erzählung selbst anwesend ist, sondern gleichzeitig ein intradiegetischer Erzähler, der die Geschichte darstellt, die Kote, in dieser Sicht ein extradiegetischer Erzähler, ihm ins Skript schreibt. Kvothe, der autodiegtische Ich-Erzähler ist, als ouvert narrator, den Leser*innen stets präsent, da er im fiktiven Damals Ereignisse aus seinem bereits vergangenen Leben erzählt. Dass Kvothe ein Gegenüber als Du ist, können sie trotz ihres Mit-Gerissen-Seins nicht vergessen. Sie blicken ihm, wie Farah Mendlesohn es formuliert, kontinuierlich über die Schulter. Das ER Kotes der Rahmenhandlung wechselt in der Binnenerzählung zum ICH des autodiegetischen Erzählers Kvothe. Während Kote in der Rahmenerzählung über sich nachdenkt und erzählt, verwandelt er sich in Kvothe, den Ich-Erzähler der Binnenerzählung, der den Leser*innen Kotes retrospektiv erzählte Biografie gleichzeitig aus seiner Perspektive nacherzählend vorführt. Das distanzierte ER der Rahmenerzählung ist zu einer uneingeschränkt lebendigen und facettenreichen Reflektorfigur, zu dem betroffenen ICH der Binnenerzählung geworden, wodurch der doppelte Erzähler Individualität und Authentizität gewinnt.45

Die Königsmörder-Chronik besteht aus mehreren inkludierten Erzählebenen, die sich in die einzelnen Episoden der Rahmen- und Binnenerzählung gliedern. In diesem mehrstufigen Inklusionsschema konstruiert der primäre Erzähler Kote den untergeordneten, sekundären Erzähler Kvothe für die verschachtelten narrativen Diskurse der Binnenerzählungen. Diese erfüllt eine explikative Funktion für den Roman, liefert sie doch biografische Erklärungen dafür, welche Ereignisse im Leben des Protagonisten Kote zu seiner aktuellen Situation – Kvothe als Kote und Wirt des Wirtshauses zum Wegstein – führten. Der Rahmenerzählung fällt so die notwendige Funktion Erzählklammer zu sein zu, die das ereignisreiche Kaleidoskop von Kvothes Biografie zusammenhält, was die nachvollziehbare Kausalität zwischen Rahmen- und Binnenerzählung als raumzeitliche Kontinuität erklärt. Abschließend lässt sich das Inklusionsschema der Königsmörder-Chronik in drei Aspekte gliedern:

  •  Rahmenerzählung - Kote - primärer (heterodiegetischer) Erzähler; Kote erzählt seine Biografie retrospektiv im fiktiven Jetzt als erzählendes Ich: er repräsentiert die gegenwärtige Situation des Erzählens in der Er-Form des Präteritums.46
  • Rahmenerzählung - Chronist - vermittelnde Erzählebene zwischen extra- und intradiegetischem Erzähler; von oral nach literal: der Chronist hört und notiert die von Kote erzählte Biografie (Chronik) in einer face to face-Kommunikation. Als der Verfasser der Biografie Kotes lässt sich der Chronist auch als ein sekundärer Erzähler auffassen, der retrospektiv tradiert, sodass Kvothe ein tertiärer Erzähler wäre.
  • Binnenerzählung47 - Kvothe – sekundärer, intradiegetisch-autodiegetischer) Erzähler; erlebt die Kote-Biografie im fiktionalen Damals als erlebendes Ich; gegenüber der Rahmenerzählung explikativ: das erlebende Ich Kvothe erlebt, in der Ich-Form des Präteritums, handelnd die von Kote erzählte Kote-Biografie; trotz der zeitlichen Distanz,48 Kotes Erzählen in der Rahmenerzählung ist Kvothes Erleben in der Binnenerzählung ein gleichzeitiges Erzählen, da Geschichte und Erzählen parallel ablaufen.49

Das Wirthaus als Ort serieller Binnenerzählungen

Ganz anders konzipiert sind die additiven Verknüpfungen von seriellen Binnenerzählungen so berühmter Novellenzyklen der Weltliteratur wie Giovanni Boccaccios Il Dekamerone, Goeffrey Chaucers The Canterbury Tales oder die Sammlung orientalischer Märchen der Schehrezâd in den Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Auch Das Wirtshaus im Spessart des romantischen Dichters Wilhelm Hauff gehört dazu. Das Besondere an seriellen Binnenerzählungen besteht darin, dass mehrere narrative Diskurse gleichberechtig, und nicht hierarchisch, nebeneinander angeordnet sind. Es handelt sich um Geschichten, die ein primärer, extradiegetischer Erzähler einer Rahmenerzählung so erzählt, wie sie von einem intradiegetischen, sekundären Erzähler erlebt werden. In einem Wirtshaus, einer Pilgerherberge oder dem Schlafgemach eines Sultans berichtet ein Erzähler, das erzählende Ich im fiktiven Jetzt, seinen Leser*innen Geschichten, die ein anderer Erzähler, ein erlebendes Ich in einem fiktiven Damals, erlebt hat. Bei den beiden Romanen der Königsmörder-Chronik, die die Biografie von Kvothe erzählen, handelt es sich nicht um eine serielle Binnenerzählung im eigentlichen Sinne. Allerdings imitiert Rothfuss diese Textsorte so geschickt, dass sie auf die Leser*innen wie die einzelnen Episoden einer Serie wirken. Die Wirtshauskapitel der Rahmenerzählung der Königsmörder-Chronik gliedern nur eine einzige Binnenerzählung, die aber von der Rahmenhandlung immer wieder unterbrochen wird, sodass der Eindruck einer seriellen Erzählung entsteht. Gleichzeitig fordert Kote vom Chronisten drei Tage und legt mit drei Staffeln den zeitlichen Rahmen für seinen Lebensbericht fest.50 Da Kvothes Bericht sich an seinen biografischen Entwicklungsphasen – Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter – orientiert, schildert er wie viel Zeit zwischen den Ereignissen und seinem Bericht inzwischen vergangen ist, und legt so die zeitliche Erzähldistanz fest.
Obwohl immer wieder behauptet, Der Name des Windes sei in Anlehnung an Tausendundeine Nacht konzipiert,51 bietet Wilhelm Hauffs Novelle Das Wirthaus im Spessart einen besser geeigneten, vergleichbaren Erzähltext. Hauffs Novelle nutzt, wie Rothfuss in modernem Gewand, für seinen Märchenalmanach eine ähnliche Rahmenerzählung.52 Sie gliedert vier Erzählungen, darunter sein Meisterwerk Das kalte Herz, die sich die Gäste im Wirtshaus erzählen, um den befürchteten Überfall der Räuber nicht zu verschlafen. Wie Hauff vor ihm, hat Patrick Rothfuss ein Wirtshaus als Schauplatz gewählt, in dem seine Rahmenerzählung spielt. Und mehr noch: Wie vor ihm Wilhelm Hauff bewertet er das selbst Erlebte höher als das gescheite Zitieren und Kommentieren, und erteilt einem Ich-Erzähler das Wort:

»Ja, ja, man hört so manches«, erwidert der Zirkelschmied, »dafür studieren Herren wie ihr fleißig in den Büchern, wo gar wundervolle Sachen geschrieben stehen; da wüßtet ihr noch Klügeres und Schöneres zu erzählen als ein schlichter Handwerksbursche wie unsereiner. Mich müßte alles trügen, oder ihr seid ein Student, ein Gelehrter.«
»Ein Gelehrter nicht«, lächelte der junge Herr, »wohl aber ein Student und will in den Ferien nach der Heimat reisen; doch was in unseren Büchern steht, eignet sich weniger zu erzählen, als was ihr hier und da gehört
53

Rothfuss´ Wirtshaus zum Wegstein ist ein weiteres fiktives Wirtshaus, das zum Ausgangspunkt einer Abenteuergeschichte wird. Wie Hauffs Spessart-Räuber die Gäste bedrohen, brechen dämonische Söldner in die friedliche Stimmung von Kotes Wirtshauses ein.54 Ich will nicht verschweigen, dass Brandon Sanderson neuerdings eine Kurzgeschichte veröffentlicht hat, in der ein ähnlich einsam gelegenes Gasthaus primärer Ort der Handlung ist, eine personal gestaltete Erzählfigur im fiktiven Jetzt erzählt und ein unheimlicher Wald wie eine Binnenerzählung agiert. Diese andere Gastronomie wird von einer Frau geführt, deren mysteriöse Aura gleich bei der ersten Begegnung fasziniert, und deren doppelte Identität erst allmählich aufgeklärt wird.55


Demnächst: Wie wird erzählt: Die Diskurse der Königsmörder-Chronik


Anmerkungen

1 Patrick Rothfuss, Der Name des Windes, Ebook, Stuttgart, 2010:67; Quill Award sowie Publishers Weekly Award 2007, Deutscher Phantastik Preis 2009.
2 This motif is an literary structural device in which several simultaneous themes are inter-woven into a large narrative, akin to the intricate knot so charakteristic of early Anglo-Saxon art. In its literary application this technique allows for seperate but interrelated plot disgressions and presents the writer with oppertunities for the simultaneous development of a multiplicty of charakters, a varitey of view-points and themes and a range of landscapes (Heather Attrill, A Web Of Words. Pattern And Meaning in Robert Jordan´s The Wheel of Time, Kindle Ebook, 2012:S.9;Pos.320). Interlacement bedeutet: Alles ereignet sich gleichzeitg. No part of the narrative can be removed without damage to the whole, for within any given section there are echoes of previous parts and anticipations of later ones. [...] Moreover, though events are in flux there is a pattern underlying them [...] intelaced narrative usually assigns numerous causes for any event thereby reflecting the complex interrelatedness we actually see in life (Richard West, The Interlace an Professor Tolkien: Medieval Narrative Technique in the Lord of the Rings, A Paper Read at the U.W. Tolkien Society April 17, 1967, Orcrist, Annual Bulletin of the University of Wisconsin J.R.R. Tolkien Society, 1.1, 19-31 1966-67:78-80).
Vgl. auch den Terminus von Shlomith Rimmon-Kenan, Narrative fiction – contemporary poetics, London, New York, 2002:90. Homodiegese wir immer retrospektiv erzählt, hinsichtlich Kvothes Biographie ein zu Erzählbeginn noch nicht abgeschlossenes Geschehen, das sich im Verlauf des Erzählvorgangs weiter entwickelt (eingeschobenes Erzählen; intercalated narration; Terminus Rimmon-Kenan, 91).
3 Unter POV (point of view) versteht die Erzähltheorie eine Figur der fiktiven Welt, die eine Geschichte aus ihrer eigenen, subjektiven Perspektive erzählt. Diese Figuren sind homodiegetische Erzähler, und bevölkern eine Geschichte als Hauptfigur, untergeordnete Hauptfigur, Nebenfigur oder beteiligter beziehungsweise unbeteiligter Beobachter.
4 Patrick Rothfuss, Der Name des Windes. Die Königsmörder-Chronik, Erster Tag, Ebook, Stuttgart, 2008 (engl. Org. The Name of the Wind. The Kingkiller Chronicle: Day One, New York, 2007). Im weiteren zitiert als NdW.Kapitel, Seite. Patrick Rothfuss, Die Furcht des Weisen. Die Königsmörder-Chronik, Zweiter Tag, Teil Eins und Zwei, Ebook, Stuttgart, 2011/2012 (eng.Org. The Wise Man´s Fear. The Kingkiller Chronicle: Day Two, New York, 2011). Im weiteren zitiert als FdW.Kapitel, Seite.
5 Den personalen oder figuralen Erzähler nennt Henry James eine Reflektorfigur, das heißt der Leser erlebt die fiktive Wirklichkeit, wie sie sich im Bewusstsein des Protagonisten spiegelt. Er erlebt, was der Protagonist gegenwärtig erlebt, und fühlt sich dabei so, als ob er durch dessen Augen sieht oder sich auf dessen Schulter niedergelassen hat.
6 Der auktoriale Erzähler ist ein allwissender Erzähler, der aus einem außerhalb der Erzählung existierenden Blickwinkel - einer allumfassenden Metaperspektive – erzählt.
7 Wie der personale Erzähler ist auch der Ich-Erzähler in der Erzählung anwesend. Wie die Reflektorfigur ist er zugleich Erlebender und Zeuge der Ereignisse, in denen er selbst zum Gegenstand der Erzählung wird. Durch die Anwesenheit eines Ich-Erzählers erhält die fiktionale Wirklichkeit einen subjektiven Bezugspunkt. Dieser Fokus liegt innerhalb der Erzählung, da in der Person des Ich-Erzählers erzählendes Ich und erlebendes Ich fließend ineinander übergehen, obwohl der Erzählvorgang gelegentlich kurze auktoriale Passagen durchlaufen kann. Ein Ich-Erzähler berichtet immer aus der Innenperspektive seines subjektiv-affektiven Betroffenseins. Auf diese Weise garantiert die Ich-Erzählsituation eine starke Authentizität, häufig zu Lasten der Empathie für andere Figuren, da die Innenperspektive des Ich-Erzählers dominiert.
8 Goethe hat diesen Standpunkt in seinem Bildungsroman Wilhelm Meister vertreten, in dem er eine keimhaft angelegte Entelechie propagierte, und Individuation und Selbstverwirklichung als geprägte Form, die lebend sich entwickelt, verstand. Weder in Goethes Wilhelm Meister noch in Rothfuss` Königsmörder-Chronik, das ist wichtig festzuhalten, geht es um die Entwicklung der Figur zu gesellschaftlicher Lebenstüchtigkeit.
9 P. Rothfuss Erzählung ist bisher unvollendet geblieben. Der dritte und abschließende Roman, The Doors of Stone, der den Dritten Tag von Kotes Erzählung enthalten soll, steht seit der Veröffentlichung des zweiten Buchs (2011) aus, ein verlässliches Veröffentlichungsdatum gibt es trotz mehrfacher Ankündigungen des Autors nicht (vgl. The Kingkiller Wiki: https://kingkiller.fandom.com/wiki/The_Doors_of_Stone).
10 Robin Hobb, Der Weitseher, München, 2009; (engl.Org. The Farseer 1: Assassin´s Apprentice, New York, 1995).
11 Hobb, Weitseher, 2009, Bd.1, 9.
12 NdW.7, 74, 77, 78, 79.
13 FdW.6, Ebook, Pos.1872.
14 Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. In: Kinder- und Hausmärchen gesammelt durch die Brüder Grimm, Frankfurt a.M., 1981:49.
15 NdW. 7, 78.
16 Mehr über Kotes Schüler Bast in: Patrick Rothfuss, The Lighting Tree, in: George R.R. Martin ud Gardener Dozois (ed.), Rogues, Ebook, New York, 2014.
17 In der Tradition der deutschsprachigen Erzähltheorie heißt die eingelassene Erzählung Binnenerzählung, die Erzählung, in die sie eingelassen ist, Rahmenerzählung. Die Metapher der Rahmung ist dem Effekt entliehen, den Gemälde in einem Rahmen haben (Silke Lahn und Jan Christoph Meister, Einführung in die Erzähltextanalyse, Stuttgart, 2013:79). Alternativ spricht man auch vom inkludierten Erzählen.
18 Es war Felling-Abend, und die übliche Runde hatte sich im Wirtshaus zum Wegstein eingefunden. Fünf Männer waren keine große Runde, aber mehr kamen dieser Tage selten ins Wirtshaus, da die Zeiten nun einmal so waren, wie sie waren. Der alte Cob ging ganz in seiner Rolle des Geschichtenerzählers und Ratgebers in allen Lebenslagen auf (NdW.1, 13).
19 Die Rahmenerzählung endet zum ersten Mal in NdW.7, 78. Dort behauptet Kote, ganz von sich selbst überzeugt: [...] »Laßt uns rasch zu der einzigen Geschichte kommen, die wirklich von Belang ist« (NdW.7, 77). An einer anderen Stelle reflektiert der Erzähler: Wenn diese Geschichte so etwas wie das Buch meiner Taten werden soll, müssen wir ganz am Anfang beginnen (NdW.8, 80).
20 Die Erzähltheorie spricht in diesem Fall von einer figuralen Identität, bei der erzählendes Ich und erlebendes Ich dieselbe Person sind.
21 Er nannte sich Kote. Er hatte diesen Namen mit Bedacht gewählt, als er hierhergekommen war. Er hatte aus den üblichen Gründen einen neuen Namen angenommen aber auch aus ein paar eher unüblichen, unter anderen dem, dass Namen ihm viel bedeuteten (NdW.1 ,22). Taborlin der Große aber kannte die Namen aller Dinge, und daher gehorchten ihm alle Dinge aufs Wort (NdW.1 ,14). Und Namen sind etwas Seltsames. Etwas Gefährliches (NdW.12, 122).
22 Im zweiten Buch fügt der Autor zusätzlich Zwischenspiel genannte Unterbrechungen ein (FdW 1.Bd. Kap.17, 46 und 85; FdW 2.Bd. Kap. 105, 129 und 136), die nicht direkt Teil der biografischen Erzählung sind, sondern kurz zu Kote und dem Chronisten, auf die Erzählebene der Rahmenhandlung, zurückführen. Brandon Sanderson verwendet in den Sturmlicht-Chroniken ein ähnliches, Zwischenspiele genanntes narratives Mittel um bestimmte Nebenfiguren ausführlicher zu profilieren.
23 Zwischen den sogenannten ontologischen Erzählerpositionen heterodiegetisch (nach Gérard Genette) und auktorial (nach Franz K. Stanzel), die die Stellung des Erzählers zum Geschehen bestimmen, besteht kein prinzipieller Unterschied. Beide Erzähler stehen außerhalb der fiktiven Welt, gelten als ontologisch unvereinbar, weil sie nicht als Figur in der erzählten Welt auftreten. Sie sind verdeckte Erzähler (couvert narrator), die höchstens als unbeteiligte Erzähler auffallen. Es ist nicht unbedingt üblich, beide Positionen zu verbinden, doch ich finde, ihre Funktion ist nur in der Außenperspektive beider Erzähler deckungsgleich. Die Bestimmung eines Autors als auktorialer Erzähler berücksichtigt zusätzlich, dass er mit Kommentaren und Wortmeldungen in die Geschichte eingreift und sie scheinbar faktualer markiert, sodass ein etwas mehr an Quasi-Realität gewonnen wird. Alternativ, und beide Begriffe verbindend, lässt sich von einer narrationalen Erzählsituation sprechen.
24 Meine Studie betreibt drei unterschiedliche Analysen von P. Rothfuss` Königsmörder-Chronik: 1. die ontologische Bestimmung des Erzähler zur erzählten Welt (homo- vs. heterodiegetisch), die repräsentationslogische Bestimmung des Erzählers in Bezug auf die Erzählung (primärer Erzähler in der Rahmenerzählung, sekundärer Erzähler in der Binnenerzählung) sowie die zeitlogische Bestimmung des Erzählers im Verhältnis zur erzählten Geschichte (gleichzeitiges Erzählen in der Rahmenerzählung vs. retrospektives Erzählen in der Binnenerzählung).
25 NdW.7, 77. Dieser sekundäre (dritte) Erzähler repräsentiert eine weitere Erzählebene, neben dem primären, heterodiegetischen Erzähler Kote verweist, den er aber noch nicht namentlich nennt. Kote, der heterodiegetische Erzähler repräsentiert eine Erzählung erster Stufe, hier Rahmenerzählung genannt, mit partiell auktorialen Einssprengseln. Aus dieser weist er auf den dritten, den metadiegetischen Erzähler Kvothe hin, der als Ich-Erzähler seine Lebensgeschichte erzählt (für das von Rothfuss verwendete Inklusionsschema vgl. Gérard Genette, Die Erzählung, München,1998:250). Genettes strukturalistische Erzählttextanalyse gilt derzeit als state of the art, konkurriert im deutschprachigem Raum mit derjenigen von Franz K. Stanzel (Typische Formen des Romans, Göttingen, 1964; Theorie des Erzählens, Göttingen, 1989), die allzu leicht als veraltet verworfen wird, obwohl sie nach wie vor heuristisch brauchbar ist. Stanzels Modell der Erzählsituationen spricht, anders als Genette von einem auktorialen, Ich- und personalen Erzähler, schließt aber auch Mischformen nicht aus. Alternativ schlägt Wolf Schmidt vor, von einer primären, sekundären oder tertiären Ebene des Erzählens zu sprechen, statt von extra-, intra- oder metadiegetischen Erzählern (Elemente der Narratologie, Berlin, New York, 2005).
26 NdW. 1, 3, 22-29; 48; NdW.6, 68.
27 NdW.Prolog, 11.
28 NdW.Prolog, 12.
29 NdW.Prolog, 18.
30 Cob erzählt ebenfalls eine Geschichte in der Geschichte, und ist ein weiterer, metadiegetischer Erzähler, der im Wirtshaus am Wegrand die anderen Gäste mit seiner Version der Geschichte von Taborlin den Großen unterhält, die in die Rahmenhandlung eingebettet ist (NdW.1, 13).
31 NdW.1, 13.
32 NdW.8, 87. Der Arkanist it die erste Nebenfigur der Binnenerzählung, der im achten Kapitel als Kvothes Lehrer die Bühne der Geschichte betritt.
33 NdW.1, 24.
34 NdW.12, 98-125.
35 NdW.3, 40.
36 Die erste Episode endet im 12. Kapitel, wo sie vom ersten Zwischenspiel (Kap. 13) unterbrochen wird, das zu Kote und dem Chronisten in der Rahmenhandlung zurückkehrt. Kote erzählt aus seinem subjektiven Blickwinkel außerhalb der Binnenerzählung über die Ereignisse, die sich aktuell im Wirtshaus zum Wegstein abspielen. Er nutzt dazu die dritte Person und das epische Präteritum. Dieser Erzähler ist der Schöpfer eines Metadiskurses, wodurch der Eindruck verfestigt wird, dass er unmittelbarer Zeuge des Geschehens der Binnenerzählung ist.
37 NdW.4, 53-58.
38 NdW.6, 64.
39 Zitate NdW.6, 66-67.
40 NdW.6, 70-71.
41 NdW.6, 73.
42 NdW.6, 73.
43 NdW.7, 76.
44 NdW.8, 80.
45 Da Kote die einzige relevante Erzählfigur der Rahmenhandlung ist, aus deren Perspektive erzählt wird, kann die Erzählsituation auch personal-figural (mit Außensicht) aufgefasst werden, denn der Erzähler hat sich auf die Figur Kote festgelegt, und erzählt aus dessen Blickwinkel und Erfahrungshorizont. Kvothes Erzählung ist dagegen aus der Innensicht gewonnen, dabei höchst authentisch, und mit der charakteristischen Einschränkung des Blickwinkels, sodass es angemessen ist, ihn als intra-autodiegetischen Erzähler zu bezeichnen.
46 Die Rahmenerzählung führt Kote als den übergeordneten Erzähler Kote ein, profiliert ihn und gestaltet seine Erzählgegenwart.
47 Die Funktion der Binnenerzählung der Königsmörder-Chronik besteht darin, Erklärungen (explikativ) für die Situation zu liefern, in der sich Kote im fiktionalen Jetzt befindet. Sie erläutert die übergeordnete Situation des primären Erzählers Kote, sodass ein Kausalverhältnis zwischen Binnenerzählung und Rahmenerzählung entsteht. Zusätzlich bestehen thematische Analogien, da beide Erzählebenen biografischen Erzählen sind.
48 Die zeitliche Distanz besteht zwischen dem fiktiven Jetzt Kotes und dem fiktiven Damals Kvothes, der seine Biografie retrospektiv erzählt. Alternativ könnte Kote seine Biografie auch ohne Vermittler (den Chronisten) erzählen, im fiktiven Jetzt verharrend, sodass Erzählung und Geschichte parallel und gleichzeitig verlaufen.
49 Binnenhandlungen mit explikativer Funktion sind in der Regel Rückblicke (Analepsen), die homodiegetisch erzählt werden. Kvothe erzählt seine Lebensgeschichte retrospektiv, womit auch die Relation Erzähler - Zeit der erzählten Ereignisse geklärt ist (zeitlogische Bestimmung).
50 »Ihr erwartet, dass ich euch meine Geschichte in einer einzigen Nacht erzähle? Ohne Zeit, um mich zu sammeln? Ohne Zeit, mich vorzubereiten?« [...] »Ich brauche ganz gewiss etwas länger. Und heute Abend hört ihr nichts davon. Eine richtige Geschichte braucht Vorbereitung.« [...] »Ich brauche drei Tage», sagte Kote. »Da bin ich mir sicher« (Rothfuss, NdW.6, 70ff.).
51 Schon Kotes Einschätzung, für seine Lebensgeschichte mehr als eine Nacht zu brauchen, führt zu der Assoziation Tausendundeine Nacht.
52 Maerchenalmanach für Söhne und Töchter gebildeter Stände auf das Jahr 1828. Die Novelle Das Wirtshaus im Spessart ist die Rahmenerzählung des dritten Bandes von Wilhelm Hauffs Märchenalmanach. Hauffs Rahmenhandlung besteht aus der Gesellenwanderung des Goldschmieds Felix sowie einer darin integrierten Räubererzählung. Während seiner Wanderung kehrt der Goldschmied eines Abends zusammen mit einem Zirkelschmied, mit dem er unterwegs ist, in ein Gasthaus ein, in dem er auf einen Studenten und einen Fuhrmann trifft. Das Gasthaus befindet sich im Spessart, der seinerzeit berüchtigt war für Raubüberfälle. Deshalb beschließen die Gäste im Wirtshaus erst gar nicht zu schlafen, um nicht ausgeraubt zu werden. Um wach zu bleiben, erzählen sie sich gegenseitig Geschichten, wie es auch Chaucers Reisende in den Canterbury Tales tun. Ein anderes populäres Wirtshaus, das als Ort einer Binnenerzählung dient, nutzt Theodor Storm in seiner Novelle Der Schimmelreiter. Ein tertiärer Erzähler, der alte Schulmeister, erzählt dem sekundären, namenlosen Erzähler in einer nordfriesischen Gaststube die Geschichte vom Deichgraf Hauke Haien.
53 Wilhelm Hauff, Märchen, Zweiter Band, Frankfurt a.M., 1978:16.
54 Der bereits erwähnte Söldner, der unerwartet im Wirtshaus zum Wegstein erscheint, entführt zwar niemanden, sorgt aber mit seinem Auftritt für eine beängstigend-unheimliche Atmosphäre, und bedroht die Anwesenden mit dem Tod (Rothfuss, NdW.88, 816ff.).
55 Brandon Sanderson, Schatten für Stille in den Waldungen der Hölle, in: Martin, G.R.R. und Gardner Dozois, Königin im Exil, Ebook München, 2015:411-480.

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