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Mittwoch, 21. August 2024

Lady Carillions Tagebuch


Robin Hobbs Novelle Homecoming, Teil Eins

Some spirit of the Rain Wilds whispered to me,
»Try to master it and it will engulf you.
Become a part of it, and live.«

Lady Carillions Tagebuch

Vorbemerkung

Es war einmal in einem Reich, in dem Drachen und Menschen zum gegenseitigen Nutzen friedlich zusammenlebten. Drachen-Essenz hatte sich mit der Natur des Menschen vermischt. Aus dieser zufälligen Mischung waren die Altvorderen hervorgegangen. Sie waren groß und schlank gewesen, drachenäugig und mit goldenem Haar. Diese uralte Rasse hatte mit den Drachen zusammengelebt und sich in dieser Symbiose gesonnt.1
Das Reich der Altvorderen (Elderlings) war schon lange untergegangen als Verbannte und Kriminelle aus Jamaillia-Stadt die Ruinen dieser alten Kultur wiederentdeckten, sie plünderten und zerstörten. Robin Hobbs Novelle Homecoming erzählt von diesen Pionieren, der Entdeckung einer versunkenen Stadt und den Konsequenten, die daraus entstehen. Sie überliefert in Form eines Tagebuchs einige Monate aus dem entbehrungsreichen Leben der jamailliaischen Adeligen Lady Carillion Waljin Carrock in der Regenwildnis. Die Erzählung ist nicht nur ein vielleicht verloren gegangenes, und Jahre später wiedergefundenes Tagebuch. Sie bietet auch eine unterhaltsame, spannende Lektüre der Schemaliteratur, die eine wichtige Funktion in Robin Hobbs mehrere tausend Seiten umfassende Serie The Realm of the Elderlings spielt. Sie gehört nämlich

  • zur Geschichte hinter der Geschichte der Serie,
  • ist im Kern feministische Literatur und
  • überbrückt die durch die Tawny Man Trilogy entstandene Unterbrechung zwischen den Romanen der Liveship Traders Trilogy und der Rain Wild Chronicle.

Mittwoch, 14. August 2024

Odysseus, Kassandra und der Heilige Geist


Die Psychologie in der Mythologie der Antike

Die Welt der griechischen Antike und eines großen Teils außereuropäischer Kulturen ist unberechenbar von ergreifenden Atmosphären durchzogen. Diesem Gedanken zu folgen dienen die mythischen Protagonisten Odysseus und Kassandra. Meine Studie Odysseus, Kassandra und der Heilige Geist greift die Thematik dieser leiblich spürbaren Atmosphären auf, deren Autorität, wie Hermann Schmitz es nennt, für jeden den Gipfel unbedingten Ernstes erreicht. Der Gipfel des unbedingten Ernstes ist die beinahe charismatische Autorität des Göttlichen, der sich der Mensch, trotz seines Vermögens sich zu distanzieren und Kritik zu üben, bewusst unterwirft.
Den Menschen ergreifende Gefühle treten als bestimmte Personen, als Götter, in Erscheinung. Zu bestimmten Zeiten, an bestimmten Orten oder in bestimmten Situationen werden quasi in der Luft liegende Atmosphären als Gefühle erfahren. In der Auseinandersetzung des Menschen mit diesen Atmosphären können sich diese zu Personen verdichten. Das Numinose, das Rudolf Otto beschrieben hat, ist eine solche göttliche Atmosphäre für jeden, dem sie widerfährt und zugleich ein typisches Vorgefühl der göttlichen Gefühle in ihrer unermesslichen Vielgestaltigkeit.
Unverkennbar in der Flut der Fantasy- und Science Fiction-Literatur oder in zahlreichen Computerspielen, die ihre Inspiration eindeutig der Mythologie verdanken, zeigt sich ein unstillbarer Hunger nach Bildern und Symbolen, die die Sinndiskussion der rezenten westlichen Kulturen schon lange nicht mehr befriedigen kann. Die moderne kapitalistische Ethik mit ihrer einseitig rationalistischen Weltauffassung, der der moderne Mensch unterworfen ist, hat inzwischen dazu geführt, dass diesem kaum noch eigene Bilder aus dem Unbewussten entgegenwachsen. Programmiertes Heldentum ist gefragt, damit berechenbare und vorausplanbare Identifikationen entstehen können, die, medial gesteuert, zu normiertem Erleben und Erfahren führen. Ein reduziertes Angebot an Geschichten und Bildern, die die aus dem kindlichen Unbewussten strömenden Symbole individuell mit Leben erfüllen, und dem heranreifenden Menschen eine angemessene Realitätsprüfung erlauben, steht eine wachsende Flut von medial konstruiertem Bildmaterial gegenüber, das jegliche Phantasie im Keim erstickt.
Sache des Mythos ist die Darstellung, ein Hörbarmachen atmosphärischer Qualitäten. Mythos ist Aussage, ist verlässlicher Bericht über das im Atmosphärischen Gespürte, Erblickte und Gehörte, das räumlich ausgegossen in die menschliche Erfahrung hereinbricht. Mythische Erzählungen sind immer ein hinweisendes Sprechen, ein Sprechen, das helfen soll, in der Wirklichkeit einen bestimmten Gott als solchen zu erkennen, deshalb wird erzählt, wie er anderen begegnet ist.
Mythen beruhen auf der Erfahrung der Wirkung göttlicher Kräfte auf den Menschen, und auf der Nutzbarmachung der damit verbundenen Energien durch ihn. Sie zeugen vom Gespräch mit den Göttern. Begegnungen dieser Art erlebt der Mensch als emotional ergreifend und numinos; die Auseinandersetzung mit seiner Ergriffenheit führt den sinnsuchenden Menschen zur mythischen Gestaltung und unterscheidet diese von rein dichterischer Phantasie und Fiktion. Das hinweisende Sprechen der Mythen hat allerdings konjunktivischen Charakter – es verweist allein auf die jeweils mögliche eigene Erfahrung mit dem Göttlichen. Nur gemessen an solchen Erfahrungen gewinnen mythische Erzählungen sinn- und identitätsstiftende Glaubwürdigkeit und Legitimität, stabilisieren sie die Weltanschauung einer Gemeinschaft. Den Mythos richtig aufgefasst bedeutet allerdings das Zugeständnis, dass die Götter Voraussetzung, nicht nur Gegenstand der mythischen Rede sind. Übersinnliche Erfahrungen müssen erst gemacht werden, Göttern muss man erst begegnen, bevor von ihnen erzählt werden kann. Der Mythos endet da, wo unmittelbare atmosphärische Erfahrungen nicht mehr stattfinden, wo eine dogmatische Theologie nach dem An-Sich-Sein mythischer Protagonisten fragt, wo starre Theorie an die Stelle dynamischer Erfahrung tritt.

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