Montag, 14. Oktober 2024

Willkommen im Weblog Grüne Sonnen


Wenn wir bedenken, dass wir alle
verrückt sind, ist das Leben erklärt.

Mark Twain

Wenn wir lesen, erfreuen wir uns nicht nur an den Worten des Autors, wir kommunizieren mit seinem Verstand (Martin Amis, The War Against Cliché, 2001). Geht es dabei um Phantastische Literatur, um Fantasy, dann nehmen wir an seinen Träumen, Visionen und an seiner Imagination teil. Aber auch an seiner Originalität, seiner Weltsicht und in gewisser Weise auch an seiner Ver-Rücktheit. Wie Tassen, die in einem Schrank aus ihrer Ordnung gerückt werden, so verrücken Autor*innen phantastischer Texte die Perspektive des Lesers auf dessen Realität und Gegenwart. Da Träume und Visionen ins Unendliche reichen, sind die Gründe der Fantasie nur dort unauslotbar.

Erzählungen der Fantasy-Literatur handeln von uns allen. Die Autor*innen phantastischer Texte ergreifen in ihnen die Gelegenheit, das, was eine historische Realität nicht tradiert, zu ergänzen, Mythenabbrevationen auszuformulieren oder für unmöglich Gehaltenes, magisch zu inszenieren und zu erklären. Fantasy-Texte behandeln die andere Seite der Vernunft, spiegeln Themen, die archetypisch, magisch und innerpsychisch verortet sind. Die Welt der Träume, Visionen, Wünsche und Passiones, die Atmosphären des Unheimlichen und Erschreckenden, des Numinosen und Spirituellen. Fantasy-Autoren*innen erzählen in ihren Texten von der anderen Seite des Menschen, die in den Schatten des Rationalismus und Materialismus der Aufklärung und der Tyrannei des Verstandes geraten ist. Sie verhelfen einer sekundären Realität zurück in die Wahrnehmung, indem sie einen Gegenentwurf zu aktuellen persönlichen, sozialen und politischen Themen in einer literarischen Form präsentieren, die aus Unbewusstem schöpft und an Unbewusstes appelliert.

Die Poetik des Aristoteles untersuchte zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit den Zusammenhang zwischen der Technik des Geschichtenerzählens und der emotionalen Erfahrung des jeweiligen literarischen Genres. In seiner Auseinandersetzung mit der antiken Tragödie erkannte Aristoteles, dass eine bestimmte narrative Technik ein bestimmtes Erleben verursacht. Die emotionale Erfahrung einer gelungenen Erzählung führt nach Aristoteles zur oikea hedone, dem charakteristischen oder gemäßen Vergnügen. Fantasy-Erzählungen bieten den Leser*innen dieses charakteristische Vergnügen. Sie geben ihm die Möglichkeit der Imagination der Autor*innen in eine andere Welt zu folgen, und Mitgefühl, Glück, Furcht und Tod, Identifikation und Katharsis, zu erleben. Worte und Sätze, zu Erzählungen verbunden, erzeugen eine narrative Realität, die die Leser*innen in ihrer Fantasie miterschaffen. Die eigentliche Kunst des Erzählens besteht darin, in der Welt eine grüne Sonne aufgehen zu lassen, wie Tolkien es nennt, und diese in den Erzähltexten plausibel zu machen:

Um eine Sekundärwelt zu schaffen, in der die grüne Sonne glaubhaft ist, nämlich einen Sekundärglauben erzwingt, bedarf es vermutlich einiger Mühe und Überlegung, gewiß aber einer besonderen Fertigkeit, einer Art Elbenkunst (Über Märchen, in: Die Ungeheuer und ihre Kritiker, Gesammelte Aufsätze, Stuttgart, 1987:190).

Fantasy-Autoren*innen, die ihr Handwerk verstehen, sind Meister der Fantasie und des imaginativen Erzählens, Konstrukteure sekundärer Welten, die Leser*innen zu angenehmer Unterhaltung in ihre Schöpfungen entführen.

In meinen Blogbeiträgen mache ich mich auf den Weg, in den phantastischen Erzählungen von Anderen nach den Konstruktionsmerkmalen dieser Texte zu suchen, zu fragen, wie erzählt wird, sowie das latente Wissen freizulegen, das unterhalb der Textoberfläche zu finden ist, um diesen Erzählungen einen konkreten Ort in der Lebenswelt der Leser*innen zu geben. Meine Studien in diesem Weblog beginnen meistens mit einer Idee, zuerst flüchtig, vage, ganz im Geistigen, fast noch Intuition. Dann beginnt das Aufschreiben, unsicher, tastend, nach Worten und Richtung suchend. Am Anfang ist noch nicht deutlich, wohin mich der Entwurf führt. Noch gibt es kein Ziel, keine Vorstellung einer kohärenten Betrachtung. Zuerst gibt es nur den Versuch, die Lust zu improvisieren, dem Diskurs allmählich Richtung und Gestalt zu geben.

To spoil, die Spannung oder den Spaß verderben, bezeichnet eine Tendenz, entscheidende Motive oder Wendungen zu verraten. Obwohl kaum jemand vorher wissen will, wie eine Geschichte endet, erweist sich ein Spoiler als perfider Spaßkiller. Also liebe Leser*innen, zügelt eure Neugier, lest auch nicht die Synopsis eines einzelnen Blogbeitrags, bis ihr die Erzählung gelesen oder ihr den Film gesehen habt. Oder entscheidet euch, dass euch ein Spoiler nichts ausmacht, und ihr eine Erzählung auch dann, oder gerade dann, genießen könnt, wenn ihr Hintergrund ausgeleuchtet ist.

Deswegen meine Warnung für jeden Blogbeitrag: Vorsicht Spoiler!


Blogbeiträge


Die Liste der Blogbeiträge wird kontinuierlich ergänzt!

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