Donnerstag, 10. Oktober 2024

Die Shaod - Koevolution von Leiden und Heilen


Mit der Shaod und den Elantriern thematisiert Brandon Sanderson in seiner Novelle Elantris Fragen nach Göttlichkeit, Erlösung, Leiden und menschlicher Autonomie. Während die Shaod einst als göttliche Transformation angesehen wurde, stellt ihre Korruption zu Beginn des Romans den Glauben an die göttliche Unfehlbarkeit in Frage. Damit eröffnet er eine Diskussion über den Sinn des Leidens und den Weg zur Erlösung. In Elantris stellt er den Glauben an das Göttliche der Kraft von Wissen, Vernunft und menschlicher Handlungsfähigkeit gegenüber, wobei die Wiederherstellung der Stadt Elantris durch Raoden als Symbol für das Potenzial des Menschen gelesen werden kann, Erlösung und Transzendenz zu erlangen.1

Man nannte es die Shaod. Die Verwandlung. Sie ereilte die Menschen willkürlich - gewöhnlich des Nachts, während der geheimnisvollen Stunden, in denen das Leben langsam zur Ruhe kommt. Die Shaod konnte einen Bettler, einen Handwerker, einen Adeligen oder einen Krieger treffen. Wenn sie sich ereignete, endete das Leben des Glücklichen und ein neues begann; er streifte seine alte, profane Existenz ab und zog nach Elantris (E, 9).

Das war einmal! Nach der Zersplitterung der kosmischen Ur-Energie Adonalsium hatten die Splitter (shards), die »Gottheiten« Devotion (Hingabe) und Dominion (Herrschaft), den Planeten Sel unter sich aufgeteilt und bildeten gemeinsam den Ursprung des Dor, der magischen Energiequelle des Planeten. Doch nachdem Odium (Hass, Feindseligkeit) Devotion und Dominion zerstört hatte, wurde ihre Kraft auf der Gedankenebene im Kognitiven Reich (Cognitive Realm) auf Sel gebannt. Fragmente ihrer immensen, nun unkontrollierten Macht führte zu einer Störung des magischen Systems des Planeten, insbesondere zur Störung des Dor, das durch das Land und die Bevölkerung fließt. Das Resultat, die Entwurzelung der göttlichen Energien, der Verlust der göttlichen Ordnung auf Sel, verursachte die Reod (Bestrafung), ein gewaltiges Erdbeben, das im Süden von Arelon einen riesigen Abgrund aufriss, der die Landschaft unwiederbringlich veränderte, worauf das an die Geografie von Sel gebundene Dor instabil wurde und chaotisch implodierte. Wer vor der Reod von der Shaod berührt wurde, verwandelte sich in einen Elantrier, eine erstrebenswerte Transformation eines Menschen, dem das Potenzial der Investitur zugänglich wurde. Das Haar der Elantrier war weiß, ihre Haut silbern, und die Glücklichen entwickelten eine überlegene Kraft, erweiterte geistige Fähigkeiten sowie einen Zugang zur Magie des AonDor. Die Elantrier wurden von den Menschen wie Götter verehrt, da sie mit ihren Kräften Wunder vollbringen konnten, wie Heilung und die Erschaffung von Nahrung. Nach der Reod wurden die einst göttergleichen Elantrier, nachdem sie die Anzeichen der Shaod zeigten, in eine untote, schmerzvolle Existenz geworfen, ihre Stadt, Elantris, verfiel und verwandelte sich in einen Slum.

Seine [Raoden] blauen Augen waren immer noch dieselben, auch wenn sie vor Schreck weit aufgerissen waren. Doch sein Haar war nicht länger rötlich braun, sondern hing ihm schlaff und grau vom Kopf. Die Haut war das Schlimmste. Das Gesicht im Spiegel war von widerwärtigen schwarzen Flecken überzogen, die aussahen, als seien es dunkle Blutergüsse. Diese Flecken konnten nur eines bedeuten. Die Shaod hatte ihn ereilt (E, 15).

Ihr Körper geriet in einem andauernden Zustand des Verfalls, Wunden heilten nicht mehr und der Schmerz blieb ewig bestehen. Ihre Fähigkeit auf die Investitur des Dor zuzugreifen, war nun blockiert.2 Weil die Shaod und das magische System Dor einen engen Zusammenhang bilden, funktionierte die Transformation zum Elantrier nicht mehr einwandfrei, die Shaod war korrumpiert, blieb unvollständig, und die Verwandlung in einen Elantrier misslang. Aufgrund der unvollständigen Transformation heilten Krankheiten und Verletzungen nicht mehr, was zu einem kontinuierlichen physischen Verfall der Betroffenen führte. Die Berufung zur Shaod wurde zu einem Fluch, alle unvollständig Transformierten wurden für tot erklärt und in die Slums der einst prächtigen Stadt Elantris verbannt, wo man sie ihrem Verfall überließ.

Seit der Reod [Bestrafung] brachte man jeden Menschen, der von der Shaod ereilt wurde, nach Elantris, wo er verrotten sollte. Die gefallene Stadt war zu einer riesigen Gruft für diejenigen geworden, deren Körper vergessen hatte, wie man starb (E, 16).

Die latente Bedeutung der narrativen Motive der Erzählung, die Shaod und die Transformation in Elantrier in Brandon Sandersons Cosmere-Debut, thematisieren einen Untergrund theologischer und philosophischer Implikationen, die sich erst einer Interpretation erschließen, die nach vergleichbaren, interkulturellen Phänomenen fragt. Die Heilung des durch die Reod gestörten magischen Systems Dor, der Shaod und der Elantrier, sind die zentralen Elemente des Worldbuilding des Romans, die sich gleichzeitig auf das Verständnis von Transformation, menschlicher Existenz, Erlösung und Leiden beziehen.

Auszeichnung oder Verfluchung?

In meinen Essay Das Antlitz Chirons habe ich mich im Rahmen der Mythologie für Astrologen bereits mit der Koevolution von Leiden und Heilen beschäftigt.3 Das Gefühl der Verletzung, der Kränkung, gezeichnet zu sein, sowie die Ablehnung als Persona non grata durch seine Mitmenschen, ist wohl das auffälligste Gefühl, das die an der Shaod »Erkrankten« erleben, empfunden als persönlichen Mangel, von dem angenommen wird, dass er therapeutisch nicht heilbar ist.

Die chironische Verletzung bleibt als transformierender Impuls erhalten; bewusst gestaltet sie sich als Entwicklung förderndes Motiv, unbewusst als physisch oder psychisch schwärender Krankheitsherd. Mit anderen Worten: Chirons Heilung ist Lebenswerk.4

Ich beabsichtige in dieser Studie nicht, Raoden als verletzten Heiler, und die Shaod als chironische Verletzung zu interpretieren, obwohl dies ohne weiteres möglich ist.5 Die Verbindung von Leiden und Heilen, die im Archetypus Chiron wirksam ist, durchzieht wie ein roter Faden auch die Beschreibung der Shaod in Sandersons Erzählung Elantris. Raodens Aufgabe, sich nicht auf seine »Erkrankung« und Verbannung zu reduzieren, abgelehnt und vermeintlich unheilbar »krank«, enthält die Mission, sich selbst und schließlich anderen zum Heiler zu werden. Wenn ihm dies gelingt, und darin besteht das Thema der Erzählung, steigt er vom gewöhnlichen Menschen zum Elantrier auf, und stellt so das Gleichgewicht seiner Welt wieder her. Otto Johannes Schmidt fokussiert in einer kurzen Analyse der Radixhoroskope von Albert Schweizer, Mutter Teresa, Aleksander Dubcek und Yitzhak Rabin auf die Schlüsselbegriffe von Verletzung und Heilung, beziehungsweise Heil und Unheil im Sinne einer neuen Ganzheit, und fragt: Sind chironische Persönlichkeiten unheil im Sinne von nicht mehr in Ordnung? Nur wenigen Menschen gelingt die Entfaltung mitmenschlicher Zuwendung aufgrund erlittener eigener Verletzungen (Albert Schweizer), aufgrund von Berufungserlebnissen, die zu eigener tätiger Nächstenliebe führen (Mutter Teresa) oder aufgrund der Überwindung schwerer Lebenskrisen, die zu mutigem Engagement ohne Rücksicht auf die eigene Person aufrufen (Aleksander Dubcek, Yitzhak Rabin):

»Heilung« umfassend als Wiederherstellung persönlicher Identität und Ganzheit, meist nach vorheriger Verletzung verstanden werden muss. In diesem Sinne dürften als chironische Persönlichkeiten nicht nur Ärzte, Heilpraktiker und andere mit der Gesundheitsvorsorge befaßte Personen gelten, sondern auch all jene, die auf ihre ganz persönliche Weise bemüht sind, ihren Mitmenschen in Nöten aller Art beizustehen.6

Körperliche Heilung muss auch eine Antwort auf grundlegende Ängste, Ungewissheiten und Hoffnungen geben, dass verbindliche Lösungen möglich sind. Sanderson charakterisiert seine Figur Raoden durch Nächstenliebe und die Fähigkeit zum Mitleiden, sein Leben selbstlos in den Dienst der Gemeinschaft stellten. Sind er und seine mit ihm nach Elantris Verbannte Leidende und Opfer, oder befinden sie sich in der liminalen Phase einer Initiation, den im Materialismus wurzelnden Egoismus zu überwinden? Die Aufgabe des Heilers, des Erlösers, besteht darin, die Natur seiner »Erkrankung« zu begreifen, um mit diesem Wissen unentrinnbar erscheinende Krisen zu begleiten, zu therapieren und heilen zu können. Die Kunst einer, insbesondere psychologischen Diagnostik, zu der es der Erfahrung einer am eigenen Leib entwickelten Theorie der Erkrankung bedarf, geht jeder Therapie voraus. Somit dient Heilung dem gesellschaftlichen Ziel, den Kranken in einen Idealzustand von Gesundheit als das Heilsame und Beglückende zurückzuführen.

Brandon Sanderson mysteriöse Erkrankung Shaod, die das Königreich Kae in Arelon heimsucht, und zur Einrichtung eines Ghettos führt, in das die Infizierten verbannt werden, ermöglicht zwei Annahmen für eine Interpretation:

  • die Shaod als Initiation vergleichbar der Berufungskrankheit des sibirischen Schamanen;
  • die Shaod als spirituelle Krise wie sie die transpersonale Psychologie Stanislav Grofs beschreibt.

Berufung und Initiation zum Elantrianer

Die Shaod in Brandon Sandersons Roman weist zwei Merkmale einer Verwandtschaft mit dem sibirischen Schamanismus auf: das Berufungserlebnis und die Initiation in eine neue Identität. Der zukünftige Schamane durchläuft eine Phase ritueller »Krankheit« und Leiden als notwendigen Teil seiner spirituellen Transformation und seiner Entwicklung in eine neue soziale Rolle und Identität. Verfolgt man den Prozess, den Raoden in Elantris durchmacht, nachdem er an der Shaod »erkrankt« ist, so fallen zunehmend die Merkmale einer physischen und spirituellen Krise auf, die mit einer metaphysischen Berufung verbunden sind, und in der er einem Zugewinn an Heilung und Macht erwirbt. Die Berufung (und Initiation) im sibirischen Schamanismus vollzieht sich in drei Phasen eines rituellen, transformativen Prozesses, wie er sich auch in Raodens Biografie zeigt:

  • in einer spirituellen Krise (Trennungsphase),
  • in einer Initiation (liminale Phase), in der die Bewältigung dieser Krise gelingt, die den zukünftigen Schamanen auf seine Rolle vorbereitet sowie
  • in der Wiedergeburt (Re-Integration) beziehungsweise der Erneuerung der Identität des Initianden.

Der Schamanismus versteht diesen Prozess als eine symbolische Reise des Todes (Jenseitsreise) und der Wiedergeburt, in der der zukünftige Schamane neue Fähigkeiten erlernt und seine alte Identität hinter sich lässt.7 Die Berufung zum Schamanen äußert sich in einem mystischen Erlebnis oder einer spirituellen Krise (sic. Shaod). Diese Berufung erfolgt in den meisten Fällen unfreiwillig, das heißt, die berufene Person sucht nicht danach, berufen zu werden, sie wird es ohne ihr aktives Zutun. Der zukünftige Schamane wird durch Träume, Visionen oder spontane spirituelle Erlebnisse von einem Geist oder den Göttern, im Cosmere von den Splittern des Adonalsiums, auserwählt. Zentrales Merkmal der Berufung im sibirischen Schamanismus ist die Bewältigung einer tiefen Krise, die sich oft in Form von einer Berufungskrankheit (sic. Shaod) äußert. Diese Krankheit wird nicht als eine normale physische Erkrankung angesehen, sondern als ein spirituelles Phänomen, das den zukünftigen Schamanen auf seine Rolle vorbereitet. Seine Krise äußert sich körperlich, aber auch psychisch, in intensiven Schmerzen, qualitativen Bewusstseinsstörungen oder Nahtoderfahrungen, was als Zeichen gedeutet wird, dass die Geister oder Götter den Schamanen berührt haben. Während dieser Krisenphase erlebt der zukünftige Schamane intensive Visionen, in denen er von Geistern geführt wird. Eine häufige Vision ist die des symbolischen Todes. Der Schamane sieht sich selbst sterben und wiedergeboren werden. Diese Erfahrung des Todes ist ein zentraler Aspekt der schamanistischen Berufung, da sie den alten Zustand des Menschen beendet und den Schamanen in eine neue, spirituell erwachte Form bringt. Der visionäre, symbolische Tod symbolisiert die spirituelle Transformation und markiert das Ende der Initiationsphase.
Nach der Phase der Berufung folgt die eigentliche Initiation, die als Übergangsritus verstanden wird und den Schamanen in seine neue Rolle als Vermittler zwischen den Welten einführt. Ekstatische Erfahrungen führen den zukünftigen Schamanen in die Unterwelt (das Ghetto Elantris) oder in den Himmel, wo er mit Geistern oder Ahnen kommuniziert. Diese Reisen sind ein grundlegender Bestandteil der schamanistischen Praxis, da sie dem Schamanen die Fähigkeit verleihen, zwischen den verschiedenen Ebenen der Existenz zu vermitteln (die beiden Städte Kae und Elantris). Ein zentraler Bestandteil dieser Initiation ist der bereits erwähnte symbolische Tod (Verbannung nach Elantris), in dem der zukünftige Schamane symbolisch stirbt (die soziale Ächtung der Verbannten). Sein symbolischer Tod bedeutet eine Reinigung, die dient dazu, den Schamanen von seiner früheren Identität und den Begrenzungen seines menschlichen Körpers zu befreien, damit er als neuer, spirituell erwachter Mensch wiedergeboren werden kann. Neben den visionären Erlebnissen, die während der Krise und der Initiation auftreten, gibt es auch formale Initiationsrituale (das Begräbnisritual für die Elantrier als Übergangsritual), die von der Gemeinschaft durchgeführt werden. Diese Rituale sind nicht nur für den Schamanen von Bedeutung, sondern auch für die Gemeinschaft, da sie seine Funktion als Vermittler zwischen der Welt der Menschen und der Welt der Geister anerkennen, in Elantris die Fähigkeit der Manipulation und Kontrolle der Investitur des Dor. Wie ein Schamane agiert Raoden als Vermittler zwischen zwei Ebenen der Wirklichkeit: den Physischen und dem Kognitiven Reich, in dem die nach der Reod verbliebenen Splitter Devotion und Dominion gefangen sind. Wie ein Schamane erwirbt Raoden die Fähigkeit mit dem Kognitiven Reich zu kommunizieren - indem der die Kunst erlernt, die Glyphen des AonDor zu manipulieren, diese Kräfte zu nutzen, um Heilungen durchzuführen, die Zukunft vorherzusagen oder verlorene Seelen zu retten. Diese Vermittlerrolle ist entscheidend für die Wiederherstellung des einstigen Elantris.

Die Shaod als Berufungskrankheit und Initiation

In schamanistischen Traditionen durchläuft der Schamane eine spirituelle Krise, die als eine Berufungskrankheit angesehen wird. Diese Krankheit erfüllt die Notwendigkeit, eine höhere Ebene des Bewusstseins zu erlangen und schließlich als Heiler oder spiritueller Führer zu wirken. Diese schamanistische Berufung spiegelt die Shaod wider. In der erzählten Welt Elantris trifft die Shaod Menschen plötzlich und unvorhersehbar: Sie ereilt der Ruf zur Transformation, und sie begeben sich (absichtslos) auf eine spirituelle Reise. In schamanistischen Kulturen gilt diese Berufung als ein unausweichlicher Prozess, der das Individuum unabhängig von seinem Wunsch trifft. Brandon Sanderson scheint die Shaod nach diesem Modell gestaltet zu haben. Niemand in Arelon kann entscheiden, ob er von der Shaod berührt werden will, sondern er wird, wie in schamanistischen Kulturen durch metaphysische Mächte auserwählt. Die spirituelle Krise, die der Initiation vorausgeht, wird im Schamanismus als notwendiger Prozess betrachtet, der den Schamanen auf eine höhere Ebene der Weisheit vorbereitet. Das Leiden, das der Schamane während seiner Berufung und Initiation erfährt, ist keine Bestrafung, sondern ein Weg zur Erleuchtung. Durch die Bewältigung schmerzhafter Erfahrungen wird der Schamane gereinigt und gestärkt, um zukünftig seine Aufgaben für die Gemeinschaft zu erfüllen. Nachdem Devotion und Dominion gefallen sind, führt die Shaod in der Post-Reod-Epoche Arelons in einem Zustand körperlicher und psychischer Schmerzen und Entbehrungen. Die Betroffenen sind in einem Zustand des ewigen Verfalls und der Verzweiflung gefangen, und können nicht sterben. Ihr Zustand ständigen Leidens entspricht den schrecklichen Prüfungen, die auch ein Schamane erdulden muss. Während seiner Berufung zum Schamanen erlebt Bokan einen Initiationstraum, in dem der Herr der Taiga die zentrale Person der Einweihung ist:

Einer, der der Geisterhorde als Anführer diente, leitete den tanzenden Zug über ein großes Schneefeld auf ein Zeltlager zu. Dort flackerten Feuer, und vor den Jurten wartete eine große Schar Geister. [...] Er (Bokan) spürte keinerlei Schmerz, als die Geister nun an den Haken und Harpunen zerrten und seinen Körper an den Gelenken auseinanderrissen. Sei schnitten seinen Bauch auf und weideten sein Gedärm aus, sein Blut fingen sie in Schalen auf und sammelten es. Dann näherten sie sich wieder dem Kopf, um ihm die Ohren abzuschneiden. Er hörte nichts mehr vom häßlichen Gesang und war froh. Sie schnitten ihm die Nase ab, da brauchte er den Gestank des Unrats im Geisterlager nicht mehr zu riechen. Sie rissen ihm die Zunge heraus und jeden Zahn einzeln. Zum Schluß stachen sie mit Eisenlanzen seine Augen aus. [...] Der Herr der Taiga wies seine Helfer an, Bokans Knochen in die Jurte zu tragen. Dort am Herdfeuer begann er eigenhändig zu schmieden. Aus den Knochen formte er ein neues Skelett und fügte zur Verstärkung die zwölf Hilfsgeister aus dem Rauchloch ein.8

Kenntnisreich skizziert Harald Braem in seinem Roman Der Herr des Feuers, wie Bokans Selbst in der Initiation stirbt, und er sich mit den Geistern der Natur vereinigt, um seine künftige Mittlerrolle zu übernehmen. Hans Findeisen und Heino Gehrts berichten von sibirischen Schamanen, die bis zum Moment des Eintritts in das Schamanenamt qualvollen krankhaften, psychischen und körperlichen Leiden ausgesetzt waren. Sie vergleichen die Initiationsrituale der Jakuten, Tungusen und Burjaten mit dem mystischen Opfertod der Dionysosmysterien, der dazu befähigt, die Krankheiten zu heilen, die von den Geistern verursacht werden, die an den furchtbaren Zerstückelungen Anteil nehmen.9 Stigmata (die physischen Symptome der korrumpierten Shaod) bedeuten besondere Auszeichnungen. Auch im mythischen Kontext öffnen Entbehrungen und Leiden den Sinn für das Verborgene:

Im rituellen und mythischen Zusammenhang kann eine Vielzahl von körperlichen oder geistigen Defekten zugleich Kennzeichen einer außergewöhnlichen Begabung sein und eine Erwählung durch die Götter, eine Berufung zu Höherem anzeigen. Die Morphologie der Erwählung umfaßt ein sehr breites Spektrum. Hierzu zählen – neben bestimmten heiligen Krankheiten oder Verstümmelungen – auch gewisse außergewöhnliche Todesarten.10

Der Sinn und die Funktion, dieser mit körperlichen und psychischen Belastungen verbundenen Initiationsprüfungen, besteht in der Förderung gesteigerter innerer Wahrnehmung und die Entwicklung eines multidimensionalen Bewusstseins. Aber erst die Konfrontation mit innerpsychischer Schattenmaterie befähigt den künftigen Schamanen, als Pontifex, die Ebenen verschiedener Wirklichkeiten miteinander zu verbinden. Der Schamane, so Joan Halifax, bildet den Kanal für die Kommunikation zwischen den Spezies.11
Nach dem Fall von Elantris hat sich die Shaod in einen Fluch verwandelt, der den einstigen göttlichen Transformationsprozess in ein andauerndes Leiden verwandelte, in eine Krise, die auch ein Schamane vor seiner endgültigen Bestätigung absolvieren muss. Der Verfall von Elantris zu einem Slum sowie die veränderte Natur der Shaod symbolisieren diese Zeit der spirituellen Krise und des gestörten Gleichgewichts. In schamanistischen Riten gibt es die Vorstellung, dass der zukünftige Schamane während seiner Krise sowohl den physischen als auch den spirituellen Tod durchlaufen muss, bevor er neu geboren wird. Wie der Schamane, der während seiner Initiation von der Gemeinschaft gemieden wird, befinden sich auch die Elantrier in einer Phase des rituellen Todes, des Wartens auf ihre Wiedergeburt in einer neuen Identität. Ihre Welt ist zerbrochen, aber es gibt die potenzielle Möglichkeit der Heilung und Wiederherstellung.
Am Ende von Elantris retten Raodens Bemühungen die Stadt und die Shaod kehrt in ihre ursprüngliche, göttliche Form zurück. Diese Wiederherstellung gleicht der schamanistischen Wiedergeburt, in der der Herr der Taiga Bokans Knochen neu schmiedet. Die Erlösung der Elantrier, nach ihrer langen Phase des Leidens, repräsentiert den Übergang des Schamanen von der Krise zur Heilung. Die Shaod, die zunächst Verderben bringt, wird durch Raodens beharrliches Engagement zu einer Kraft der Erneuerung, so wie auch die schamanistische Berufung zuerst Leiden verursacht, um zu Heilung und spiritueller Macht zu führen. In dieser Perspektive ist die Shaod eine spirituelle Initiationskrankheit, die Leiden als Voraussetzung für das Erlangen von Macht und Wissen fordert. Der Weg zu Weisheit und spiritueller Macht führt über Schmerz und Entbehrung. Die Regeneration der Investitur, die Wiederherstellung der Wirkung des AonDor (einer höheren magischen Ordnung), bedeutet eine symbolische Transformation, bei der die leidenden Bewohner im Ghetto Elantris den Prozess der Shaod mit allen Herausforderungen bewältigen und spirituell neu geboren werden. Die korrumpierte Shaod weist noch immer einen Ausweg, verspricht, dass Leiden die notwendige Voraussetzung ist, schließlich den göttlichen Status des Elantriers wieder zu erwerben, und Zugang zu der höheren Wahrheit des AonDor zu erlangen. Die metaphysische Verbindung zwischen den Elantriern und den Aons unterstreicht diese Annahme. Der Weg vom Fall Elantris bis zu seiner Wiederherstellung reflektiert den Weg eines Schamanen, der aus der Krise, der »dunklen Nacht der Seele«, gestärkt hervorgeht. Die Erfahrung des Leidens der Elantrier ist keine negative Bestrafung, sie ist die notwendige Bedingung für die Erlösung und ihren Aufstieg in eine neue Identität. Die Interpretation der Shaod als eine schamanistische Initiation illustriert, wie Brandon Sanderson die Konzepte Leid, Erlösung und Macht mit traditionellen schamanistischen Ideen verknüpft.

Spirituelle Krise und transpersonale Identität

Das Phänomen der Shaod als schamanistische Initiation beleuchtet nur eine der Möglichkeiten, dieser merkwürdigen »Erkrankung« auf die Spur zu kommen. Die dargestellte Auffassung der schamanistischen Berufung und Initiation als Ausdruck einer »Krankheit« als spirituelle Krise führt zu Stanislav Grofs transpersonaler Psychologie.12 Grof entwickelte seine Theorie der spirituellen Krise (spiritual emergency) als ein Konzept, das sich auf intensive psychische und spirituelle Erlebnisse bezieht, die den Einzelnen an die Grenze seines bisherigen Verständnisses von sich selbst und der Welt bringen. Diese Krisen wirken nur scheinbar destruktiv, denn sie führen bei erfolgreicher Bewältigung zu einer tiefen Transformation und Erneuerung des Selbst. Auch die Shaod begann einst als eine Verwandlung, die die Betroffenen von einem gewöhnlichen Menschen zu einem Elantrier machte, was als eine göttliche Erhebung betrachtet wurde. Erst nach dem Verfall des Dor nach der Reod verwandelte die Shaod die von ihr Betroffenen in leidende, verstoßene Personen, die in einem Zustand andauernden, körperlichen und seelischen Schmerzes gefangen waren.
In seiner psychotherapeutischen Behandlung führt Stanislav Grof diese spirituellen Krisen, als einen Zustand, in dem der Einzelne tiefgreifende psychische und existenzielle Herausforderungen erfährt, absichtlich herbei. Solche Krisen führen bei den Patient*innen zu Desorientierung, zum Verlust der Identität, zu Isolation und einem Gefühl der Trennung von der gewohnten Realität. Sie geraten in die gleiche Befindlichkeit wie die von der Shaod Betroffenen, verlieren ihren bisherigen Lebenssinn, ihre körperliche Integrität und ihre Verbindung zur Gemeinschaft, indem sie in ihr inneres Ghetto eingesperrt werden. Die Shaod wirkt als erzwungene Transformation, die sich scheinbar chaotisch und zerstörerisch auswirkt. Die transpersonale Psychologie beschreibt die Übergangsphase der spirituellen Krise, die die Ethnologie als liminale Phase des Rituals versteht, als einen notwendigen Prozess, um das Ego zu zerbrechen und Platz für eine erweiterte, transzendente Erfahrung zu schaffen. In einer spirituellen Krise zerbricht das bisherige Selbstkonzept der Identität, was in Elantris unmittelbar sichtbar wird: diejenigen, die von der Shaod betroffen sind, verlieren ihre körperliche Gesundheit und Schönheit, sie werden von der Gesellschaft ausgestoßen, sind isoliert, verunstaltet und auf ein Dasein in den Slums von Elantris reduziert.
In der transpersonalen Psychologie spricht man von dieser Übergangssituation, in der der alte Status verloren, und eine neue soziale Position noch aussteht, von einem symbolischen Tod, den das Ego in seiner spirituellen Krise erleidet. Es ist der gleiche Prozess, den der zukünftige Schamane erleidet, und er gleicht auch der Erfahrung der Elantrier, die einen sozialen Tod in Elantris erleben. Sie sind von der Welt der Lebenden abgeschnitten, weder wirklich lebendig noch tot. Ihre alte Identität als Bürger von Arelon ist ausgelöscht, und sie befinden sich in einem liminalen Zustand, den der britische Ethnologe Victor Turner als betwist and between bezeichnet hat, between two positions, choices, or ideas; not really one thing or the other. In der spirituellen Krise wird der Verlust der alten Ich-Identität notwendig, um Raum für eine erweiterte, transpersonale Identität zu schaffen. Das psychische Leid und der körperliche Schmerz, der nach der Reod von der Shaod Betroffenen, bildet das zentrale Merkmal der spirituellen Krise, das die symbolische Repräsentation des personalen Umbruchs darstellt. Die Elantrier erleben permanenten Schmerz, denn ihre Wunden heilen nicht, als symbolische Verkörperung der inneren Zerrissenheit und des Leidens, das während einer spirituellen Krise zu einer Erneuerung der Identität auftritt. Trotz ihrer schrecklichen Erscheinung und des Leids, das die Shaod ihnen antut, bleibt das Potenzial der Heilung und Transformation erhalten. Die transpersonale Psychologie versteht die spirituelle Krise als Übergangsphänomen, in der das Individuum auf eine höhere Ebene des Bewusstseins und der spirituellen Verbindung vorbereitet wird. Die Elantrier, die von der Shaod betroffen sind, befinden sich in einem Zustand zwischen ihrem alten Selbst und einem neuen, noch unbekannten Zustand des Seins. Dieser Zustand, der zunächst wie ein Fluch erscheint, enthält das Potenzial für ihre Erneuerung.
Die Isolation der von der Shaod Betroffenen ist ein wichtiger Teil ihrer spirituellen Krise. Grof beschreibt die Isolation und das Gefühl der Entfremdung als zentrale Erfahrungen während dieser liminalen Phase. Die Elantrier sind buchstäblich isoliert. Sie leben in einer abgeriegelten Stadt, von der übrigen Welt getrennt, und werden als verfluchte Kreaturen betrachtet. Die Isolation verstärkt ihr Leiden und symbolisiert den Rückzug in das innere Selbst, eine notwendige Phase spiritueller Transformationsprozesse. Trotz seines persönlichen Leidens und seiner Isolation schafft es Raoden schließlich, die verzweifelten Elantrier zu organisieren, und Ansätze einer Gemeinschaft zu bilden, eine andere Bedingung, die Heilung fördert, Hoffnung gibt, und die vereinzelten Ausgestoßenen in eine Gemeinschaft integriert. Diesen Schritt aus der Isolation, ihre Verbindung mit anderen, wird in der transpersonalen Psychologie als wichtiger Schritt zur Heilung angesehen. Das Wiederaufleben von gemeinschaftlichem Handeln, die Wiederherstellung der Magie, wird in Elantris zu dem kollektiven Akt, der die Transformation ermöglicht.
Während seines Aufenthalts in Elantris gelingt es Raoden das Geheimnis, das die AonDor seit der Reod umgibt, zu lösen, die Korruption der Shaod aufzuheben und die ursprüngliche, heilbringende Macht der Shaod wiederherstellen. In der transpersonalen Psychologie entspricht dies dem Abschluss der spirituellen Krise: Nachdem das alte Selbst zerstört wurde, kann das Individuum in eine höhere, integrativere Existenz aufsteigen. Der Prozess, durch den Raoden und die Elantrier gehen, reflektiert diesen Übergang von einer Phase des Leidens hin zu einer Erleuchtung, in der sie wieder Zugang zu den magischen Kräften und ihrer ursprünglichen Macht erhalten. Nachdem die Shaod „»geheilt« ist, kehren die Betroffenen nicht nur zu ihrem alten Zustand zurück, sondern betreten eine neue, transzendente Form ihrer Existenz. Sie bewältigen, inspiriert durch Raodens innovative Kraft, ihre spirituelle Krise, gelangen zu transpersonaler Ganzheit und Integration, und werden erneut zu strahlenden, mächtigen Elantriern, die über ihr vorheriges Selbst hinauswachsen und eine erweiterte Verbindung mit dem Kosmos oder dem Göttlichen erlangen.
Der Abschluss der spirituellen Krise führt zu einer spirituellen Wiedergeburt, bei der das Individuum eine erweiterte, transpersonale Identität erlangt. Die Elantrier, die nach der Heilung der Shaod in ihre göttliche Form zurückkehren, sind eine Metapher für diesen Prozess. Sie erlitten eine Phase des symbolischen Todes und der spirituellen Krise, um schließlich zu einer höheren Form des Seins wiedergeboren zu werden. Dies entspricht Grofs Konzept der transpersonalen Entwicklung, bei der das Individuum ein Bewusstsein jenseits des eigenen Egos entwickelt und sich in einer tieferen Verbindung zu kosmischen oder spirituellen Kräften wiederfindet. Die geheilten Elantrier besitzen wieder die magischen Fähigkeiten, die auf einer tiefen Verbindung zu den Aons beruhen, den magischen Symbolen, die die Welt der Elantrier formen. Die Aons sind ein Symbol für das erweitertes Bewusstsein, das Individuen nach einer spirituellen Krise in der transpersonalen Psychologie erleben. Sie nun haben Zugang zu höheren Ebenen der Realität (dem Cognitive beziehungsweise Spiritual Realms des Cosmere) und können diese bewusst beeinflussen, was die transformative Kraft solcher Krisen unterstreicht.
Während die Shaod einst als göttliche Transformation angesehen wird, stellt ihre Korruption den Glauben an eine göttliche Unfehlbarkeit in Frage und eröffnet Diskussionen über den Sinn des Leidens und den Weg zur Erlösung. Brandon Sandersons Roman konfrontiert den Glauben an das Göttliche mit der Kraft von Wissen, Vernunft und menschlicher Handlungsfähigkeit, wobei die Wiederherstellung von Elantris durch Raoden das Potenzial des Menschen thematisiert, Erlösung und Transzendenz zu erlangen. In der Vergangenheit wurde die Shaod als eine Art göttliche Segnung angesehen, die Menschen in Halbgötter verwandelte. Die Betroffenen strahlten ein inneres Licht aus und erhielten die Fähigkeit, die Magie des Dor durch die Zeichnung von Glyphen, Aons, zu kanalisieren.
Diejenigen, die nach der Verwandlung von Elantris durch die Shaod getroffen werden, sind in gewisser Weise verfluchte Figuren, die von ihren Mitmenschen wie Aussätzige behandelt werden. Sie erinnern an biblische Erzählungen von gefallenen Engeln, die wegen einer Regelverletzung oder durch einen Fluch in ewiges Leid verbannt wurden, aber auch an den Prometheus-Mythos. Trotz ihres Leidens blieben sie auf eine gewisse Weise »lebendig« und repräsentieren die Möglichkeit der Wiederauferstehung oder Erlösung. Der Fall der Elantrier erinnert auch an den alttestamentlichen Sündenfall, die Erbsünde (peccatum hereditarium), oder die altnordische Götterdämmerung (ragna rökr), an Protagonisten, die einst göttlich waren, aber aufgrund einer Korruption ins Leid gefallen sind. Ihre Existenz in einer verfallenen, ewig schmerzhaften Welt liest sich wie eine Reflexion über die menschliche Natur und ihr Verhältnis zu einer göttlichen Strafe oder Errettung. Das Schicksal der Elantrier ändert sich durch Vernunft, Wissen und Initiative, durch Technologie und die richtige Anwendung des magischen Systems AonDor, die die verletzte Welt und so sie selbst heilt.
Die Anwendung der an naturwissenschaftliche Methoden angelehnte Magie, repräsentiert durch die Bemühungen Raodens das Rätsel der Aons zu lösen, durch Raodens Intelligenz und Beharrlichkeit, und nicht durch göttliche Intervention, wendet er das Schicksal der Elantrier. Sein Vertrauen in seine menschlichen Fähigkeiten und die Macht der Gemeinschaft, durch sein Wissen und seine rationale Logik, lenkt er die göttliche Magie des AonDor zurück in die richtige Bahn. Der Übergang aus einem Zustand der Blindheit und des Glaubens an eine göttliche Intervention hin zu einer Lösung, die auf Wissen und Vernunft basiert, stellt die Autonomie des Individuums ins Zentrum des Geschehens. Anstatt auf göttliche Hilfe zu warten, finden die Elantrier den Weg zu ihrer Erleuchtung selbst.
Bereits in seinem bemerkenswerten Debut Elantris ruht das Worldbuilding Brandon Sandersons auf zwei philosophischen Säulen: Auf der einen Seite basiert die Magie in seinem gesamten erzählerischen Werk, und das betrifft insbesondere seine Cosmere-Erzählungen, auf den Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft, die kongenial in das Konzept, das er Investitur nennt, einfließen. In einem Postscript seiner Novelle The Emperor`s Soul formuliert er seinen Anspruch, über das Fantastische zu schreiben:

Though in this genre we write about the fantastic, the stories work best when there is solid grounding in our world. Magic works best for me when it aligns with scientific principles. Worldbuilding works best when it draws from sources in our world. Characters work best when they’re grounded in solid human emotion and experience. Being a writer, then, is as much about observation as it is imagination.13

Andererseits ebnet sein Werk einer humanistischen Moralphilosophie den Weg, insbesondere in The Stormlight Archive, in der der Mensch nicht passiv auf das Göttliche wartet, sondern selbst aktiv wird, und sich an einem moralischen Kodex orientiert, der Ehre und Verantwortung ins Zentrum des Handelns stellt.

»But all men have the same ultimate destination.« […] »And so, does the destination matter? Or is it the path we take? I declare that no accomplishment has substance nearly as great as the road used to achieve it. We are not creatures of destinations. It is the journey that shapes us.« […] »In the end, I must proclaim that no good can be achieved of false means. For the substance of our existence is not in the achievement, but in the method.«14


Anmerkungen

1 Sanderson, Elantris, 9-10; 16. Vgl. zur Einführung auch Herbert W. Jardner, Re-read Elantris, Blogbeitrag Grüne Sonnen, 2014.
2 Dor, AonDor und Aon sind Konzepte aus Brandon Sandersons Cosmere-Universum, die in seinem Roman Elantris eine zentrale Rolle spielen. Sie beziehen sich auf magische Systeme und Kräfte, die miteinander verwandt sind, aber unterschiedliche Aspekte der Magie und deren Nutzung darstellen. Das Dor ist eine ungeformte, rohe Energie, die überall auf Sel existiert und nicht ohne Weiteres kontrollierbar ist. Das Dor selbst kann nicht direkt genutzt werden, sondern muss durch verschiedene magische Systeme kanalisiert werden, die jeweils an die Kultur und Geografie der Region gebunden sind. Es ist die eigentliche Kraftquelle hinter allen magischen Systemen auf Sel, aber es ist abstrakter und nicht direkt sichtbar. AonDor ist das magische System, dass das Dor durch die Aons (magische Symbole) kanalisieren kann. Nur bestimmte Menschen, insbesondere die sogenannten Elantrier, können das AonDor nutzen, da sie eine besondere Verbindung zu Elantris und dem Dor haben. AonDor basiert auf dem präzisen Zeichnen der Aons, die das Dor auf bestimmte Weise formen und leiten. Die Stärke der Magie hängt von der Genauigkeit der Aons und ihrer Beziehung zur Geographie ab. Ein Aon ist ein spezifisches Symbol oder Zeichen, das eine bestimmte Bedeutung hat und einen bestimmten Aspekt der Welt repräsentiert. Aons sind die Glyphen des AonDor. Durch das Zeichnen eines Aons wird das Dor in spezifische magische Effekte kanalisiert. Jedes einzelne der Aons hat eine besondere Bedeutung und wird mit verschiedenen Modifikatoren versehen, um bestimmte Effekte zu erzielen (z. B. Heilung, Schutz, Energie). Aons können in ihrer Form modifiziert werden, um spezifischere oder stärkere Effekte zu erzielen, je nachdem, wie sie gestaltet und kombiniert werden.
3 Herbert W. Jardner, Das Antlitz Chirons. Die astrologische Reflexion einer archaischen Signatur, veröffentlicht als Blogbeitrag auf Astro-Logisch, Grüne Sonnen, 2022; vgl. das Kapitel Die Koevolution von Leiden und Heilen.
4 Daniela Kosten, Der Auftritt von Chiron und Lilith auf der astrologischen Bühne, in: Astrologie Heute, 71, 1998:17.
5 Positiv konnotiert zieht die Shaod die Grenze zwischen Menschen und Gott: ein erwünschter, begehrter, angestrebter Zustand. Die Shaod als Auszeichnung, Erhebung in eine übermenschliche Existenz. Negativ konnotiert isoliert die Shaod Mensch von Mensch: gesund-krank; heil-gezeichnet; zugehörig-ausgestoßen. Die Shaod als Brandmarkung einer asozialen Existenz. Wie Kelsier und Kaladin, andere männliche Protagonisten, besitzt auch Raoden ein Stigma, das zuerst als Makel erscheint. Sanderson setzt seine männlichen Protagonisten einem Zustand der Liminalität aus, in dem sie sich bewähren müssen: Raodens Exil in Elantris; Kelsiers Rebellion im Untergrund von Luthadel; Kaladins Brückendienst auf der zerbrochenen Ebene.
6 Otto Johannes Schmidt, Chironische Persönlichkeiten in wichtigen Lebensphasen, in: Meridian 2, 1996:38.
7 Vgl. für die folgende Argumentation Mircea Eliade, Schamanismus und archaische Ekstasetechniken, Frankfurt a.M., 2006.
8 Harald Braem, Der Herr des Feuers. Roman eines Schamanen, München, 1997, S. 42.
9 Hans Findeisen und Heino Gehrts, Die Schamanen. Jagdhelfer und Ratgeber, Seelenfahrer, Künder und Heiler, Köln, 1983, 60f. Ebenfalls: Wie Aua den Geistern geweiht wurde. Geschichten, Märchen und Mythen der Schamanen, herausgegeben von Olga Rinne, Darmstadt und Neuwied, 1983.
10 Leo Maria Giani, In heiliger Leidenschaft. Mythen, Kulte und Mysterien, München, 1994, S.128 sowie S.154ff.
11 Joan Halifax, Shaman: The Wounded Healer, London, 1982, S.13. Ebenfalls: Shaman Voices, Harmondsworth, 1979.
12 Stanislav Grof, ein tschechischer Psychiater, Psychotherapeut und Vertreter der psycholytischen Psychotherapie (eine psychotherapeutische Behandlung, die bewusstseinsverändernde, psychodelische Substanzen nutzt), gründete zusammen mit den Gründern des Esalen-Instituts, Michael Murphy und Dick Price, die ITA (International Transpersonal Association) und gilt als einer der Begründer der transpersonalen Psychologie, die neben humanistischen Aspekten auch religiöse und spirituelle Erfahrungen berücksichtigt.
13 Brandon Sanderson, The Emperor`s Soul, Ebook, Dragonsteel Entertainment, LLC., 2012:131.
14 Brandon Sanderson, The Way of Kings: Book One of the Stormlight Archive, Ebook, Dragonsteel Entertainment, LLC, 2010:910.


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