Mittwoch, 20. November 2024

Von Seelenstempeln und Wesensprägern


Invested Arts in Brandon Sandersons Cosmere

To Forge something, you had
to know its past, its nature.

A Forgery had to be likely –
believable - otherwise it
wouldn’t take.

.Wan ShaiLu

Vorbemerkung

The Emperor`s Soul ist eine eigenständige Novelle,1 die recht lose mit Brandon Sandersons Cosmere-Zyklus verbunden ist. Sie ist zwar Teil seines übergreifenden, multiversalen Fantasy-Universums (cosmere2), kann als Erzählung aber eigenständig gelesen werden, ohne dass Vorkenntnisse über das Cosmere erforderlich sind (Standalone Novel). Der Gegenstand meiner Betrachtung diese Novelle sind einige Aspekte des Worldbuilding der Erzählung, im Besonderen die erzählte Welt und das magische System der Novelle, in der Absicht, den narrativen Hintergrund von Sandersons Erzähltext auf seine Konstruktionsmerkmale hin zu befragen.
Forging ist ein magisches System der Planetenwelt Sel (The Selish System),3 das darauf basiert, Objekte oder sogar Menschen zu verändern, indem ihre Geschichte, ihre Identität und Persönlichkeit umgeschrieben werden. Um dies zu erreichen, wird ein spezieller Stempel geschnitzt und mit Symbolen versehen, der charakteristische Aspekte der Vergangenheit der Natur des zu fälschenden Objekts aufweist.

Die Bühne des Geschehens

Das Geschehen der Erzählung ereignet sich im Reich der Rose (Rose Empire), auf dem Planeten Sel, auf dem Sanderson auch sein Debut Elantris angesiedelt hat. Die erzählte Welt des Reichs der Rose gleicht einem fiktionalen, ostasiatischen Land wie der Name der Protagonistin Wan ShaiLu vom Volk der MaiPon oder der Titel des von ihr in der kaiserlichen Galerie gestohlen Gemäldes nahelegt: Han ShuXen`s masterpiece Lily of the Spring Pond (ES, 8). Inspiriert wurde Brandon Sanderson für The Emperor`s Soul, wie er selbst in einem Nachwort einräumt, durch einen Besuch des Nationalen Palastmuseums in Taiwan und durch Erinnerungen an die zwei Jahre, die er als Missionar für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Korea verbrachte.
Die Novelle beginnt mit einem Disput der Schlichter (arbiter), die darüber beraten, was mit der Diebin und Fälscherin Wan ShaiLu geschehen soll, die verhaftet wurde, als sie in der kaiserlichen Galerie mit einem gefälschten Gemälde angetroffen wurde. Gaotona, der am wenigsten einflussreiche Schlichter, der nicht in der Gunst des Kaisers steht, ran his fingers across the thick canvas, inspecting one of the greatest works of art he had ever seen. Unfortunately, it was a lie (ES, 1). Trotz der Perfektion ist das Kunstwerk eine Lüge - eine Fälschung - und nicht das Ziel des Diebstahls. Mehr noch, eine Abscheulichkeit, meinen einige der Schlichter, eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung, denn Shai verändert the nature of reality itself.4
Während Shai in einer Zelle auf ihre öffentliche Hinrichtung wartet, die für den nächsten Tag festgesetzt ist, einigen sich die Schlichter darauf, dass sie ein wertvolles Werkzeug ist, das ihnen nützlich sein kann: We either use this woman`s skill, or we give up control of the empire (ES, 1-2). Das Fälschen von Objekten, und selbst von Menschen (flesh forgery oder resealing), ist ein im Reich der Rose ausgeführtes, legales Handwerk, und nicht der eigentliche Grund für Shais Verurteilung. Ihre Fälschungen sind ein Verbrechen, weil sie außerhalb der Kontrolle der staatlichen Institutionen stattfinden, weil sie eine Diebin und freischaffende Künstlerin ist. Die Schlichter, die Bewahrer der Ordnung, bieten Shai ihre Freilassung an, wenn sie zustimmt, in hundert Tagen die »Seele« von Kaiser Ashravan von den Achtzig Sonnen, den neunundvierzigsten Herrscher, zu erneuern (to forge), der seit einem Attentat hirntot ist. Für ihre Arbeit stehen ihr die offiziellen Geschichtsbücher des Empire, das Tagebuch des Kaisers und Gaotonas Kommentare zur Verfügung, des einzigen nicht korrupten Beraters. Shai willig in das Angebot ein, plant aber zu fliehen, weil sie diese Aufgabe für unmöglich hält. Während sie gemeinsam die Vergangenheit des Kaisers recherchieren, erfährt Gaotona mehr über Kunst des Forging, und Shai, die erkennt, dass der Kaiser naiv und idealistisch war, beschließt, seine »Seele« (Identität) als Meisterwerk zu erschaffen und zu optimieren, sodass er ein besserer Monarch wird. Aus Ehrgeiz, ein Meisterwerk zu schaffen, zögert Shai ihre Flucht immer weiter hinaus, bis ihre Arbeit erledigt ist. Die Erzählung endet damit, dass Gaotona sie vor dem Verrat seiner Kollegen schützt, und sie unterstützt, ihre Freiheit zu erringen. Der Kaiser nimmt mit seiner gefälschten »Seele« seine Herrschaft wieder auf.

Im inneren einer hermetischen Welt

Das Cosmere ist die übergeordnete erzählte Welt in Brandon Sandersons erzählerischem Werk, ein fiktionales Universum, das unterschiedliche Planetenwelten, oder Shardworlds, nicht zu verwechseln mit Terry Pratchetts Scherbenwelten, in einem Universum zusammenfasst. Die Novelle The Emperor`s Soul spielt auf dem Planeten Sel, einer der Planetenwelten des Cosmeres, der ebenfalls der Schauplatz seines Debuts Elantris ist.5
Das Geschehen der Novelle The Emperor`s Soul beschränkt sich auf ein einziges Ereignis: Shais Auftrag, die »Seele« Ashravans zu fälschen. Eine solche Erzählung benötigt keine exakte erzählte Zeit oder eine elaborierte Konstruktion einer erzählten Welt. »You have a hundred days,« Frava said. »Actually, ninety-eight, now.« Shai muss ihre Seelenfälschung in hundert Tagen fertigstellen, weil die höfische Fraktion des Erbes danach nicht mehr länger verbergen kann, dass der Kaiser im Koma liegt und nicht fähig ist, zu regieren.
Die erzählte Zeit ist als Journal oder wie ein Tagebuch organisiert, in dem die Ereignisse der Tage, Shai Fortschreiten bei der Arbeit und ihre Gespräche mit Gaotona, notiert werden: Day Three, Day Seventy-Six oder Day Hundred. Allerdings sind die Angaben nicht exakt chronologisch, denn es gibt nicht für jeden Tag der hunderttägigen Zeitspanne einen Eintrag.
Zu Beginn der Erzählung begegnen die Leser*innen der Protagonistin Shai in einer Zelle, circular pit of a prison cell, einen Tag vor ihrer Hinrichtung. Die ganze erzählte Welt, in der die Figur Shai die ihr gegebenen hundert Tage verbringt, ist ebenso einfach gestaltet, wie diese Zelle. Der Raum, in dem sie untergebracht ist, ist kaum komfortabler eingerichtet, und letztlich genauso beengt und abgeschlossen wie ihre Zelle. Ihr Zimmer befindet sich zwar in dem prächtigen kaiserlichen Palast, den sie aber nicht betreten darf, denn Shai was still a captive, just a more important one than before (ES, 38), und das bleibt sie, bis sie ihren Auftrag erfüllt hat.
Der größte Teil des Geschehens findet innerhalb in der Isolation dieses Zimmers statt. Das Erzählkonzept, in dem der diegetische Raum den zentralen Bestandteil von Handlung und Atmosphäre bildet, ist ein narratives Element, das Sanderson dem haunted house horror entlehnt hat. Die erzählte Welt in The Emperor`s Soul ist eine nach außen abgeschottete Welt, ein hermetisches Worldbuilding, was bedeutet: die fiktionale Welt ist isoliert in sich geschlossen. Sie steht für sich und interagiert wenig bis gar nicht mit der Umgebung.6

They`d given her a room. It was tiny, probably the most drab in the entire palace, and it smelled faintly of mildew. They had still posted guards to watch her all night, of course, and - from her memory of the layout of the vast palace - she was in one of the least frequented wings, one used mostly for storage (ES, 17).

Shai wird streng bewacht, aber ihre Wächter sind über das, was sie tut, nicht informiert. Deshalb verlangt Gaotona von ihr, dass Shai mit ihren Wachen nicht über ihren Auftrag spricht. Das Geheimnis ihrer Arbeit und der Grund für ihre Isolation müssen bewahrt werden:

»Other guards will watch you during the rest of the day, and you are not to speak to them of your task.« […] »There will be no rumors of what we do. [...] The second method of insuring your attention to your project waits outsid.«

und mit diesen Worten betritt ein Blutsiegler (Bloodsealer) Shais Zimmer (ES, 24). Auf ihrer Zimmertür bringt der Blutsiegler eine Rune an, die mit Shais Blut personalisiert ist, wie auch für Seelenstempel üblich, sodass sie das Zimmer nicht verlassen kann, ohne dass er es bemerkt:

The newcomer rested long white fingers on her door, inspecting it. »I will place the rune here,« he said in an accented voice. »If she leaves this room for any reason, or if she alters the rune or the door, I will know. My pets will come for her.« Shai shivered. She glared at Gaotona. »A Bloodsealer. You invited a Bloodsealer into your palace?« (ES, 25).

Die Rune des Blutsieglers symbolisiert die absolute Abgeschlossenheit von Shais Welt. In das hermetische Worldbuilding dringen keine Informationen mehr von außen, die sich auf Entwicklungen und Veränderungen der Normen und Werte der Figuren auswirken. Das Erzählkonzept der hermetischen Welt fokussiert auf einer Erzählweise, die eine eigene Realität beschreibt. In The Emperor`s Soul gibt es eine klar definierte Hierarchie, eigene Regeln und eine Sub-Kultur, die die Schlichter bestimmen, die Gaotona durchsetzt, und die sich stark von der Außenwelt, dem Palastleben oder dem Alltag im Reich der Rosen, unterscheidet. Die wenigen Figuren, die Schlichter und die Greifer (striker), eine Elitetruppe von wenigen Wächtern, zeichnet ein tiefes Verständnis für diese Strukturen aus, denn sie sind für die Dauer der erzählten Zeit ein integraler Teil dieser Welt.

Die narrative Welt von Wan ShaiLu

Die narratologische Analyse eines Erzähltexts gehört nicht unbedingt zum Worldbuilding, aber sie gewährt einen Einblick wie der Autor seine Erzählung präsentiert und verstanden wissen will. Wer eine Geschichte erzählt, und vor allem, wie er sie erzählt, sagt viel über die Atmosphäre aus, die in der erzählen Welt herrscht. Franz K. Stanzel empfiehlt Leser*innen sich zu Beginn der Lektüre die Frage zu stellen: Wer sind die Charaktere, die hier als personale Medien [point of view] erscheinen? Welche menschlichen und geistigen Qualitäten besitzen sie? Darf der Leser ihnen vertrauen oder hat er ihrer Weltsicht mit Vorsicht zu begegnen?7 Denn die Gestaltung von Erzählebene, Erzählmodus und Erzählperspektive durch reale Autor*innen, ob nun auktorial oder personal, allwissend oder an die Perspektive einer Figur der erzählten Welt gebunden ist, verdeutlicht die narrativen Techniken, die innerhalb des Worldbuilding wirksam werden, und bestimmt die Wirkung der Erzählung auf die Leser*innen.
The Emperor`s Soul wird einerseits von einem extradiegetischen Erzähler präsentiert, der sich außerhalb der Erzählung befindet, und von dort aus das Geschehen steuert. Diese Erzählebene führt Sanderson in der Novelle konsistent durch, ohne größere Unterbrechungen in Form von Rückblenden oder eingeschobenen Geschichten. Das erzählte Geschehen ereignet sich linear-progressiv, folgt einem horizontalen Erzählfluss, ein gleichförmig dahinfließendes Wirklichkeitskontinuum von wenigen Wochen. Es gibt keine Binnenerzählung oder metadiegetische Erzähler, keine Metanarrative, auf denen der Erzähler explizit mit den Leser*innen interagiert oder reflektiert, sodass die Novelle erzähltechnisch eher klassisch wirkt. Nur sehr vereinzelt kommt es zu minimalen Analepsen in Bezug auf Shais Vergangenheit, beinahe en passant, und ihre bisherigen Fälschungen. Diese sind kurzgefasst und dienen hauptsächlich der Figurenentwicklung und der Erläuterung des Magiesystems. Ein Team führt in Sandersons Novelle das Wort: der extradiegetisch-heterodiegetische Erzähler,8 dessen Erzählperspektive auf Shai intern fokalisiert ist, sodass die Leser*innen das Geschehen der erzählten Welt durch Shais Augen (Wahrnehmung) und Gedanken (Wissen) erleben. Heterodiegetische und extradiegetische Erzähler gehören nicht zu den Figuren der erzählten Welt. Beide sind kein (mit)erlebendes homodiegetisches Ich, sondern inszenieren als kooperierende Erzähler virtuos den Verlauf der Ereignisse. Als eine leibliche Figur sind sie nicht fassbar. Der heterodiegetische Erzähler ist distanziert und zieht im Hintergrund verborgen die Fäden des Geschehens. Dem heterodiegetischen Erzähler in The Emperor`s Soul kann durchaus der extradiegetische Erzähler zur Seite stehen, der in bestimmten Situationen übernimmt, und das Geschehen von einer Ebene außerhalb der Erzählung ergänzt oder erweitert. Die tiefen Einsichten in Shais psychische Befindlichkeit steuert der heterodiegetische Erzähler allein: die inneren Konflikte der Figuren, insbesondere von Shai und Gaotona, ihre Fragen und Zweifel, ihre Reflexionen zur Kunst des Fälschens.

A Forger wasn`t a simple scam artist or trickster. A Forger was an artist who painted with human perception. [...] A Forger had to create something so perfect, so beautiful, so real that their subjects never questioned. A person was like a dense forest thicket, overgrown with a twisting mess of vines, weeds, shrubs, saplings, and flowers. No person was one single emotion; no person had only one desire. They had many, and usually those desires conflicted with one another like two rosebushes fighting for the same patch of ground (ES, 59).

In ihrer kritischen Einschätzung der Motivation Gaotonas sowie der politischen Intrigen am Hofe wechseln erlebte Rede und heterodiegetische Erzählperspektive einander ab, um Shais Standpunkt nach innen und außen deutlich zu machen:

»I see,« she said. You did it to him too, [dem Kaiser] didn`t you? Shai thought. That look of disappointment, that implication we should be better people than we are. [erlebte Rede] Shai wasn`t the only one who felt that Gaotona regarded her as if he were a displeased grandfather. That made her want to dismiss the man as irrelevant. Except . . . he had offered himself to her tests. He thought what she did was horrible, so he insisted on taking the punishment himself, instead of sending another. [innerer Monolog] You’re genuine, aren’t you, old man? Shai thought [heterodiegetischer Erzähler] (ES, 54).

Die interne Fokalisierung ermöglicht eine intensive Identifikation mit Shai oder Gaotona und hilft den Leser*innen die moralischen und ethischen Fragen der Erzählung zu verstehen, insbesondere die zentralen Themen: Identität und Authentizität. Die interne Fokalisierung verstärkt auch das Spannungsmoment der Novelle, da die Leser*innen immer nur das wahrnehmen und wissen, was Shai wahrnimmt und weiß. Besonders ihre Unsicherheit, ob sie ihren Plan erfolgreich umsetzen kann, wird vor allem in der Figurenrede durch diese Fokalisierung intensiviert:

»Can you do it?« Gaotona asked.
I have no idea, Shai thought. »Yes,« she said.
»It will need to be an exact Forgery,« Frava said sternly.
[...]
»I said I could do it,« Shai replied (ES, 14).

Shai ist eine dynamische Erzählerfigur. Ihre Entwicklung von einer verachteten, inhaftierten Fälscherin zur zentralen Retterin des Kaiserreichs wird in ihren Gedanken und Reflexionen intensiv nachgezeichnet. Durch die genaue Wiedergabe ihrer emotionalen und intellektuellen Reaktionen erleben die Leser*innen, wie sie ihre Situation analysiert und Lösungen für scheinbar unlösbare Probleme findet. Die interne Fokalisierung beschränkt sich nicht nur auf das Sichtbare, sondern vermittelt auch Shais ausgezeichnetes Wissen über die Investitur des Forging. Dies ist besonders wichtig für das Worldbuilding, da viele der komplexen Elemente des Magiesystems nur durch Shais eigene Reflexionen erklärt werden.
Gérard Genette unterscheidet zwei verschiedene Modi des Erzählens, die bereits Franz K. Stanzels Romantypologie beschreibt: ein berichtendes Erzählen (diegetisch) oder eine szenische Darstellung (mimetisch). Das narrative Konzept des Show, don't tell, das den Unterschied diegetisch - mimetisch deutlich macht, wird Anton Tschechow zugeschrieben. Er selbst erläuterte diese verschiedenen Möglichkeiten der Darstellung desselben Gegenstands mit einem einprägsamen Beispiel: Erzähl mir nicht, dass der Mond scheint; zeig mir den Lichtschimmer auf zerbrochenem Glas. In Sandersons eigener Schreibe9 klingt Tschechows Ideal der mimetischen Darstellung im Roman dann so:

»You still appear conflicted,« he said, holding up her portrait of Jasnah. »What must I do to put you at ease? Shall I step up onto this desk here and do a jig?« She blinked in surprise.
»No objection?« Brother Kabsal said. »Well, then …« He set down the portrait and began to climb up on his chair.
»No, please!« Shallan said, holding out her freehand.
»Are you certain?« he glanced at the desk appraisingly.
»Yes,« Shallan said, imagining the ardent teetering and making a misstep, then falling off the balcony and plunging dozens of feet to the ground below.
»Please, I promise not to respect you any longer!«
10

Diese Figurenrede aus dem ersten Roman des Stormlight Archive illustriert Tschechows Ideal auf eine amüsante Weise. Kabsal, ein Feuerer, trifft in Jasnah Kholins Loge im Konklave von Kharbranth auf Schallan. Das Gespräch zwischen ihnen entwickelt sich zu einem Flirt, was nur aus der Atmosphäre, die sich zwischen ihnen aufbaut, zu erkennen ist. Sandersons Erzähler erklärt den Leser*innen nun nicht einfach, dass die beiden miteinander flirten, sondern er lässt den Flirt lebendig werden, sodass sie das Gefühl haben, selbst mit dabei zu sein, und Kabsal und Schallan bei ihren Sticheleien zuzusehen.
In The Emperor`s Soul gibt es eine klare Balance zwischen diegetischem und mimetischem Erzählen, wobei der extradiegetische Erzähler den Fokus bestimmt. Der reale Autor, Brandon Sanderson wechselt geschickt zwischen diegetischen und mimetischen Passagen, um die Handlung sowohl informativ als auch emotional intensiv zu gestalten. Die diegetischen Momente liefern die notwendigen Hintergrundinformationen über die Welt, die Magie und die politischen Verhältnisse, während die mimetischen Szenen die Leser*innen ins Geschehen einbeziehen, indem sie Shais Agieren unmittelbar miterleben.
Im diegetischen Modus wird das Geschehen berichtend »erzählt« (to tell), sodass das Erzählen mehr im Vordergrund steht, die Ereignisse nicht unmittelbar dargestellt, sondern vom Erzähler zusammengefasst oder kommentiert erzählt werden. Große Passagen in The Emperor`s Soul bestehen aus solchen berichtenden Erzählungen von Ereignissen, Gedanken und Plänen.

The woman they spoke of, Wan ShaiLu, was more than a simple con artist. So much more. She could change the nature of reality itself (ES,1).

It was the odd conundrum of her life. To be a Forger was not just about soulstamps - it was about the art of mimicry in its entirety. Writing, art, personal signets . . . an apprentice Forger - mentored half in secret by her people - learned all mundane forgery before being taught to use soulstamps.
The stamps were the highest order of their art, but they were the most difficult to hide. Yes, a seal could be placed in an out-of-the way place on an object, then covered over. Shai had done that very thing on occasion. However, so long as the seal was somewhere to be found, a Forgery could not be perfect
(ES, 39).

Shais Gedanken und Analysen, insbesondere über die Kunst des Fälschens, werden oft im Wechsel von erlebter Rede und heterodiegetischen Erzählen präsentiert: You`re not going to get out this way, sagt Shai zu sich selbst: You need another method. [erlebte Rede] She`d waited six days, searching for another way out. Guards to exploit, someone to bribe, a hint about the nature of her cell. So far, nothing had - [heterodiegetischer Erzähler](ES, 4).

Doch Shais erlebte Rede ist kurzgehalten, und der heterodiegetische Erzähler ergreift schnell wieder das Wort, wenn es darum geht, Hintergrundinformationen einzubringen:

The emperor would be from that faction, as would the council of five arbiters who did much of the actual ruling. Their faction lauded the glory and learning of past cultures, even going so far as to rebuild their wing of the palace as an imitation of an ancient building. Shai suspected that on the bottoms of those »ancient« urns would be soulstamps that had transformed them into perfect imitations of famous pieces (ES, 6).

An verschiedenen Stellen reflektiert Shai über ihre Kunst, Seelenstempel zu erschaffen. Diese Reflexionen bieten einen tieferen Einblick in ihre Denkweise und Expertise, werden aber erzählt, ohne dass konkrete Handlungen oder Dialoge gezeigt werden, was der Erzählung eine gewisse Distanz, aber auch Übersicht verleiht.

The case was lined with soft cloth and inset with five depressions made to hold soulstamps. [...] They were called Essence Marks, the most powerful kind of soulstamp. Each Essence Mark had to be attuned to a specific individual, and was intended to rewrite their history, personality, and soul for a short time. These five were attuned to Shai (ES, 11).

Der Erzähler beschreibt in dieser Passage, wie Shai während des Verhörs ihre Wesenspräger (Essence Marks) gezeigt werden, und Frava ihr droht, um sie sich gefügig zu machen, dass die Schlichter planen, Shais Arbeit von Jahren zu vernichten. Um Dramatik und Spannung zu steigern, um den diegetischen Fluss der Erzählerrede lebendiger zu gestalten, wird Figurenrede (im mimetischen Modus) in die Erzählung eingesetzt:

»Five stamps to rewrite a soul,« Frava said. »Each is an abomination, illegal to possess. These Essence Marks were to be destroyed this afternoon. Even if you had escaped, you’d have lost these. How long does it take to create one?«
»Years,« Shai whispered.
There were no other copies. Notes and diagrams were too dangerous to leave, even in secret, as such things gave others too much insight to one’s soul. She never let these Essence Marks out of her sight, except on the rare occasion they were taken from her.
»You will accept these as payment?« Frava asked, lips turned down, as if discussing a meal of slime and rotted meat.
»Yes.«
Frava nodded, and the servant snapped the case closed. »Then let me show you what you are to do.«
(ES, 11-12).

In wichtigen Dialogen und Schlüsselmomenten wird das Geschehen in The Emperor`s Soul szenisch (mimetisch) vorgeführt. Der mimetische Modus »zeigt« (to show) die Ereignisse unmittelbar, fast distanzlos, sodass die Leser*innen das Geschehen als Zeugen miterleben, so als ob es vor ihren Augen abläuft, während der Erzähler fast verschwindet. Die Ereignisse und Interaktionen zwischen den Figuren werden wie in Echtzeit wiedergegeben. Die Dialoge zwischen Shai und Gaotona (und den wenigen anderen) sind im mimetischen Modus verfasst. Diese Dialoge zeigen die Entwicklung ihrer Beziehung und bieten direkte Einblicke in ihre unterschiedlichen Perspektiven, ohne dass der Erzähler diese zusammenfasst oder kommentiert.

»These stamps will not take,« she said, holding up one of them. »That is a Forger`s term for a stamp that makes a change that is too unnatural to be stable. I doubt any of these will affect you for longer than a minute—and that`s assuming I did them correctly.«
Gaotona hesitated, then nodded.
»The human soul is different from that of an object,« Shai continued. »A person is constantly growing, changing, shifting. That makes a soulstamp used on a person wear out in a way that doesn`’t happen with objects. Even in the best of cases, a soulstamp used on a person lasts only a day. My Essence Marks are an example. After about twenty-six hours, they fade away.«
(ES, 47-48).

Es sind solche szenischen Passagen im mimetischen Modus, die das Geschehen der Novelle voranbringen und die Spannung erzeugen.

»So the one they assume is fake, it must be the original,« Gaotona said, smiling. »You painted those mistakes over the original to make it seem like it was a replica!« »Actually, no,« Shai said. »Though I have used that trick in the past. They`re both fakes. One is simply the obvious fake, planted to be discovered in case something went wrong.«
»So the original is still hidden somewhere . . .« Gaotona said, sounding curious
. [...] »But what of the original painting? Where did you hide it?«
He hesitated. »It`s still in the palace, isn`t it?« »After a fashion.«
Gaotona looked at her, still smiling.
»I burned it,« Shai said.
The smile vanished immediately
(ES, 56-57).

Der Höhepunkt der Novelle, in dem Shai den fertigen Seelenstempel auf den Kaiser anwendet, wird in einer direkten, spannungsgeladenen Szene gezeigt. Diese Szene wird nicht nur erzählt, sondern mit allen Details der Handlung und den emotionalen Reaktionen der Figuren dargestellt.

She took a deep breath, then opened the box and took out his Essence Mark. She inked it, then pulled up his shirt, exposing the upper arm.
Shai hesitated, then pressed the stamp down. It hit flesh, and stayed frozen for a moment, as stamps always did. The skin and muscle didn’t give way until a second later, when the stamp sank a fraction of an inch.
She twisted the stamp, locking it in, and pulled it back. The bright red seal glowed faintly.
Ashravan blinked
(ES, 106).

Brandon Sandersons The Emperor`s Soul besticht durch seine geschickte narrative Struktur und seine eindrucksvolle erzählte Welt. Das Magiesystem des Forging, das tief in die Philosophie von Identität und Authentizität eingreift, bildet den Kern des Worldbuildings und verleiht der Novelle eine zusätzliche Dimension. Die Erzählebenen sind klar strukturiert, ohne größere narrative Brüche, was zu einer fokussierten Erzählung führt. Der Erzählmodus wechselt zwischen diegetischem Erzählen, um die Welt und die Handlung effizient darzustellen, und mimetischen Passagen, die besonders in den Dialogen der erlebten Rede und der Figurenrede die Schlüsselmomente dramatisieren. Schließlich bietet die heterodiegetische Erzählperspektive durch ihre interne Fokalisierung auf Shai tiefe Einblicke in ihre psychische Befindlichkeit und Gedankenwelt, was nicht nur die Handlung, sondern auch das Verständnis des Magiesystems und der erzählten Welt im Allgemeinen fördert.

Forging: Magie, Handwerk, Kunst und Philosophie

Das Fälschen von Gegenständen oder Personen in Brandon Sandersons Novelle The Emperor`s Soul ist eines der faszinierendsten und komplexesten Magiesysteme im Cosmere. Es beruht auf einer Kombination von Handwerk, Kunst und Magie, die es einem Fälscher ermöglicht, die Geschichte und Identität eines Objekts oder einer Person so zu verändern, dass dessen Gegenwart und Persönlichkeit eine neue Authentizität erhält. Diese Fähigkeit, die in der Kultur von Sel fest verankert ist, hat weitreichende Konsequenzen für die Gesellschaft und für die Anwender selbst. Auf Sel existieren zwei verschiedene Arten des Fälschens, je nachdem, was verändert werden soll, Gegenstände oder Personen:

  • Ein abgenutzter Tisch kann beispielsweise durch ein Forging in den Zustand zurückversetzt werden als er neu war oder in ein wertvolles, antikes Artefakt gefälscht werden; er kann sogar in ein komplett anderes Möbelstück verwandelt werden. Zu Beginn der Erzählung überprüft Shai die materielle Umgebung ihrer Zelle nach einer Möglichkeit, sie zu fälschen, um aus der Gefangenschaft zu entkommen: This cell was meant for one of her kind, built of stones with many different veins of rock in them to make them difficult to Forge. They would come from different quarries and each have unique histories. Knowing as little as she did, Forging them would be nearly impossible (ES, 3-4).
  • Das »Umschreiben« eines Menschen ist eine fortgeschrittene Form des Forging. Es erfordert ein tiefes Verständnis der Psyche und der Vergangenheit der Person, um beispielsweise Erinnerungen oder Persönlichkeitsmerkmale zu verändern. Seelenstempel (Soulstamps)anzufertigen, stellt die komplizierteste Form des Forging dar, die es erlaubt, die »Seele« eines Menschen so zu verändern, dass eine neue Identität entsteht. Im Fall von Kaiser Ashravan nimmt Shai den Auftrag an, dessen »Seele« so zu fälschen (re-sealing), dass er nach einem Attentat wieder regierungsfähig wird. Die höchste Kunst des Seelenstempels aber ist die Anfertigung von Wesensprägern (Essence Marks), wie sie Shai für sich selbst in jahrelanger Arbeit gefertigt hat: Then, she slammed the seal against her right bicep and locked it into place, rewriting her history, her memories, her life experience. In that fraction of a moment, she remembered both histories. She remembered two years spent locked away, planning, creating the Essence Mark. She remembered a lifetime of being a Forger. At the same time, she remembered spending the last fifteen years among the Teullu people. They had adopted her and trained her in their martial arts. Two places at once, two timelines at once. Then the former faded, and she became Shaizan, the name the Teullu had given her. Her body became leaner, harder. The body of a warrior. (ES, 113).

Forging ist eine magische Prozedur, durch die ein Fälscher die Identität oder die Geschichte eines Objekts oder einer Person verändert, indem er einen speziellen Stempel anfertigt und diesen auf das Objekt anwendet. Forging-Magie basiert auf der Annahme, dass die Realität eines Objekts flexibel ist, solange die Veränderung im Einklang mit dem verbleibenden Potenzial seiner Geschichte steht. Um einen Seelenstempel oder einen Wesenspräger, wie im Fall von Ashravan, herzustellen, benötigt Shai ein Bündel von Informationen, die genau auf das zu fälschende Objekt abgestimmt sein müssen:

  • Profunde Kenntnisse: Ein Fälscher muss ein Objekt, das er verändern will, in allen Details studieren, seine physische Beschaffenheit, seine Geschichte, seine Nutzung und seine symbolische Bedeutung in allen Einzelheiten recherchieren. Dieses umfassende Wissen ist erforderlich, damit er den Stempel so präzise wie möglich gestalten kann, damit die Magie wirksam wird.
  • Bestimmung der alternativen Identität: Ein Fälscher muss eine alternative Vergangenheit des Objekts oder der Person entwerfen, die glaubwürdig genug ist, um akzeptiert zu werden. Diese alternative Identität (und neue Geschichte) muss im Bereich des Möglichen liegen, damit an ihrer Authentizität nicht gezweifelt wird.
  • Erschaffung des Seelenstempels: Erst dann kann ein Fälscher einen Stempel anfertigen, auf dem diese alternative Geschichte eingraviert ist. Die Komplexität des Stempels und die Genauigkeit der Gravur sind entscheidend für die Wirkung. Fehlerhafte oder ungenaue Stempel funktionieren nicht oder erzeugen negative Effekte.
  • Anwendung des Seelenstempels (Wesenspräger): Der Stempel wird auf das Objekt gedrückt und geblockt, und die alternative Geschichte wird Realität. Die so gestempelte Person (Gegenstand) vergisst seine ursprüngliche Geschichte und erinnert sich nur noch an die neue Version, die der Fälscher geschaffen hat. Dieser Prozess ist oft temporär, und der Stempel muss regelmäßig erneuert werden, damit die Fälschung bestehen bleibt.

Die Magie des Seelenfälschens

In Brandon Sandersons Cosmere-Erzählungen spielt das Konzept der Investitur (investiture) eine zentrale Rolle.11 In primordialer Zeit zerbrach eine Ur-Energie, das Adonalsium in einem gewaltigen Kataklysmus in sechzehn Splitter (shards), die das magische Potenzial des Adonalsiums auf allen Planetenwelten des Cosmeres verteilten. Seitdem durchdringen sie als bewegende Kraft in physischer, geistiger oder spiritueller Hinsicht das Cosmere, sodass diese von einer Person aufgenommen und genutzt werden kann. Investitur stellt die energetische Quelle aller Formen von Magie in den verschiedenen Planetenwelten des Cosmere dar. Metaphorisch ausgedrückt: Sie ist das »Blut« der Adonalsium-Splitter, das einen Planeten mit magischer Ur-Energie »einkleidet«, das Potenzial, das sie mitführen, und auf die jeweilige Planetenwelt übertragen. Investitur manifestiert sich in jeder Planetenwelt des Cosmeres anders, und je nachdem, um welchen Splitter es sich handelt, gibt es unterschiedliche Ausprägungen von Investitur. Dennoch basieren sie alle auf denselben kosmischen Prinzipien.
Wan ShaiLus Seelenstempel (Soulstamps) und Wesenspräger (Essence Marks) nutzen die Investitur, um die Natur der Dinge umzuschreiben - could change the nature of reality itself (ES, 2). Forging ist eines dieser magischen Systeme der Adonalsium-Splitter, und darauf angelegt, Gegenstände oder Menschen in ihrem So-Sein zu verändern, indem ihre Geschichte und Identität umgeschrieben werden. Investitur ist kulturspezifisch, das heißt planetenweltzentriert, sodass jeder Planet des Cosmere eigene Begriffe, Techniken und Methoden für den gleichen Prozess verwendet. So bezeichnen Feruchemiker auf Scadrial den Prozess der Investitur als »aufladen«, während die Windläufer auf Roschar mittels »einatmen« von Sturmlicht über die verschiedenen Arten des Wogenbindens (Surgebinding) verfügen können. Die Investitur umfasst alle drei Reiche, die das Cosmere ausmachen: physisch, kognitiv und spirituell. Manchmal tritt sie auch auf natürliche Weise auf. Investitur folgt, wie Energie ihren eigenen Gesetzten der Thermodynamik: Sie kann nicht vernichtet werden, sie lässt nur neu verteilen.
Investitur beschreibt die fundamentale Macht, mit der die Kräfte des Cosmere absichtlich und willentlich beeinflusst werden können. Methoden wie das Wogenbinden auf Roschar, das Verbrennen von Metallen auf Scadrial, das Zeichnen von Aonen auf Sel oder das Sandformen auf Taldain gehen in Wirklichkeit auf die Manipulation der Investitur zurück. Wenn etwas oder jemand durch die Investitur verändert wird, empfängt er (es) einen Teil des magischen Potenzials des Cosmere. Sturmlicht ist möglicherweise das beste Beispiel, weil der Körper buchstäblich mit ungezügelter Macht ausgestattet wird, die dann vom Benutzer über eine Verbindung zu einem Sprengsel in einen Fokus gebracht wird, an dem die Macht kulminiert.
Auf Sel, der Bühne der Novelle The Emperor`s Soul, sind zwei magische Systeme bekannt, die auf der Investitur der Splitter Devotion (Hingabe) und Dominion (Herrschaft) beruhen, die, wie die Splitter Preservation (Erhaltung) und Ruin (Zerstörung) in Mistborn, in polarer Beziehung zueinanderstehen.12 Nach Elantris beschreibt die Sanderson in seiner Novelle das zweite magische System auf Sel, das auf die Investitur von Devotion und Dominion zurückgeht. Auf Sel basiert jede Form von Magie auf einer Investitur, die eng an die geografischen Gegebenheiten des Planeten gebunden sind.13 Dort ist die Verbindung zwischen Geografie und Magie besonders stark, denn die magischen Zeichen sind von der Umgebung abhängig.14 Forging ist, wie Shai bemerkt, besonders dominant wirksam in der Region MaiPon, der Heimat von Wan ShaiLu, wo sie ihre Ausbildung durchlief: Shai had always fancied it to look like the shape of MaiPon, her homeland (ES, 46). Die Wirksamkeit der Magie hängt einzig von der geografischen Position ab, da die Symbole und Zeichen, die die Investitur formen, beispielsweise die Glyphen des AnDor15 oder die Struktur der Seelenstempel und Wesenspräger, die Shai schnitzt, auf die Nähe zu bestimmten magischen Knotenpunkten angewiesen sind.
Die magischen Symbole des Forging auf den Stempeln, die Shai entwirft, müssen deshalb mit der Geografie, dem Charakter und der Geschichte eines Gegenstands oder einer Person, auf die sie angewendet werden, in Einklang stehen. Ein Stempel, der in einer Region funktioniert, kann in einer anderen Region wirkungslos sein, weil er nicht auf die spezifische Geschichte und Investitur dieses Ortes abgestimmt ist. Das Stempeln der »Seele« Kaisers Ashravans erfordert einen komplexen Stempel, der nicht nur auf den Körper des Kaisers abgestimmt ist, sondern auch auf seine personale und soziale Identität wie auf seine individuelle Biografie. Diese lokal-regionale Abhängigkeit der Investitur auf Sel besteht nicht nur beim Forging, sondern auch beim AonDor, dass nur in der Nähe der Stadt Elantris korrekt wirksam wird, denn die Aonen, die die dazu verwendet werden, richten sich auf die Struktur der Stadt. Erst durch die Ermordung von Aona und Skai, die Splitterträger, die nach Sel kamen, führte zu den geografischen Ausprägungen des Dor, der magischen Quelle des Forging und AnDor. Diese Abhängigkeit von den geografischen und personalen Voraussetzungen des Forging, sind das zentrale Motiv der Novelle. In The Emperor`s Soul können die Leser*innen detailliert verfolgen, mit welcher Konzentration auf die Investitur, mit welcher Akribie und mit welchen umfangreichen Recherchen der persönlichen Voraussetzungen des Kaisers Shai ihren Seelenstempel konstruiert, damit sie beurteilen kann, wie sie seine Geschichte, Biografie und Identität in den Symbolen und Glyphen ihres Stempels einbinden muss. Wenn alle diese Details nicht sorgfältig aufeinander abgestimmt sind, wenn sie nicht zusammenpassen, wird das Forging nicht gelingen, oder katastrophal fehlschlagen.
Die magische Praxis des AnDor, die Manipulation von einem Kanon von Glyphen, die wie ein Silbenalphabet konstruiert sind, bezieht sich auf das Dor, die unkontrollierte, magische Energie der Überreste der Splitter Devotion und Dominion. Als AnDor wird diese Energie durch ein Set geografisch basierter Symbole kanalisiert, sodass die Wirksamkeit der Magie in der Nähe der Stadt Elantris sehr stark ist, und mit zunehmender Distanz abnimmt, und schließlich nicht mehr funktioniert. Als weitere magische Praxis auf Sel bezieht auch das Forging, das symbol-basierte Stempel verwendet, seine Macht unmittelbar aus dem Dor. Allerdings ist es ist nicht so sehr mit der chaotischen Energie des Dor verbunden, sondern kanalisiert die Macht der Splitter durch die komplexen Symbole, die auf die Biografie eines Objekts oder einer Person eingehen.
AonDor und Forging (im Dor) verwenden Glyphen, Symbole und sprachliche Zeichen als zentrale Elemente ihrer Funktionsweise. Beide Magiesysteme beruhen auf der Macht von Schriftzeichen, die präzise gezeichnet oder geprägt werden müssen, um die gewünschte magische Wirkung zu erzielen. Shais Fähigkeit, solche symbol-basierten Stempel herzustellen, um eine neue Realität zu formen, erfordert ein sehr präzises Verständnis der Identität des zu Stempelnden. Daher ist Forging nicht so sehr auf die Geografie des Planeten Sel bezogen wie AnDor, sondern die Symbole der Stempel wirken regional beziehungsweise personal, am besten, wie gesagt, in MaiPon, Shais Heimat, wo sie entwickelt wurden. Die Investitur von Shais Seelenstempeln und Wesensprägern funktioniert dann am besten, so lautet die Theorie, wenn die in die Stempel eingeritzten Symbole die Geschichte eines Ortes beziehungsweise die Biografie einer Person korrekt reflektieren. Die Wirkung der magischen Praxis des AnDor ist zwar mächtiger als die des Forging, durch seine starre geografische Anbindung allerdings auch begrenzter. Außerhalb der Stadt Elantris, wie gesagt, ist das Dor chaotisch und schwer kontrollierbar, was die Magie in vielen Teilen von Sel unzuverlässig macht. Das Forging scheint in seiner Anwendung flexibler zu sein, da es anscheinend überall dort angewendet werden kann, wo der Fälscher die Geschichte seines Objekts versteht. Weil das Forging auf Detailwissen und Präzision angewiesen ist, benötigt es mehr Vorbereitungszeit und Planung als die direkte Nutzung des Dor in den symbolbasieren Aonen. Und während falsch gezeichnete Aonen durch die schwierige Kontrolle über das Dor zu Fehlschlägen und unerwarteten Ereignissen führen können, betreffen Probleme des Forging eher das Scheitern der Veränderung (re-sealing) als die Unkontrollierbarkeit der Energie selbst. Wenn der Stempel allerdings zu stark verändernd wirkt, kann das die Identität des Gegenstands oder der Person auf irreparable Weise verzerren, während schlecht kontrolliertes AnDor tödlich sein kann.
Das Forging verwendet, wie das AnDor,16 literale Symbole, die in Form von Stempeln auf einen Gegenstand oder eine Person angebracht werden. Jeder Stempel ist eine sorgfältig entworfene Kombination von Zeichen, die Biografie, Identität und Geschichte zuerst repräsentieren müssen, bevor sie sie verändern können. Die Kombination der entsprechenden Symbole auf den Stempeln sind narrative Schriftzeichen, die die Vergangenheit »umschreiben«, und beispielsweise Kaiser Ashravan ein neues, kunstfertig gefälschtes Narrativ auf den Leib stempeln, dass nicht nur seine Vergangenheit aufhebt, sondern auch dazu in der Lage ist, seine Persönlichkeit bis in ihr Gegenteil zu verkehren. Die korrekte Gestaltung des Stempels, mit auf seinen auf die Person abgestimmten Symbolen, ist entscheidend um die gewünschte Veränderung herbeizuführen; Traum eines jeden autoritären politischen Systems. Wie das AnDor basieren auch Shais Seelenstempel auf einer sprachlichen Codierung. Sie repräsentieren narrative Symbole, die identitätsstiftende Details kodifizieren. Ein falsch gestalteter Stempel ist aus diesem Grund nicht nur wirkungslos, sondern führt zu ungewollten oder gefährlichen Konsequenzen.17
Eine wesentliche Gemeinsamkeit der beiden magischen Praktiken besteht darin, dass AnDor und Forging keine unmittelbaren Handlungen ausführen, sondern als ein System vermittelnder Zeichen wirken. Wer AnDor und Forging zur magischen Manipulation verwendet, führt keine physischen Handlung aus, um Magie zu aktivieren. Es ist allein der Akt des Zeichnens der richtigen Aonen, des korrekt geschnitzten Stempels, der die Magie aktiviert, ein kognitiver, symbolischer Prozess, der durch das Verständnis und die korrekte Anwendung der Symbole funktioniert. Die Symbole bilden die Brücke zwischen dem Magier und der Investitur der Splitter, und die Macht liegt nicht in der Handlung, sondern in der Präzision und Bedeutung der Zeichnung. Beim Forging bringt der Fälscher den Stempel auf dem Objekt an, und die Magie wirkt durch die narrative Veränderung der Geschichte des Gegenstands oder der Person. Der Seelenstempel dient als biografisch und historisch bedingter Vermittler zwischen der Realität und ihrer gewünschten Veränderung. Die Wirkung des Forging, wie des AnDor, liegt in Macht der Symbolik, nicht in der unmittelbaren Handlung. Die eigentliche Veränderung erfolgt auf einer Ebene der Bedeutung, nicht durch physische Kraft oder aktive magische Handlungen.
AonDor und Forging bedienen sich der Kanäle, durch die das Dor in die physische Welt fließt. Ohne die Symbole ist die magische Energie des Dor unzugänglich und chaotisch. Die Aonen kontrollieren, gestalten und fokussieren diese Energie wie die Seelenstempel. Beide magische Praktiken verändern die Realität durch narrative Symbole. Um eine Geschichte oder Biografie umzuschreiben, muss die symbolische Geschichte korrekt in die Stempel graviert werden. Shais Kunst stellt eine Vermittlung zwischen der Investitur der Splitter und dem umzuschreibenden Objekt dar. Ihr Handwerk ist das Medium dieser Vermittlung, der Kanal, durch den das Dor fließt, und die Identität Ashravans durch die gezeichneten Symbole auf den Stempeln neu definiert. AnDor und Forging basieren auf symbolischen, magischen Handlungen, sind symbolische Konstrukte, die wiederum auf präzisen Glyphen und sprachlichen Zeichen beruhen, die die Realität verändern. Narrative Symbolsysteme, keine unmittelbaren physischen Handlungen als vermittelnde Aktionen, kanalisieren, kontrollieren und formen magische Wirkungen.18

Die Kooperation von Devotion und Dominion

Auf Sel ist die an die Manipulation von Symbolen gebundene Magie die charakteristische Version der Investitur. Forging und AnDor sind die unterschiedlichen Magiesysteme, die auf dem Planeten Sel existieren. Auf den ersten Blick wirken sie unterschiedlich, doch ihre Verbindung mit den Splittern Devotion und Dominion, ihre geografische Abhängigkeit sowie die Verwendung von Literalen, Zeichenfolgen, die der direkten Darstellung bedeutungstragender Werte dienen, verweisen auf ihren gleichen Ursprung.
Shais Seelentempel (Wesenspräger) bezieht sich auf die Geschichte und Identität Kaiser Ashravans, auf das, was seinen Charakter und seine Persönlichkeit ausmachen. Die beiden Adonalsium-Splitter Devotion (Hingabe) und Dominion (Herrschaft), die in der Planetenwelt Sel relevant sind, üben, anders als beim dämonischen Blutsiegeln, das seine kontrollierende Macht eher aus Dominion bezieht, bei der Herstellung von Seelenstempeln ihren gemeinsamen Einfluss aus.
In Brandon Sandersons magischem System Investitur im Cosmere repräsentiert der Splitterträger Skai den Adonalsium-Splitter Dominion, der für Macht, Herrschaft und die Kontrolle über Territorien und Menschen steht. Diese Macht fließt in die Symbolik von Shais Seelenstempel ein. Geleitet von der Eigenschaft Dominions übernimmt Shai mit ihrem Seelenstempel die Kontrolle über die Identität Ashravans, die sie sorgfältig re-organisiert und in die Symbolik ihres Stempels integriert. Ihre Fähigkeit, sich selbst oder andere zu verändern, wird durch Dominions Konzept der Kontrolle und Manipulation der Realität und Vergangenheit gefördert.
Anders Devotion, der Splitter, der einst an den Splitterträger Aona gebunden war.19 Devotion repräsentiert Hingabe, Liebe und Treue (Loyalität), Eigenschaften, die sich in Shais intensiver Hingabe an ihre Kunst und ihr tiefes Verständnis des Forging ausdrücken. Ihr Handwerk des Fälschens erfordert mehr als nur technisches Wissen. Es verlangt außerdem eine emotionale und intellektuelle Verbindung zu Kaiser Ashravan, dessen Identität sie nicht fälschen kann, wenn es ihr nicht gelingt, sich in seine Biografie einzufühlen und seine charakterliche Entwicklung zu erspüren. Devotion spielt letztlich die entscheidende Rolle im Prozess des Re-sealing, da die Kunst des Fälschens auf Empathie und einem umfangreichen Verständnis der Vergangenheit des Objekts beruht, die in die Essenz des Seelenstempels einfließen muss. Shai muss sich in ihrer Arbeit und in ihrer Recherche intensiv mit Ashravans bisherigem Leben auseinandersetzen, will sie einen glaubhaften Stempel fertigen, der nicht nur Ashravans Identität ändert, sondern sie auch authentisch verändert. Diese Hingabe zur Wahrheit, das Verständnis Ashravans, den sie verändern will, ist eine Manifestation des Splitters Devotion.
Shais Seelenstempel und Wesenspräger sind letztlich die Kombination der Eigenschaften der Splitter Devotion und Dominion sowie der Manipulation ihrer Investitur:

  • Dominion betont die Kontrolle und Herrschaft über die Identität, auf die Shais Arbeit hinzielt. Im Kontext des Seelenstempelns bedeutet das, dass der Fälscher aktiv in die Struktur der Persönlichkeit eingreift, was der Vergewaltigung eines gelebten Lebens gleichkommt. Diese Macht erfordert Präzision und Wissen, damit die Kontrolle über die Identität eines Objekts gelingt.
  • Devotion mildert die übergriffige Kontrolle Dominions über die Persönlichkeit Ashravans, der Shai zunehmend mit Respekt und Verantwortung in ihrer Arbeit begegnet. Sie versteht zunehmend den komplizierten Charakter Ashravans, seine Abneigung zu regieren und die politischen Schwierigkeiten, die ihm durch die Fraktion der Schlichter bereitet werden. Erst Shais akribischer und verantwortlicher Umgang mit Ashravans Biografie, der ihr letzten Endes auch den Respekt Gaotonas einbringt, garantiert ihr Gelingen, sodass die angestrebte Veränderung erfolgreich und dauerhaft gelingt.

Trotz alledem ist es allein Shais Handwerkskunst und ihre Kontrolle über die Investitur der Splitter Dominion und Devotion, die sie zu einer außergewöhnlichen Fälscherin machen. Ohne ihre geschickte Balance von Kontrolle und Hingabe ist es unmöglich, die tiefgreifenden und komplizierten, symbolbasierten Seelenstempeln zu schnitzen. Dies gelingt ihr nur, wenn ihr auch die Kontrolle über Ashravans Vergangenheit gelingt, und sie ihn gleichzeitig als den, der er ist, respektiert. Erst diese beiden Fähigkeiten gemeinsam und sorgfältig ausbalanciert, ermöglicht glaubhafte, stabile Seelenstempel.

Original und Fälschung

In Sel wird Forging, je nach Region, als Kunstform oder Handwerkskunst betrachtet. Die Fähigkeit, die Geschichte einer Person zu fälschen, erfordert nicht nur technisches Können, sondern auch Kreativität und Verständnis für dessen Biografie, Geschichte und Identität. Shai sieht sich selbst als Künstlerin, nicht als Betrügerin, die die Wahrheit verdreht. Ihre Fälschungen sind keine Kopien, sondern sorgfältig erarbeitete Alternativen, die tief in der Geschichte des Originals verwurzelt sind. Der Prozess der Entscheidungsfindung der fünf Schlichter im Prolog der Novelle, was mit Shai geschehen soll, enthält bereits alle Punkte, die für das Geschehen der Erzählung relevant sind:

The woman is a danger. [She is] the best Forger alive [...] »She is a valuable tool. This woman can save us. We must use her.« [...] »The woman is a thief, and she practices a horrid art.« [She] could change the nature of reality itself. [...] »She has a reputation as wide as the empire. We need to execute her as an example.” [...] We either use this woman`s skill, or we give up control of the empire.« I suspect she will be more difficult to control (ES, 1-2).

Trotz Shais Perfektion ist das größte Kunstwerk eine Lüge - eine Fälschung - in den Augen der Schlichter. Mehr noch, eine Abscheulichkeit; geschaffen von der besten lebenden Fälscherin. Und damit eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung. Ein Verbrechen, ein Riss in der Legalität. Das können die Schlichter, die Bewahrer der Ordnung sind, nicht hinnehmen. Goatona, der einflussreichste unter ihnen, stellt die entscheidende Frage, die Brandon Sanderson gleich an den Anfang seiner Erzählung stellt:

Why? Gaotona thought again. Why would someone capable of this artistry, this majesty, turn to forgery? Why not create original paintings? Why not be a true artist? I must understand (ES, 1).

Ist Kunst (Imagination) eine Fälschung der Realität? Wasn`t ordinary art mundane compared to her mystical talents? (ES, 2). Die Fälscherin Wan ShaiLu besitzt eine besondere Fähigkeit, denn sie kann die innerste Natur der Wirklichkeit verändern. Die versammelten Schlichter empfinden dieses magische Talent als Bedrohung ihres politischen Systems. Was die Schlichter begutachten, ist das perfekte Werk einer Künstlerin, die sie beschuldigen, eine Fälscherin zu sein.20 Was die Schlichter in Wirklichkeit beunruhigt, ist aber nicht das Produkt von Shais Arbeit, sondern, dass eine Fälschung genau so wahr ist wie ein Original, was sich letztlich politisch auswirkt, und die Vorstellung befördert, dass auch die Autokratie des Rose Empire veränderbar ist, und sie ihren politischen Einfluss auf den Kaiser und die politische Entwicklung des Reichs verlieren. Schlichterin Fravas Versuch, Shais Fähigkeiten für ihre eigenen politischen Ambitionen zu missbrauchen, macht dies sehr deutlich:

»Has it occurred to you,« Frava said, »how . . . useful to the empire it would be to have an emperor who listened to a voice of wisdom when it spoke to him?« »Surely Emperor Ashravan already did that.« [...] »Surely you can replicate dear Ashravan`s soul with authenticity, yet also make him inclined to listen to reason . . . when that reason is spoken by specific individuals.«
Nights afire, Shai thought. You`re willing to just come out and say it, aren`t you? You want me to build a back door into the emperor`s soul, and you don`t even have the decency to feel ashamed about that
[innerer Monolog] (ES, 40-41).

Besondere Aufmerksamkeit verdient an dieser Stelle das semantische Feld des englischen Verbs to forge, (Sub. Forging), mit dem in der Novelle eine Form der Investitur der Splitter auf Sel bezeichnet wird. Im amerikanischen Englisch besitzt to forge zwei verschiedene Bedeutungen, die zwar eine ähnliche Tätigkeit bezeichnen, aber nicht völlig identisch sind. To forge something (from something) wird im amerikanischen Englisch, je nach Kontext, einmal positiv, ein anderes Mal negativ verwendet, und genau diese Ambivalenz nutzt Sanderson bei der Wahl des Begriffs für diese Form der Investitur auf Sel: Original (positiv-legal) contra Fälschung (negativ-illegal).21 Doch diese Unterscheidung ist in Rose Empire nicht in Stein gemeißelt, da die Fälschung von Gegenständen anders bewertet wird als die Fälschung von Identitäten (»Seelen«).

Yes, the Grands called Sha`s powers an abomination, but the only aspect of it that was technically illegal was creating a Forgery to change a person. Quiet Forgery of objects was allowed, even exploited, in the empire so long as the Forger was carefully controlled (ES, 6).

Die Verbesserung oder Erneuerung eines Gegenstands ist nur die eine Variante des Fälschens. Es funktioniert auch in die entgegengesetzte Richtung: Etwas, das zu gut ist, kann geschwächt oder verschlechtert werden:

A Forgery had to be likely - believable - otherwise it wouldn`t take. Who would make a chain out of soap? It would be ridiculous. What she could do, however, was discover the chain`s origins and composition, then rewrite one or the other. She could Forge the chain`s past so that one of the links had been cast incorrectly, which would give her a flaw to exploit. Even if she could not find the chain`s exact history, she might be able to escape - an imperfect stamp would not take for long, but she`d only need a few moments to shatter the link with a mallet (ES, 20).

Das Verbindende der beiden Bedeutungen liegt in einer aktiven Tätigkeit, verbunden mit einer kreativen Fähigkeit, etwas Vorhandenes, das nicht (mehr) gut genug ist, zu verbessern, etwa ein Stück nutzlos gewordenes Metall in etwas Nützliches umzuwandeln oder ein Dokument in eine andere Verwendung umzuwidmen. Aber die Fälschung einer »Seele«, wie sich zeigen wird, ist möglich. That was a maxim of good Forgery, erläutert Shai dem Schlichter Gaotona: improve slightly on an original, and people would often accept the fake because it was superior (ES, 30).
Mit der magischen Praxis des Forging in Sandersons Novelle hat es eine vergleichbare Bewandtnis. Wan ShaiLu, die Protagonistin in The Emperor`s Soul, ist eine begnadete Künstlerin, Kunsthandwerkerin ist vielleicht die angemessenere Bezeichnung, doch sie gilt als Fälscherin, weil sie ihre Kunst außerhalb der herrschenden Konventionen betreibt.
In einer doppelbödigen Passage der Novelle, in dem Verhör von Shai vor den fünf Schlichtern des Reichs, fragt Schlichterin Frava: »Did you really assume that we would fail to recognize a simple forgery of such an important imperial possession?« Anscheinend, denkt Shai, you have done just that, und es erfüllt Shai mit Befriedigung, to know that her forgery now occupied the Moon Scepter`s position of honor in the Imperial Gallery. Immerhin, es geht schließlich um Shais Kompetenz als Künstlerin, die ihr Gaotona später zugesteht. Der Schlichter Gaotona bedauert es mehrmals, dass Shai sich der Lüge verschrieben hat, und Fälschungen herstellt, anstatt wirkliche Kunst zu schaffen, die der Wahrheit verpflichtet ist. Er ist überzeugt, und nicht davon abzubringen, Shai could become a marvelous artist. Voller Stolz widerspricht sie ihm, unbeirrbar in ihrem Selbstverständnis:

»I am one.«
»A real one.«
hält Schlichter Gaotona ihr entgegen.
»I am one.« Gaotona shook his head.

Trotz seiner Abscheu gegen das, was Shai tut, zollt ihr Gaotona Respekt, und nennt sie the best forger alive. Doch Shai weiß, und ist zutiefst davon überzeugt, dass sie eine Künstlerin ist, sodass sie Gaotonas Abwertung nicht anficht. Ihr trotziges »I am one.« (ES, 1; 55) behauptet ihre Identität als Künstlerin, die fähig ist, etwas zu fälschen (forging) sowie etwas zu erneuern (re-sealing).

»The strokes are impeccable masterful even. The style is a perfect match. If you could manage that, why would you have made such errors as putting the moon too low? It`s a subtle mistake, but it occurs to me that you would never have made such an error—not unintentionally, at least.« [...] »So the one they assume is fake, it must be the original,« Gaotona said, smiling. »You painted those mistakes over the original to make it seem like it was a replica!« (ES, 20; 55).

Auf einer latenten Ebene des Erzähltexts stellt der Autor die Frage nach dem Wert, der einem Kunstwerk auf einem Kapitalmarkt (in der Novelle im Spiel divergierender politischer Interessen) zugewiesen wird: Wenn eine Fälschung sich nicht vom Original unterscheiden lässt, und niemand weiß, was Original und was Fälschung ist, welchen Sinn macht dann der Hype, der in der Kunstszene um die Originalität eines Werks betrieben wird?

Praktische und moralische Implikationen des Forging

Die Anwendung des Forging auf Menschen enthält philosophische Implikationen, die in Sandersons Novelle höchstens indirekt angedeutet werden. Die Idee, dass man die »Seele« einer Person verändern kann, wirft grundlegende ethische Fragen der menschlichen Identität und des freien Willens auf. Im Falle des Kaiser Ashravans wird Shai beauftragt, seine »Seele« so zu fälschen, dass er als derselbe Mensch erscheint, in Wahrheit aber eine die Person ist, die nach der Fälschung zurückkehrt: eine geschickte Nachbildung.
Das Magiesystem in The Emperor`s Soul ist nicht nur äußere Kulisse, sondern unauflösbar in die Handlung und die Entwicklung der Figur Shai eingebunden. Forging ist wohl das tiefgründigste Magiesystem in Brandon Sandersons Cosmere. Es erfordert nicht nur handwerkliches Geschick, sondern auch ein tiefes Verständnis von Geschichte, Identität und Moral. Während Forging unglaubliche praktische Möglichkeiten bietet, entstehen gleichzeitig weitreichende ethische Fragen, insbesondere in Bezug auf die Natur der Realität, der Identität, des freien Willens sowie die Kontrolle über die Biografie (Geschichte) eines Menschen.
Shai erhält den Auftrag, die »Seele« des Kaisers fälschen, der höchsten Autorität im Staat, um seine Herrschaft aufrechtzuerhalten. Nachdem sie sich ausführlich mit seiner Persönlichkeit und Biografie auseinandergesetzt hat, erliegt sie der Versuchung, einen Wesenspräger für ihn zu entwerfen, der ihn zu einem besseren Herrscher macht. Sie nimmt sich weitaus mehr vor, als die Schlichter von ihr verlangen. Sie will Ashravans Persönlichkeit so verändern, dass er ein anderer wird, ein gerechter und unbestechlicher Herrscher, der das Beste für sein Volk will. Nur: Sie übersieht, dabei, dass sie selbst es ist, die bestimmt, was gerecht und besser in diesem Kontext bedeutet. Sie entscheidet subjektiv, setzt ihre eigenen Parameter, und nimmt keine Rücksicht darauf, dass Ashravan selbst nicht verändern will, sondern mit seiner Persönlichkeit und Identität zufrieden ist.
Während ihrer Recherche setzt sie sich damit auseinander, welche Charaktereigenschaften sie in ihren Stempel integrieren soll, und welche nach ihrer Meinung zu verwerfen sind. Ihre Fragen führen nicht nur sie, sondern vor allem die Leser*innen in einen Konflikt, denn auch sie stellen sich die Frage, ob Identität, Authentizität und Geschichte (erlebte Vergangenheit) einer Person beliebig sind. Auf einer zweiten latenten Erzählebene der Novelle, die das Metier des extradiegetischen Erzählers ist, stellt Brandon Sanderson die Frage: Was macht ein Individuum aus? Kann man durch das »Umschreiben«, das Fälschen der Vergangenheit, seine Gegenwart und Zukunft verändern und seine Identität neu bestimmen? Diese Fragen reflektiert das Worldbuilding auf einer fast metaphysischen Ebene.
Die magische Praxis des Forging hat praktische und ethische Konsequenzen, die nicht nur das unmittelbare Objekt oder die Person betreffen, die gefälscht wird, sondern ebenfalls die Natur der Realität, der Identität und der Moral. Was die praktischen Implikationen betrifft,

  • riskiert das Forging die Gefahr der Aufdeckung, da es oft nicht dauerhaft stabil ist. Je komplexer die Fälschung, desto schwieriger ist es, sie aufrechtzuerhalten. Shai erklärt Gaotama, dass der Seelenstempel des Kaisers regelmäßig erneuert werden muss, weil er sich langsam wieder in den Zustand vor der Fälschung zurückverwandelt. Ein Fälscher lebt immer mit der latenten Gefahr, dass seine Fälschung entdeckt und zerstört wird, der Gefälschte, dass er als Betrüger entlarvt wird.
  • Ein misslungenes Forging kann katastrophale Auswirkungen nach sich ziehen. Ein fehlerhafter Stempel macht nicht nur die Fälschung unbrauchbar, sondern beschädigt (oder zerstört) das Originalobjekt. Die Verwendung eines Seelenstempels bringt immer die Gefahr mit sich, die Identität einer Person irreparabel zu verändern, und nicht immer nur positiv.

Auch die ethischen Konsequenzen des Forging führen zu problematischen Implikationen in Bezug auf zentrale Aspekte der Individualität der Persönlichkeit, eine Frage, deren Beantwortung Brandon Sanderson seinen Leser*innen überlässt:

  • Veränderung der »Seele«. Die Tatsache, dass Seelenstempel nicht nur Objekte, sondern auch Menschen beeinflussen können, führt zu der Frage: Was bedeutet es, die Geschichte einer Person zu verändern? Ist die gefälschte Version der Person immer noch dieselbe wie die ursprüngliche? Im Fall des Kaisers wird diese Frage besonders brisant: Wenn Shai den Kaiser fälscht, ist er dann wirklich noch derselbe Mensch, der er vorher war, oder nur eine Illusion seiner selbst?
  • Freier Wille und dessen Manipulation. Die Möglichkeit, durch Forging das Wesen einer Person zu manipulieren, wirft ethische Fragen über deren freien Willen auf. Die gefälschte Persönlichkeit des Kaisers mag Entscheidungen treffen und handeln, aber diese Entscheidungen basieren auf einer gefälschten Grundlage - einer neuen Geschichte, die ihm von außen auferlegt wurde.
  • Kontrolle über die Wahrheit der Geschichte. Das Forging gibt denjenigen, die es beherrschen, eine immense Macht über die Realität und die Geschichte des Betroffenen. Diejenigen, die in der Lage sind, die Geschichte von Objekten oder Menschen zu verändern, bestimmen damit auch, was Wahrheit und was Wirklichkeit ist. In der Welt von The Emperor`s Soul ist dies eine gefährliche Macht, die zu Machtmissbrauch und politischer Intrige führen kann. Shais Auftrag, den Kaiser zu fälschen, zeigt nur allzu deutlich, wie das Forging genutzt werden kann, um die Illusion von Stabilität und Kontinuität in der Herrschaft aufrechtzuerhalten, obwohl der Kaiser in Wirklichkeit gestorben wäre.

Anmerkungen

1 Brandon Sanderson, The Emperor`s Soul, Ebook, Dragonsteel Entertainment, LLC, 2012; im Folgenden zitiert als ES, Seite. (dt. Die Seele des Königs, München, 2014). In der Reihenfolge der Cosmere-Erzählungen steht The Emperor`s Soul zwischen Band 1: The Way of Kings (2010) und Band 2: Words of Radiance (2014) von The Stormlight Archive (dt. Die Sturmlicht-Chroniken, 2011 und 2014).
2 Das Cosmere ist nicht Gegenstand dieser Studie, daher in aller Kürze: Das Cosmere-Konzept von Brandon Sanderson entwickelte er im Verlauf seines erzählerischen Werks von einer vagen Idee zu einem umfassenden, detaillierten und miteinander verbundenen fiktionalen Universum. Sandersons Cosmere verbindet seine verschiedenen Erzählungen durch eine gemeinsame magische Struktur, Geschichte und kosmologische Prinzipien.
3 Der Planet Sel is home to multiple empires that, uniquely, have remained somewhat ignorant of one another. It is a willful kind of ignorance, with each of the three great domains pretending that the others are mere blips on the map, barely worth notice. [...] Vast continents and sweeping oceans create a diverse landscape, with an extreme amount of variation on this one planet. Here you will find both snow-covered plains and expansive deserts (Brandon Sanderson, The Selish System. Arcanum Unbound, Ebook, London, 2016:17).
4 Der Diebstahl des Gemäldes diente der Ablenkung, denn in Wirklichkeit war es das Mondzepter (Moon Szepter), dass Shai eigentliches Ziel war. Das Mondzepter ist ein Gerät, das zwischen den verschiedenen Symbolsätzen (Aons) übersetzt, um auf die verschiedenen Magiesystemen der Investitur auf Sel zuzugreifen. Shai verbündet sich mir Hoid, der am Hof von Kaiser Ashravan als königlicher Narr weilte. Hoid sorgte aber dafür, dass sie gefangen wurde, nachdem sie die Galerie mit dem Zepter verlassen hatte, und nahm das Zepter für sich selbst.
5 Herbert W. Jardner, Re-read Elantris, Blogbeitrag Grüne Sonne, 2024.
6 Der Begriff hermetisch geht auf die neuzeitliche Bezeichnung für eine antike esoterische, alchemistische oder magische Offenbarungslehre zurück, die sich auf die mythische Gestalt des Hermes Trismegistos, des dreifach großen Hermes, als Wissensspender bezieht. Diese Lehre, die Hermetik war nur Eingeweihten zugänglich. Übertragen auf diese Variation des Worldbuilding bedeutet es, dass die Welt eigene, oft komplexe Regeln und Strukturen hat, die nach außen hin verborgen sind.
7 Franz K. Stanzel, Typische Formen des Romans, Göttingen, 1993:39-52.
8 Extradiegetisch bezieht sich auf die Erzählebene: Ein extradiegetischer Erzähler steht außerhalb der Erzählung. Er ist nicht Teil der Handlung oder der Figurenwelt, sondern erzählt die Geschichte von außerhalb des Geschehens, und nimmt eine vergleichbare Ebene ein wie Franz K. Stanzels auktorialer Erzähler, der von einem überlegenen oder gar allwissenden Standpunkt das Geschehen auf höchst persönliche, d.h. subjektive Weise leitet und kommentiert (Stanzel, Formen des Romans, 1993:40).
Heterodiegetisch bezieht sich auf die Erzählperspektive (Ich -Er): Ein heterodiegetischer Erzähler ist ein Erzähler, der nicht Teil der erzählten Geschichte ist, also keine Figur innerhalb der Erzählwelt darstellt. Der Erzähler berichtet von den Ereignissen, ist aber nicht selbst involviert, und nimmt eine vergleichbare Perspektive ein wie Franz K. Stanzels personaler Erzähler, der eine innere Perspektive (interne Fokalisierung) auf eine Figur gewährt, aber nicht direkt als Figur in der Geschichte auftritt. Ein personaler Erzähler kann als unsichtbarer Beobachter (couvert narrator) auftreten, der sich vollständig auf die Perspektive einer Figur konzentriert. Die Leser*innen erfahren dann nur das, was die fokalisierte Figur weiß und erlebt.
Brandon Sandersons bedient sich in seinem gesamten erzählerischen Werk dieser Kombination von Erzählebene und personaler Erzählperspektive: das Vorherrschen szenischer Gestaltung, des Dialogs, der erlebten Rede und der Bewusstseinsspiegelung, und nicht zuletzt die Fixierung des point of view der Darstellung [...] Der Leser sieht sich der dargestellten Welt scheinbar direkt gegenüber, ohne die lenkende und kommentierende Hilfe eines Erzählers. Oder der Leser glaubt sich in eine Romangestalt versetzt, glaubt mit den Augen dieser Gestalt auf die dargestellte Welt zu blicken, an ihren Gefühlen und Gedanken über diese Welt teilzunehmen (Stanzel, Formen des Romans, 1993:43).
9 Diese Formulierung wähle ich als Hommage an den 1980 ermordeten Friedensaktivisten John Lennon (In seiner eigenen Schreibe, Gütersloh, 1966).
10 The Stormlight Archive, Vol.1: The Way of Kings, Ebook, Dragonsteel Entertainment, LLC, 2010:123).
11 Investitur nennt Brandon Sanderson eine nicht verbrauchbare Energie, die wie ein »Bewusstsein« das Cosmere durchdringt. Investitur (lat. vestire, bekleiden) ist eigentlich ein juristischer Begriff, der sich in seiner konventionellen Bedeutung auf die Einweisung (Einkleidung; Verleihung einer Amtskleidung beziehungsweise der Insignien eines Amts) in ein offizielles Amt oder das Eigentumsrecht auf ein Grundstück bezieht. Im Brandon Sandersons Cosmere steht der Terminus Investitur für jede Form von Magie, die als Kraftquelle die einzelnen magischen Systeme des Cosmere repräsentiert.
12 Sel, so Sanderson, is notable for being dishardic, und einer der wenigen Planeten, to attract two separate Shards of Adonalsium. Noch bevor sich Menschen auf Sel niederließen, both Devotion and Dominion were destroyed. Their Investiture - their power - was Splintered, [...] the bulk of the Investiture that made up the powers of Dominion and Devotion is trapped on the Cognitive Realm. Diese beiden Splitter behielten ihren Einfluss auf die Entwicklung der menschlichen Gesellschaften auf dem Planeten, und die meisten ihrer Traditionen und Religionen lassen sich auf sie zurückführen. Because the Cognitive Realm has distinct locations (unlike the Spiritual Realm, where most forms of Investiture reside), magic on Sel is very dependent upon physical position. In addition, the rules of perception and intent are greatly magnified on Sel, to the point that language—or similar functions—directly shapes the magic as it is pulled from the Cognitive Realm and put to use (Brandon Sanderson, Arcanum Unbound. The Cosmere Collection, Ebook, London, 2016:17-18).
13 In Bezug auf Sel (und Scadrial) spricht Sanderson von being dishardic, wenn zwei Splitter des Adonalsiums, wie Dominion (Herrschaft) und Devotion (Hingabe), polar zusammenwirken (Brandon Sanderson, Arcanum Unbound: The Cosmere Collection, Ebook, London, 2016:17). Die Kräfte polarer Splitter, beispielsweise Preservation (Bewahrung) und Ruin (Zerstörung) in Mistborn, basieren unmittelbar auf den Prinzipien von Investitur.
14 Die Macht der Elantrier ist deshalb auf die geografische Lage von Sel beschränkt, da das Dor, die Kombination der Macht der Splitter Devotion (Hingabe) und Dominion (Herrschaft), die ihre Träger (vessels), Aona und Skai, durch Odiums Kreuzzug verloren haben, um es zu lenken, im Kognitiven Reich blockiert sind. Vgl.a. Herbert W. Jardner, Re-read Elantris, Blogbeitrag Grüne Sonnen, 2024.
15 AnDor bezeichnet ein magisches System, das in Arelon auf Sel von den Bewohnern verwendet wird. Es basiert auf der Zeichnung von Aonen, Glyphen, die die Investitur formen und leiten. Je nachdem, welches Aon gezeichnet wird, können verschiedene Effekte erzielt werden: Heilung, Energie oder Schutz. Seon und Skaze sind beides intelligente Entitäten auf Sel, die eng mit AonDor verbunden. Beide verfügen über ein Aon im Zentrum, das ihre Verbindung zur AonDor-Magie darstellt und sie zu Mittlern oder Verstärkern dieser Magie macht. Ein Seon (aus der Investitur des Splitters Devotion) besteht aus reiner Investitur, und ähnelt einem leuchtenden Ball. Menschen können auf telepathische Weise mit ihnen kommunizieren, was sie zu wichtigen Beratern und loyalen und intelligenten Begleitern macht. Und ein Skaze (aus der Investitur des Splitters Dominion) ist das dunkle Gegenstück zu den Seons auf Sel. Skazes sind mächtiger, intelligenter als Seons, und neigen zu manipulativen und kontrollierenden Verhalten. Sie unterhalten eine weniger freundliche Beziehung zu Menschen, arbeiten oft im Verborgenen und versuchen, Einfluss auf ihre politischen und magischen Entscheidungen zu nehmen.
16 Die Magie AonDor berührt mein Thema nur marginal, kann aber nicht vernachlässigt werden, sodass eine weitere Anmerkung erforderlich ist: AonDor, die praktische Nutzung des Dor, verwendet sogenannte Aonen, die als magische Glyphen dienen. Aonen sind komplexe geometrische Symbole, die magische Effekte hervorrufen, wobei jede Glyphe ein bestimmtes Konzept oder eine Kraft repräsentiert, wie beispielsweise die Glyphe Aon Rao für Macht oder Schutz. Aonen sind keine zufälligen Zeichen, sondern besitzen sprachliche und symbolische Bedeutung. Jedes Aon steht für ein Konzept, und viele Aonen sind in der Welt von Sel in Namen und Sprache integriert. Die Aonen fungieren nicht nur als magische Zeichen, sie sind auch in die Alltagssprache integriert, was ihre Bedeutung als symbolische Vermittler der Realität verstärkt. Die Zeichnung eines Aons aktiviert die verborgene Macht des Dor, und die Art und Weise, wie die Aonen miteinander kombiniert werden, bestimmt die Stärke und Ausrichtung der magischen Wirkung. Der Prozess ist formell ritualisiert und streng an den konventionalisierten Kanon der Symbolik gebunden. Die korrekte Zeichnung eines Aons, basierend auf bestimmten Mustern, insbesondere solchen, die mit der Geografie der Stadt Elantris übereinstimmen, ist entscheidend für die erfolgreiche Wirkung der Magie. Wenn ein Aon falsch gezeichnet wird oder nicht mit den kosmischen und geografischen Mustern übereinstimmt, kann die Magie versagen oder unkontrollierbar werden.
17 Die magische Technik des Forging hat eine dunkle Seite: das Blutsiegeln (Bloodsealing), das ebenfalls in der Region MaiPon praktiziert wird. Sie nutzt das Blut einer Person, um Siegel zu schaffen, die an die Lebenskraft dieser Person gebunden sind. To cut her along the back of her arm. She barely felt the shallow wound, but she struggled anyway. The Bloodsealer stepped up and inked his horrid tool in Shai’s blood. He then turned and pressed the stamp against the center of her door. When he withdrew his hand, he left a glowing red seal in the wood. It was shaped like an eye (ES, 25). In The Emperor`s Soul wird es verwendet, um eine magische Barrieren zu schaffen und Shai an der Flucht zu hindern. Öffnen lässt sich die Barriere nur durch das Blut der versiegelten Person. Die Magie des Bloodsealing hat einen engen Bezug zu Dominion, dem Splitter, der Kontrolle und Herrschaft über Leben und Tod bietet, während Shais Forging sein magisches Potenzial aus beiden Splittern (Devotion und Dominion) gleichzeitig bezieht: der Hingabe (ihre Empathie für Ashravan) und der Kontrolle (über die Situation des Seelenstempelns).
18 Die Manipulation der Investitur erfordert Bindungen mit Entitäten des Cosmeres, die außerhalb des Physischen Reichs existieren, und im Kognitiven Reich (wie Devotion und Dominion) angesiedelt sind. Jede Planetenwelt übt Einfluss darauf aus, was durch das Eingehen einer Bindung möglich ist, wie die Nahel-Bindung (Nahel Bond) mit einem Sprengsel (aus dem Kognitiven Reich Schadesmar). Auf Sel gehen die Elantrier eine Bindung mit einem Seon ein, einer sprengselähnlichen Entität. Die Seon-Bindung gewährt die Möglichkeit, auf die Investitur zuzugreifen, und magische Manipulationen auszuführen (vgl. die Nahel-Bindung auf Roschar). Sobald eine Verbindung zur Investitur eines Splitters hergestellt ist, existiert auch ein Schlüssel (Aon, Metall oder Befehl), und die Macht kann benutzt werden. Das gebundene Seon folgt der Person und fungiert als eine Art Partner beziehungsweise Vermittler, die durch diese Bindung die Investitur aktiviert. Während der Reod, die Zeit, als die Shaod niemanden in einen Elantrier verwandeln konnte, verlor jedes Seon, dass an einen Elantrier gebunden war, sein Gedächtnis (mind) und seine Bindung. Wem die Bindung die Möglichkeit eröffnet, die spezifische Investitur der Planetenwelt zu manipulieren, kann Gegenstände erschaffen, verändern oder zerstören, je nachdem, wie die Investitur kanalisiert wird.Forging) mit Tinte und Blut, die den Stoff der Wirklichkeit selbst formen. Was aber alle diese magischen Praktiken auf Sel teilen, ist die Abhängigkeit einer physischen Zeichnung, die die Investitur zu dem macht, was sie ist.
19 Ein interessanter Aspekt sind die Namen der beiden Splitterträger, die aufgrund ihrer grammatischen Endungen als weiblich (Aona) und männlich (Skai) identifiziert werden können, was auch gut zu ihrem Charakter aggressiv – hingebungsvoll passt.
20 Die Situation, die die Schlichter im Prolog beschäftigt, thematisiert einen Konflikt der Genderdebatte, die Wahrnehmung von Weiblichkeit: Intuition / Emotion / Spiritualität // unheimlich / irrational / verschlingend. Doch das nur nebenbei erwähnt.
21 To forge wird im allgemeinen Sprachgebrauch angewandt, wenn etwas verbessert oder verstärkt werden soll, damit es hält oder seine Funktion besser erfüllen kann, beispielsweise Metall schmieden, um es zu formen und zu härten, wie Schwerter zu Pflugscharen. To forge something bedeutet aber auch, illegal eine Kopie von etwas herstellen, um zu betrügen, wie einen Pass, eine Banknote oder ein Dokument zu fälschen (vgl. Oxford Advanced American Dictionary).

Für das Geschehen auf der Planetenwelt Sel siehe auch: Re-Read: Elantris sowie Die Shaod - Koevolution von Leiden und Heilen


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