Wer Steven Eriksons Serie des Malazian Book of the Fallen gelesen hat, erkennt das Setting wieder, wundert sich aber über die ganz andere Atmosphäre von Ian Cameron Esslemonts Version des malazanischen Empire. Als der Roman Die Gärten des Mondes [1] 1999 veröffentlicht wurde, war die Idee für den Entwurf des Imperiums von Malaz bereits siebzehn Jahre alt. Aus der Taufe gehoben wurde die Geschichte dieser fiktiven Welt als A Tale of the Malazian Book of the Fallen bereits 1982 als Gemeinschaftsarbeit von zwei kanadischen Autoren: Steven Erikson [2] und Ian Cameron Esslemont. [3] Gemeinsam arbeiten sie seitdem an der Realisierung dieser huge imaginary world, [4] die ihnen zu umfangreich erschien, um von einem Autor in einem Leben bewältigt zu werden. Den ersten Roman seiner Malaz-Serie, Die Gärten des Mondes, widmete Steven Erikson seinem Freund und Mit-Autor mit den Worten: Welten zu erobern, Welten zu teilen. [5] Als dann 2005 Esslemonts erster Malaz-Roman, Night of Knives erschien, [6] sechs Jahre nach der Veröffentlichung von Eriksons Garden of the Moon, schreibt dieser seinem Freund in die Einführung zu dessen Roman:
Night of Knives is not fan fiction. We shaped the world of Malaz through dialogue; [...] and we made it a point to confound the genre´s overused tropes. The spirit of that has infused every one of my novels set in the Malazian world. And it infuses Ian Esslemont´s writing in the same imaginary world. [...] To this day, we continue to work on the Malazian World´s history. [...] From the beginning of the Malazian series, I was writing to an audience of one – Cam. And he has reciprocated. [7]
Inzwischen, fünfzehn Jahre später, existieren zwei verschiedene Perspektiven des Imperiums von Malaz, die von unterschiedlichen Phasen und Aspekten der fiktiven Geschichte dieses Imperiums berichten. So sehr sich das Setting, die Figuren, die Erzählebenen [8] und auch die Position der Erzähler ähneln, so sehr unterscheidet sich die Atmosphäre der beiden fiktiven Welten: Esslemonts Fiktion gleicht nur auf den ersten Eindruck der seines Freundes Erikson. Ian C. Esslemonts Night of Knives erschien 2004, im gleichen Jahr wie Midnight Tides, Eriksons fünfter Band der Tales of the Malazian Book of the Fallen. Der Leser, der das zunehmend komplexer gewordene Epos bis hierhin mitverfolgt hat, bekommt mit Esslemonts Roman erstmals einen ausführlichen Einblick in Ereignisse, die Erikson in Gärten des Mondes (2000) nur angedeutet hat. Esslemont lüftet mit seinem ersten Malaz-Roman den Schleier, den Erikson über die Ereignisse um den Sturz und das Verschwinden des mysteriösen Imperators Kellanved und seines Assassinen Tänzer (Dancer) gebreitet hat.
Der Plot von Night of Knives erzählt von den Ereignissen einer Nacht und eines Tages in der Stadt Malaz auf der gleichnamigen Insel, ordnet sich chronologisch zwischen dem Prolog und dem Haupttext von Die Gärten des Mondes ein. Esslemonts Roman fasst die Geschehnisse der vierundzwanzig Stunden zusammen, die sich seit dem Verschwinden von Kellanved ereignet haben. Die Leser*innen treffen den Ganoes Strabon Paran aus dem Prolog der Gärten des Mondes wieder, eine der Reflektorfiguren des erstes Buch des Spiels der Götter. Der jugendliche Adelige Paran beobachtet von einer Zinne von Mocks Feste aus eine Säuberung, die die Usurpatorin Laseen anordnete um alle magischen Aktivitäten auf Malaz endgültig zu beenden. Surley, die Gründerin der Klaue, änderte nach der Ermordung von Kellanved ihren Namen in Laseen, nachdem sie Kellanved, den Gründer des Imperium von Malaz, gestürzt hat. Eriksons Serie der Malazian Book of the Fallen spart diese Ereignisse lange aus, sodass über den Verbleib des Imperators, und dessen mutmaßlichen Tod, nur Gerüchte bestehen, die Esslemont dann fünf Jahre später in Night of Knives aufklärt.
Esslemonts Night of Knives setzt die Kenntnis von Die Gärten des Mondes nicht unbedingt voraus, sie ist aber hilfreich, da Erikson den Malaz-Kosmos weitaus umfangreicher schildert. Außerdem verwendet I.C. Esslemont kommentarlos Begriffe und Konzepte, die sein Freund in seinen Romanen entwickelt hat. Ohne diese Lektüre ist das magische Instrument der Gewirre, die Namen und Funktionen von Göttern, soziale, historische und kulturelle Bezüge nicht wirklich gut nachvollziehbar. Wie die Malaz-Chroniken von S. Erikson wird auch Night of Knives durch einen Paratext eingeleitet, der dem Prolog vorausgeht. Dieser Text nennt den geographischen Ort der folgenden Erzählung und ordnet das Geschehen absolut-chronologisch in das Jahr 1154 of Brand`s Sleep ein. Mit diesen vorangestellten Informationen weckt Esslemont mit seinem Roman den Anschein einer Chronik, und für Leser*innen entsteht die Illusion des faktualer Historizität der Erzählung. Mit diesem Mittel verschleiert der Autor den fiktiven Charakter seiner Erzählung, die vorgibt, eine historische verlässliche Chronik zu sein.
Der Plot der Erzählung ist weitgehend linear-progressiv, wie ein Computer- beziehungsweise Rollenspiel konstruiert. Die Erlebnisse von zwei Figuren, Temper und Kiska, sind als zwei Handlungstränge parallel zueinander angeordnet, ohne dass die Protagonisten die meiste Zeit von einander Kenntnis haben. Ihre Verwandtschaft mit dem Genre Computerspiel zeigen Szenen wie
- Tempers und Kiskas odysseeartige Queste durch die Straßen und Viertel von Malaz-Stadt, bei der sie die Desorientierung und Verwirrung ihrer Ortskenntnis, magische Hindernisse und Blockaden sowie Angriffe von dämonischen Kreaturen bewältigen müssen;
- die Konfrontation mit den magischen Praktiken durch die Gewirre, der allgegenwärtigen Gefahr der Schattenhunde und der heroischen Abenteuer, die sich den Protagonisten beständig bieten, und ihnen schwierige Prüfungen auf dem Weg zu ihrem Ziel abverlangen;
- der Absturz in die sekundäre Realität der Gewirre als Wechsel auf ein anderes Level;
- die Aszendenz der Protagonisten durch mehrere Level, entweder in der historischen Raum-Zeit von Insel und Stadt Malaz oder dem Aufstieg durch die Etagen von Mocks Feste, wo ihnen auf jeder Etage eine neue Herausforderung begegnet, die sie zuerst bestehen müssen, bevor sie die nächste Etage betreten können.
In jedem Jahrhundert erscheint der unheimliche Shadow Moon mehrmals über der Inseln Malaz und eröffnet eine Nacht des Grauens, der unheimlichen Atmosphären der Wiedergänger und Dämonen. Ein Anhänger des geheimnisvollen cult of schadow, das Gesicht tief in den Schatten seiner Kapuze verborgen, macht das Recht dieser Kreaturen auf diese eine Nacht deutlich: This night is ours. We control the island two or three nights every century. Niemand, der nicht in die Ereignisse involviert werden will, wagt sich in dieser Nacht vor die Türe seines sicheren Hauses. Hinter verriegelten Türen und verschlossenen Fenstern erwarten die vor Angst und Grauen gelähmten Bewohner der Insel das Ende dieser Nacht. Gekonnt inszeniert Esslemont bizarre Szenen von sword and sorcery in der unheimlich-dämonischen Atmosphäre der Nacht des Schattenmonds: magisch, unheimlich und brilliant.
Anmerkungen
1 Steven Erikson, Die Gärten des Mondes. Das Spiel der Götter, Bd. 1, München, 2000. Die Originalausgabe erschien 1999 unter dem Titel The Gardens of the Moon. A Tale of the Malazian Book of the Fallen bei Bantam Press, London [zitiert als GdM].
2 Steven Erikson, geboren 1959 in Toronto, aufgewachsen in Winnipeg, ist Archäologe, Anthropologe und Absolvent des Iowa Writers´ Workshop. Steven Erikson ist das Pseudonym von Steve Rune Lundin, der 1991 begann, unter diesem Namen erste Fantasy-Erzählungen zu publizieren. Seine erste Erzählung, A Ruin of Feathers, ist seine Abschlusarbeit, des Iowa Writers´ Workshop, die 1992 als Buch TSAR Publications veröffentlicht wurde.
3 Ian C. Esslemont, geboren 1962 in Winnipeg, ist Archäologie und besitzt ein Diplom in kreativem Schreiben sowie einen PhD in englischer Literatur. Er bereiste Südostasien, Thailand und Japan. Gemensam mit Steven Erikson arbeitete er als Archäologe.
4 Ian C. Esslemont, Night of Knives, A Novel of the Malazian Empire, London, 2005. Esslemont erzählt im ersten Band seiner eigenen Malaz-Serie von Ereignissen, die Eriksons Gärten des Mondes vorausgehen, als Kellanved noch Imperator und Tänzer seine rechte Hand ist, aus den early times of the empire´s history [zitiert als NoK]. Eine deutsche Übersetzung liegt bislang noch nicht vor.
5 Worlds to conquer, worlds to share (Erikson, GdM, Widmung).
6 Night of Knives wurde im September 2004 erstmals von PS Publishing als limitierte, gebundene Ausgabe in Großbritannien veröffentlicht. Eine Taschenbuchausgabe folgte im Mai 2006. Bantam, der auch Steven Eriksons Book of the Malazian Fallen herausgab, publizierte im Mai 2007 eine zweite gebundene Ausgabe von Night of Knives, die ein Jahr später als Taschenbuch erschien. Die erste US-Publikation von Tor Books folgte im Mai 2009.
7 Esslemont, Introduction, NoK. Während mit dem Roman The Crippled God, Eriksons 10. und abschließender Band des Malazian Book of the Fallen im englischen Original erschien (die deutsche Version steht noch aus und ist für 2016 angekündigt), erschien 2014 mit Assail, Esslemonts sechste und abschließende Novel of the Malazan Empire.
8 Eriksons Malazian Book of the Fallen und die Novel[s] of the Malazian Empire sind als Genre High (epic) Fantasy. Charakteristisch in beiden Roman-Zyklen ist, dass sich die Ebene des Erzählens von jener des Erzählers unterscheiden lässt. Betrachtet man nämlich die Stellung des Erzählers zum erzählten Geschehen, so fällt auf, dass dieser nicht der zu der erzählten Welt gehört: der Erzähler tritt in der erzählten Welt nicht als Figur auf (heterodiegetisch). In den Romanen von Erikson und Esslemont erzählt ein verborgener Erzähler (covert narrator), der für den Leser nicht direkt präsent ist, sodass die Illusion entsteht, die Geschichte erzähle sich von selbst. Die Vermittlerfunktion des Erzählers tritt so weit in den Hintergrund, dass der Leser dem Eindruck erliegt, er wohne dem Geschehen unmittelbar bei. Erzählendes und erlebendes Ich fallen in heterodiegetischen Erzählungen zusammen und unterliegen nicht der Ich-Spaltung einer homodiegetischen Ezählsituation. Die heterodiegetische Erzählinstanz ignoriert die zeitliche Distanz (des früher-jetzt-später) des Erzählers zu den beschriebenen Figuren und Ereignissen.
9 Abgesehen von gelegentlichen auktorialen Einsprengseln ist die Erzählerinstanz in beiden fiktiven Welten personal beziehungsweise figural gestaltet, sodass der Leser die Ereignisse aus dem eingeschränkten Blickwinkel der Innenperspektive, aus dem Bewusstsein des Protagonisten, der als Reflektorfigur vermittelt, miterlebt. Die Metaebene und vollständige Übersicht eines auktorialen Erzählers, dessen Außenperspektive, wird dadurch ersetzt, dass der Leser quasi auf den Schultern der Hauptprotagonisten sitzt, und von diesen durch die Erzählung geführt wird. Bei der Analyse ihrer Kategorie der portal quest fantasy äußert sich Farah Mendlesohn zu diesem narrativen Mittel: One way to envision this technique is that we ride alongside the protagonist, hearing only what she hears, seeing only what she sees (even if she is not the narrator) provides us with a guided tour of the landscapes (Rhetorics of Fantasy, Wesleyan University Press, Middletown, 2008, Kindle Ebook:Position 236).
10 In NoK ist die Atmosphäre des Umheimlichen dominant gegenüber anderen Genres der Phantastischen Literatur, was auf Eriksons Prosa so nicht zutrifft.
11 Gezeiten der Nacht. Das Spiel der Götter 9, 2006 als 2. Halbband des Spiels der Götter im Münchener Blanvalet Verlag erschienen.
12 NoK, 2005:159.
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