Often many earls must suffer misery through the will of one
Beowulf, 3077-3078
The Spear of Destiny sticking right through me
Nick Cave
Weh nun, waltende Gottheit, Unheil geschieht
Hildebrandslied
Eine Saga der Älteren Tage von J.R.R. Tolkien
1977 legte Christopher Tolkien postum die Kompilation Das Silamarillion vor, in dem er die Geschichten der Älteren Tage des Ersten Zeitalters seines Vaters neu auflegte.1
Die Sage von Túrin Turambar nimmt ihren Beginn im Anschluss an die Schlacht der Ungezählten Tränen. Der Prolog der Lays of the Children of Húrin streift die Niederlage von Maedhros Heer, berichtet von der Gefangennahme Húrins, von seiner Verschleppung nach Angband, seiner Standhaftigkeit sowie der Verfluchung seiner Familie durch Morgoth. Der Prolog beginnt mit den folgenden Versen:
Sieh! der gold´ne Drache des dunklen Gottes,
der Schatten der Wälder in der Welt, die schwand
der Kummer der Menschen, und die Klage der Elben
entweichte wohl sachte Waldwege entlang
nun ist zu erzählen, vom tränenreichen Namen,
von Níniel, der trauervollen und vom traurigsten Namen,
von Thalions Sohn Túrin vom Schicksal besiegt.2
Hithlum hieß eine Region im Westen des versunkenen Beleriands, ein Nebelland, ein von Gebirgen eingeschlossenes Hochland, im Osten und Süden von den Ered Wethrin (den Bergen des Schattens), im Westen von den Ered Lómin (den Echobergen) begrenzt. Die Hochlande Beleriands sind durch eine großräumige Schichtenfaltung des Muttergesteins entstanden. Hithlum lag im Einfluss warmer südwestlicher Winde, war auch im Sommer angenehm kühl und windig. Die Winter in Hithlum waren kalt, besonders in den höheren Lagen, wenn sie den eisigen Nordwinden Morgoths ausgesetzt waren. 3 Seinen Namen erhielt Hithlum von den Eldar, die es zuerst sahen, als es noch ganz unter Wolken verborgen lag, die Morgoth dorthin getrieben hatte. Die Landschaft im Süden Hithlums war Dor-lómin, das Land des Schattens, das Marachs Urenkel, Hador Lórindel (Goldscheitel), und dem Dritten Haus der Edain, vom Hohen König der Noldor im fünften Jahrhundert des Ersten Zeitalters (EZ) als Lehen gegeben wurde. Dor-lómin war die Heimat Hadors, der in der Dagor Bragollach bei Eithel Sirion fiel. Er war der Großvater Húrins, von dessen Kindern die Lay of the Children of Húrin berichtet. Wie die Legende erzählt, ereignete sich die Geschichte von den Kindern Húrins, die von Morwen, Húrins Frau und deren Kindern, Túrin und Niënor, berichtet, im sechsten Jahrhundert EZ und wurde von Tolkien als ein Langgedicht komponiert. Der aus Dor-lómin stammende Sänger und Poet Dírhavel, schuf diese tragische Versdichtung unter dem Titel Narn i Hîn Húrin, als er an den Sirionmündungen bei Earendil und seiner Frau Elwing lebte. Beim Angriff der Söhne Fëanors auf die Häfen am Sirion am Ende des Ersten Zeitalters, und deren Vernichtung, fand Dírhavel den Tod.
Das Silmarillion 4 überliefert die Schlacht der Ungezählten Tränen (Nirnaeth Arnoediad), der fünften der sechs großen Schlachten (473 EZ), die die Eldar gegen Morgoth, den Schwarzen Feind, führten. In dieser Schlacht vereinigte Maedhros die Heere Beleriands zu einem Bund gegen den Morgoth. Hier entscheidet sich nicht nur das Schicksal der Noldor, sondern auch das des Hauses Hador, und dessen Herrscher, Húrin aus Dor-lómin (Hithlum). Mit seiner Loyalität den Noldor gegenüber, und durch seine Tollkühnheit in der Schlacht, verursacht er das tragische Schicksal seiner ganzen Familie, die in der Geschichte der Kinder Húrins überliefert wird.
Nachdem Maedhros Bund die Orks aus Beleriand vertrieben hatte, sammelte sich am Mittsommertag des Jahres 473 EZ ein großes Heer der Elben, Menschen und Zwerge zum Angriff auf die Thangorodrim. Maedhros, der das Ostheer befehligte, hatte die Aufgabe übernommen, Morgoths Armee aus Angband herauszulocken. In Maedhros Heer versammelten sich Menschen und Elben aus Himring unter seiner und der Söhne Bórs Führung, Menschen und Elben vom Amon Ereb unter der Führung von Caranthir und Uldor sowie die Nauglim. Fingon, dessen Heer in den Ered Wethrin lag, sollte von Westen aus angreifen. In dessen Heer kämpften die Elben der Falas, Menschen aus dem Hause Haleth aus Brethil, Elben unter der Führung von Gwindor aus Nargothrond sowie zwei Elben aus Menegroth. Unerwartet verstärkte Turgon aus Gondolin die Streitmacht mit 10.000 Kriegern. Zu Fingons Westheer gehörten auch die Menschen aus Hithlum, unter ihren Führern Huor und Húrin. Übereilt und durch die vermeintliche Überlegenheit geblendet, geriet das Westheer in die von Morgoth gestellte Falle; das Ostheer, durch den Verrat Uldors aufgehalten und in Scharmützel verstrickt, erreichte das Schlachtfeld fünf Tage zu spät. Fingons Heer war inzwischen durch die Armee Morgoths unter der Führung von Glaurung und Gothmog aufgerieben, Turgons Truppen in eine ausweglose Situation geraten, und das Ostheer in einen Dreifrontenkrieg verwickelt, dem es nicht gewachsen war. Nur durch die Entschlossenheit der Zwerge entkam das Ostheer schließlich nach Ossiriand.
For Turgon towering in terrible anger
Für Turgon aufragend in schrecklichem Zorn
a pathway clove him with his pale sword-blade
einen Pfad er ihm bahnte mit fahler Klinge
out of that slaughter - yea, his swath was plain
´raus aus dem Schlachten - mit glattem Streich
through the hosts of Hell like hay that lieth
durch die Heerscharen der Hölle die wie Heu er fällte
all low on the lea where the long scythe goes.
gemäht auf der Aue wo die Sense mäht. 5
Als Fingon und die meisten seiner Männer gefallen waren, die Schlacht eindeutig verloren war, überredete Húrin Turgon, sich nach Gondolin zurückzuziehen, damit Morgoth von der geheimen Lage der verbotenen Stadt keine Kenntnis erhielt. Huor und Húrin sicherten mit den Männern aus Dor-lómin Turgons Rückzug, bildeten eine lebendige Mauer über das Fenn von Serech, und starben dort alle, bis auf Húrin. Dieser wurde auf Befehl Morgoths lebend auf die Thangorodrim gebracht, um dort der Folter unterzogen zu werden, da sich Morgoth von ihm Auskunft über die Lage von Gondolin erhoffte. Die Toten dieser Schlacht türmten die Orks zu dem großen Grabhügel Haudh-en-Ndengin (Hügel der Erschlagenen) in der Öde von Angfauglith auf.
´Is it dauntless Húrin,´ quoth Delu-Morgoth,
Ist´s der nie wankende Húrin,´ so sprach Delu-Morgoth,
´stout steel-handed, who stands before me,
der stark und gestählt, hier vor mir steht,
a captive living as a coward might be?
ein lebender Fang, ein Feigling wohl ist er?
Knowest thou my name, or need´st be told
Ihr kennt meinen Namen, oder muss ich ihn nennen
what hope he has who is haled to Angband –
welche Hoffnung habt Ihr, der nach Angband geholt -
the bale most bitter, the Balrog´s torment?´
das bitterste Bündel, auf der Folter Balrogs?
´I know and I hate. For that knowledge I fought thee
Ich kenn´ Euch und hass´ Euch. Und heiß ich bekämpft´ Euch
by fear unfettered, nor fear I now,´
von Furcht ungefesselt, noch fürcht´ ich Euch nun.
said Thalion there, and a thane of Morgoth
sagte Thalion dort, bis ein Baron von Morgoth
on the mouth smote him; but Morgoth smiled;
auf den Mund ihn schlug; aber Morgoth, er schmunzelte:
´Fear when thou feelest, and the flames lick thee,
Furcht werdet Ihr fühlen, wenn die Flammen Euch lecken,
and the wipe of the Balrogs thy white flesh brand.
und die Bogenpeitschen der Balrogs Euer weißes Fleisch verbrennen.
Yet a way canst win, an thou wishest, still
Einen Weg zu gewinnen, noch werdet Ihr wünschen
to lessen thy lot of lingering woe.´
zu schmälern Eurer Los lang dauerndes Leid. 6
Am Ende der Nirnaeth Arnoediad waren Dor-lómin und Hithlum von Morgoth erobert, und durch Ostlinge besiedelt, Himring musste aufgegeben werden, und außer Gondolin waren alle Hochlande Beleriands in der Gewalt von Morgoth.
Narn i Hîn Húrin: Eine Synopsis
Die Geschichte der Kinder Húrins gehört zur Mythologie des großen Ringepos. J.R.R. Tolkien erzählt in ihr von Túrin Turambar und Nienor, die Morgoth mit einem Fluch belegt, da sich ihr Vater, Húrin Thalion, nach der Nirnaeth Arnoediad nicht dem Willen des gefallenen Vala beugt. Die dunkle Macht Morgoths breitet sich immer weiter nach Beleriand aus. Horden von Orks und der fürchterliche Drache Glaurung bedrohen seine Bewohner. Während Húrin von Morgoth gefangen gehalten wird, nimmt sein tapferer Sohn Túrin den Kampf gegen das Böse auf.
In Doriath wächst Túrin zu einem Krieger und Helden heran, der dem bösen Feind Morgoth, der seinen Vater in der Gewalt hat, schon bald ernsthaften Schaden zufügt. Nach Jahren des Kampfes und Leben in der Wildnis kehrt er nach Doriath zurück. Dort wird er wegen seines Aussehen verhöhnt und erschlägt im Zorn einen der anwesenden Eldar. Da er den Zorn und die Strafe Thingols fürchtet, flieht er. Während er abwesend ist, wird ihm vom König verziehen und aufgefordert, rehabilitiert zurückzukehren. Túrin aber verbringt Jahre in den Wäldern unter Gesetzlosen, sammelt Gefolgsleute um sich und stellt sich Morgoth entgegen. Von Orks gefangenengenommen und nach Norden verschleppt, befreit ihn sein Freund, der Eldar Beleg, den er unbeabsichtigt tötet, da er ihn für einen Ork hält. Túrin flieht in die letzte Festung der Eldar, nach Nargothrond, wo er, da ihm sein Ruhm als Kämpfer vorauseilt, freudig aufgenommen wird. Dort fordert er die Eldar auf, ihn in seinem Kampf gegen Morgoth zu unterstüten, wozu diese schließlich auch zustimmen, obwohl viele Stimmen abraten, offen gegen den Feind zu kämpfen. Mit einem großen Heer schickt Morgoth den Drachen Glaurung nach Süden und vernichtet Nargothrond. In einem Dialog mit Glaurung, der Túrin bannt, fordert er ihn auf, Finduilas, seine Geliebte zu suchen, die Orks nach Norden verschleppt haben. Glaurung verhöhnt Túrin, nennt ihn einen ehrlosen Sohn, der Mutter und Schwester allein zurückgelassen hat.
Vom dem Bann des Drachen und der eigenen Hybris geblendet, vergisst Túrin Finduilas und macht sich nach Hithlum auf, um seine Mutter Morwen und sene Schwester Niënor zu suchen. Dort erfährt er, was Glaurung längst wusste, dass Mutter und Schwester bereits nach Doriath aufgebrochen sind. Als die beiden Túrin in Doriath nicht antreffen, machen sie sich auf den Weg nach Nargothrond, um ihn dort zu treffen. Während sich Morwen in Nebeln verirrt, trifft Niënor auf Glauring, der ihr die Erinnerung an ihre Vergangenheit nimmt.
Túrin hat inzwischen in Brethil Zuflucht gefunden. Im Wald trifft er ahnungslos auf seine verwirrte Schwester, die er Níniel nennt, sie heiratet und schwängert. Eine Spur der Zerstörung hinter sich lassend, folgt Glaurung Túrin nach Brethil. In seinem dramatischen Duell, dass dem Kampf Siegfrieds mit dem Drachen Fafnir gleicht, tötet Túrin Morgoths Drachen. Sterbend löst Glaurung den Fluch, der Túrin und Niënor bannt. Die Geschwister nehmen sich das Leben, als sie erkennen, dass sie Bruder und Schwester sind.
Soweit die Synopsis der neuen Ausgabe der Erzählung von den Kindern Húrins. Diese neue Ausgabe von 2007 ist eine reine Leseausgabe, die besonders auf die frühere Version in den Nachrichten aus Mittelerde zurückgeht, jetzt versehen mit Illustrationen von Alan Lee. Die Ausgabe bildet den Abschluss eines Projekts, dass J.R.R. Tolkien wahrscheinlich seit 1918 verfolgt hat, aber zu Lebzeiten nicht abschließen konnte. Der Prosatext kommt, anders als The Legend of Sigurd and Gudrún oder The Fall of Arthur, ohne Kommentare, Anmerkungen und philologisch-editorischem Anhang daher. Die Geschichte von Túrin Turambar war eines der wichtigen Projekte Tolkiens: Sie als eigenständiges Buch zu veröffentlichen blieb für ihn ein unerfüllter, lebenslanger Wunsch, der mit dieser neuen Ausgabe der Erzählung befriedigt ist.
Hintergrund
Es fällt nicht schwer in Túrin (und Niënor) den unglücklichen Kullervo (und seine Schwester) aus dem finnischen Nationalepos Kalevala zu erkennen. Die Ìslendingasögur überliefern einige Charaktere, deren Leben und Bestimmung vom Schicksal regiert wird, denen die hamingja fehlt, ihr Glück oder ihr Schutzgeist. 7 Die Kalevala ist eindeutig die Inspirationsquelle für Tùrin und sein tragisches Leben:
Kullervo, der Sohn Kalervos, greift nach seinem scharfen Schwerte,
Dreht es hin und her, beschaut es, fragt es, sucht es auszuforschen;
Fragt das Schwert nach seinem Sinne, ob vielleicht es Lust verspüre,
Vom verruchten Fleisch zu fressen, von dem Frevlerblut zu trinken.
Mannes Willen weiß die Waffe, sie errät des Helden Rede,
Sie erwidert diese Worte:
„Warum sollt ich nicht mit Wonne
Vom verruchten Fleische fressen, von dem Blut des Frevlers trinken,
Freß ich doch vom Fleisch des Reinen, trink vom Blut des Unschuldvollen. 8
Während seines Studiums der finnischen Grammatik am Exeter College in Oxford hat sich Tolkien mit der Kalevala beschäftigt, die erste Version der Kinder Húrins hat er als Soldat während des ersten Weltkriegs geschrieben. Sein Biograph erwähnt eine Versdichtung, die Kullervos Geschichte thematisiert, die aber bisher unveröffentlicht ist, es vielleicht auch bleibt.
Die Kinder Húrins ist ein Roman, der auf einer der frühen Geschichten J.R.R. Tolkiens aus dem Legendarium (atanatárion) basiert, 9 die sein Sohn Christopher 2007 postum in broschierter Ausgabe herausgegeben hat. Der dritte Band der History of Middle Earth enthält das Gedicht The Lay of the Children of Húrin, 10 das in zwei Versionen überliefert ist. Das Gedicht ist unvollendet geblieben, stellt aber einen der frühen Versuche Tolkiens dar, die Erzählung von Túrin Turambar aus dem Buch der Verschollenen Geschichten, seinem Legendarium, in alliterierenden Versen nachzuerzählen. Das Gedicht, in Stabreim-Versen komponiert, gehört zu den tragischsten der Beleriand-Sagen der Älteren Tage des Ersten Zeitalters 11. Tolkien verfasste die alliterierenden Verse während seiner Anstellung an der Universität von Leeds – zwischen 1920 und 1925, möglicherweise begann er aber schon 1918. Wahrscheinlich stellte er seine Arbeit an diesem Gedicht um 1925 ein, dass, 2275 Zeilen umfassend, fragmentarisch blieb. Damals begann er seine große Dichtung um Beren und Tinúviel, The Lay of Leithian, die ebenfalls bedeutende Ereignisse der Älteren Tage überliefert. Die größte Schwierigkeit des Lay of the Children of Húrin liegt darin, dass Tolkien die Personen- und Ortsnamen seines Gedichtes nicht kontinuierlich an die Weiterentwicklung seiner Elbensprachen angepasste. So präsentiert sein Werk unterschiedliche Namen für gleiche Personen oder Orte, ein eher charakteristisches Merkmal tolkienischer Kompositionen, die den verwirrt, der sich in Tolkiens Kosmos nicht auskennt.
Das Lay of the Children of Húrin markiert eine entscheidende Phase in der Entwicklung der fiktiven Mythologie Beleriands im Ersten Zeitalter. Tolkien beschreibt im dritten Teil seiner Dichtung erstmals die große Kasematte von Nargothrond, die im Buch der Verschollenen Geschichten noch die primitive Höhle der Rodothlim ist. An dieser Stelle unterbricht Tolkien bedauerlicherweise die Arbeit an dieser Dichtung, sodass zentrale Themen der Túrin-Biographie, wie sein Aufenthalt in Brethil, Inszest und Drachentötung fehlen.
Neben der Stabreim-Version des ergreifenden Schicksals der Kinder Húrins existieren weitere, prosaische Erzählungen dieses Stoffes, von Tolkien lebenslang verbessert, überarbeitet und umgeschrieben, sodass der Túrin-Stoff über eine Vielzahl unterschiedlicher Manuskripte verstreut ist. Dem Gedicht geht die Sage Turambar und der Foalóke voraus wie sie im zweiten Band des Buchs der Verschollenen Geschichten erzählt wird. 12 Dies ist die erste Erzählung, die Tolkien dem Schicksal der Kinder Húrins gewidmet hat, und die er schon zwischen 1916 und 1920 schrieb. Um seinem Gedicht einen mythischen Referenzrahmen zu geben, verfasste Tolkien 1926 eine kurze Skizze der Ereignisse in Mittelerde im Ersten Zeitalter (Sketch of Mythology 13). Dieser als Erläuterung gedachte Text ist der erste Entwurf des späteren Silmarillion. 14 Auf dem Briefumschlag, in dem dieses Manuskript aufbewahrt wurde, vermerkte Tolkien: Original Silmarillion [...] for R.W. Reynolds to explain the background of alliterative version of Túrin and the Dragon. 15 Diese mythologische Skizze ist außerdem der erste Prosa-Text, den Tolkien im Anschluss an die Verschollenen Geschichten verfasst hat. Abgesehen von den beiden Annals of Beleriand (in den 1930ern) 16 und den Grey Annals (1950-1951), 17 handelt es sich dabei um die verschiedenen Versionen des Silmarillion, um ein über mehrere Jahrzehnte betriebenes Projekt Tolkiens.
In der Werkgeschichte The History of Middle Earth veröffentlichte Christopher Tolkien zwei weitere, eigenständige Prosa-Versionen des Túrin-Mythologems – die fragmentarische Erzählung The Wanderings of Húrin 18 sowie die Narn I Hîn Húrin (die Erzählung von den Kindern Húrins). 19 Der eine Text, die Narn I Hîn Húrin, greift die schon in den Verschollenen Geschichten enthaltene Erzählung von Túrin, Níniel und dem Drachen Glaurung erneut auf. The Wanderings of Húrin enthält die Vorgeschichte des Túrin-Stoffes, Húrins Gefangennahme und die Verfluchung seiner Familie durch Melkor den Morgoth, die auch als Prolog das Gedicht einleitet. Tolkien fährt mit den Erlebnissen Húrins nach seiner Entlassung aus Morgoths Gefangenschaft fort, schildert insbesondere seinen Aufenthalt in Brethil.
Die Geschichte von Túrin Turambar existiert also spätestens seit 1919. Nach Christopher Tolkiens Kommentar zu Turambar und der Foalóke wurde sie noch vor der Sage von Beren und Luthien Tinúviel geschrieben. 20 Das Stabreimgedicht The Lays of the Children of Húrin entstand schon 1918, wahrscheinlich in den ersten Entwürfen parallel zu der Prosa-Version. Zwischen 1926 und 1951 war das Túrin-Mythologem für Tolkien Anlass permanenter Auseinandersetzung und dichterischer Entwicklung, wie die unterschiedlichen Stadien der Entstehung des Sagenzyklus des Silmarillion belegen, die oben erwähnt wurden. Erst im Anschluss an diese dichterische Phase verfasste Tolkien, in den 1950er Jahren die Narn I Hîn Húrin und The Wanderings of Húrin. Die Daten der Fertigstellung der einzelnen Texte verdeutlichen, dass dieser mythologische Stoff Tolkien während seiner gesamten Schaffensperiode immer wieder beschäftigt hat.
Das Gedicht The Lay of the Children of Húrin ist in vier Teile gegliedert: in den Prolog, ohne eigenen Untertitel, in drei lange Segmente des Gedichts, die eigene Untertitel besitzen: Túrins Ziehkindschaft am Hof Thingol und Melian in Menegroth (Doriath) sowie Beleg und Failivrin. Mit Túrins Aufenthalt in Nargothrond endet das Gedicht von Húrins Kindern unvermittelt. Über Pläne Tolkiens, diese Dichtung zu beenden, ist nichts bekannt, und sein Sohn Christopher fand keinerlei Anzeichen für eine solche Absicht.21
Die neueste Version der Kinder Hùrins ist also nicht neu. Neu ist lediglich die Herausgabe, die einer der besten Erzählungen Tolkiens, eine Saga altnordischer Qualität, endlich gerecht wird. In akribischer Detailarbeit, wie man es von seinen anderen Publikationen gewohnt ist, hat Ch. Tolkien aus mehreren Versionen, Entwürfen, Notizen und Kommentaren seines Vaters eine Erzählung rekonstruiert, die lehrreich Ate und Hybris thematisiert, und trotzdem äußerst unterhaltsam zu lesen ist.
Drei große Erzählungen waren für J.R.R. Tolkien von besonderer Bedeutung: Beren und Lúthien, Der Fall von Gondolin und Die Kinder Húrins. Gemeinsam ist diesen drei meisterhaften Erzählungen aus dem Legendarium, dass sie in verschiedenen Versionen vorliegen und von Tolkien selbst nie abgeschlossen wurden. Mit den Kindern Húrins ist nun die erste dieser besonderen Erzählungen als ein in sich geschlossener, eigenständiger Roman in angemessener Form veröffentlicht. Zukünftig muss niemand für diese Erzählung mehr auf die History of Middle Earth zurückgreifen.
Die Neuveröffentlichung von Die Kinder Húrins ist beides: vollständig und neu. Neu besonders für die neuen Tolkien-Leser, die Peter Jacksons Verfilmung des Herrn der Ringe und des Hobbit hinzu gewonnen hat und die noch nicht mit der komplexen Mytholgie Mittelerdes vertraut sind, die auch der Filmversion des Ringzyklus zugrunde liegt.
Anmerkungen
1 J.R.R. Tolkien, The Silmarillion, ed. by Christopher Tolkien, London, 1977.
2 Vgl. J.R.R. Tolkien, The Lays of Beleriand, The History of Middle-Earth, Vol.3, Edited by Christopher Tolkien, London, 1985:6 (Übersetzung der Verse ins Deutsche Herbert W. Jardner).
3 Vgl. Karen Wynn Fonstad, Historischer Atlas von Mittelerde, Stuttgart, 1991:10.
4 Vgl. Silmarillion, 1999:253-266.
5 Vgl. Tolkien, History 3:6 (Übersetzung der Verse ins Deutsche Herbert W. Jardner).
6 Vgl. Tolkien, History 3:7 (Übersetzung der Verse ins Deutsche Herbert W. Jardner).
7 [. . .]das Schicksal regiert die Bestimmung des Helden, in den Íslendingasögur häufig als Glück (an. hamingja, Schutzgeist, Glück) interpretiert, dass den Helden ganz willkürlich wieder verlassen konnte. [...] Das Schicksalskonzept beherrschte weitgehend Leben und Tod der sterblichen Menschen. Aber auch die altgermanischen Götter waren dem Schicksal unterworfen. Sie selbst mussten in einer letzten Schlacht (an. ragnarökr) gegen die Mächte der Finsternis kämpfen (vgl. Herbert W. Jardner, Túrin Turambar und Frodo Beutlin. Tolkiens Theorie des Mut, unveröffentlichtes Manuskript.
8 Elias Lönnrot, Lore Fromm, Hans Fromm: Kalevala, Wiesbaden, 2005:243.
9 Tolkien bezeichnete sein Werk als Legendarium, eine Sammlung von Heldenliedern und -legenden, von heroischen Biographien, ein Sagenbuch also. In der Hochsprache der Elben in Tolkiens Universum sind die Atanatári die Väter der Menschen, ein Titel, der den Anführern und Häuptlingen in den Geschichten der Älteren Tage, zur Zeit ihrer Ankunft in Beleriand, gebührte. Ein Atanatárion ist also mehr als ein Legendarium, es ist eine Chronik.
10 J.R.R. Tolkien, The Lays of Beleriand, The History of Middle Earth, Vol.3, hg. von Christopher Tolkien, London, 1994:3-130.
11 Tolkien, History 3:3.
12 J.R.R. Tolkien, Das Buch der verschollenen Geschichten, Bd.2, Kap.II, hg. Von Christopher Tolkien, Stuttgart, 1999:95-191.
13 J.R.R. Tolkien, The Earliest Silmarillion (bzw. The Sketch of Mythology), The Shaping of Middle-Earth, History of Middle Earth, Vol.4, hg. von Christopher Tolkien, London, 1993:11-75; verfasst 1926, revidiert zwischen 1926 und 1930.
14 J.R.R. Tolkien, Das Silmarillion, herausgegeben hg. von Christopher Tolkien, Stuttgart, 1999; für die Sage von Túrin vgl. das XXI. Kapitel (S. 267-307).
15 Vgl. Tolkien, History 3:3 und Tolkien, History 4:11.
16 J.R.R. Tolkien, The Earliest Annals of Beleriand, History of Middle Earth, Vol.4, hg. Von Christopher Tolkien, London, 1994:3-130; J.R.R. Tolkien, The Later Annals of Beleriand, History of Middle Earth, Vol.5, hg. von Christopher Tolkien, London, 1993124-154.
17 J.R.R. Tolkien, The Grey Annals, History of Middle Earth, Vol.11, hg. Von Christopher Tolkien, London, 1995:1-170. Vgl. Auch Tom Shippey, The Road to Middle Earth, New York,2003:224-225.
18 J.R.R. Tolkien, The War of the Jewels, The History of Middle Earth, Vol.11, hg. von Christopher Tolkien, London, 1995:251-310.
19 J.R.R. Tolkien, Nachrichten aus Mittelerde, hg. von Christopher Tolkien, Stuttgart, 2001:81-221.
20 Tolkien, Verschollene Geschichten, 1999:95.
21 Tolkien, Lays of Beleriand, 1994:1.
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