»Remember what is gone -
The magic sun that lit Kortirion!«1
J.R.R. Tolkien
John Ronald Reuel Tolkien ist Der Autor des Jahrhunderts, so jedenfalls sieht ihn Tom Shippey in seiner Darstellung des tolkienschen Werks. Jahre vorher hat Humphrey Carpenter eine Biographie des Autors vorgelegt, die sich ausführlich mit dem Mann und seinem Werk im Lebenslauf auseinandergesetzt hat.2
J.R.R. Tolkien, Professor für englische Sprache an der Universität Oxford, hatte seit seiner Jugend an einer eigenen, fiktiven Mythologie gearbeitet, die auf künstlichen Sprachen basiert, und die sein jüngster Sohn Christopher erst nach seinem Tod, 1977, als stark gekürzte Kompilation unter dem Titel Das Silmarillion in überarbeiteter und vervollständigter Form veröffentlichte. Was sich in Der Hobbit (1937), seinem Opus magnum Der Herr der Ringe, aber besonders im Silmarillion ereignet, spielt in Tolkiens erfundenen Welten: Mittelerde, Beleriand oder Númenor. Einige seiner sprach- und literaturwissenschaftlichen Beiträge, beispielsweise seine Essays Beowulf: The Monsters and the Critics (1936) und Über Märchen (1947), gelten bis heute als herausragende, akademische Leistungen.
J.R.R. Tolkien, britischer Schriftsteller und Philologe, wurde am 3. Januar 1892 in Bloemfontein, Oranje-Freistaat, in Südafrika geboren und starb am 2. September 1973 in Bournemouth, England. Sein Roman Der Herr der Ringe, in Deutschland erst 1969-1970 erschienen (The Lord of the Rings, 1954-1955,) ist eines der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts und begründete die moderne Fantasy-Literatur.
Schon in seiner Jugend interessierte Tolkien sich für Sprachen, altenglische und altnordische Mythen, Sagen und Märchen sowie phantastische Erzählungen. Während seiner Schulzeit vertiefte er seine philologischen Interessen und lernte die altenglische Literatur kennen, vor allem, das altenglische Beowulf-Epos. In dieser Zeit beschäftigte er sich mit den mittelalterlichen Dichtungen Sir Gawain and the Green Knight oder Pearl, über die er später eigene wissenschaftliche Arbeiten vorlegte. Schließlich wandte er sich dem Altnordischen und den Mythen und Sagas der Eddas und den Isländersagen zu, die er im Original las. Seine neu erworbenen linguistischen Kenntnisse, seine Experimentierfreude sowie sein Gefühl und Talent für Sprachen, ermöglichten ihm schon während der Schulzeit, eigene, künstliche Sprachen zu erfinden: Quenya und Sindarin. 1911 gründete Tolkien mit einigen Freunden den T.C.B.S. (Tea Club – Barrovian Society), einen Debattierkreis, der sich regelmäßig traf, um sich über literarische Fragen auszutauschen. In diesem Kreis, so heißt es, soll Tolkien, von Francis Thompson inspiriert, seine ersten Gedichte vorgetragen haben. Ende 1911 nahm Tolkien sein Studium am Exeter College in Oxford auf. Zunächst studierte er die klassischen Sprachen Latein und Griechisch, beschäftigte sich mit der Literatur dieser antiken Kulturen, lernte zusätzlich Walisisch und fand darüber hinaus zur vergleichenden Sprachwissenschaft. Nach 1912, schreibt sein Biograph, setzte er sich mit dem Finnischen auseinander und lernte die Kalevala kennen. Jahre später nutzte er diese Studien bei der Konstruktion der Hochelbensprache Quenya.
Aufgrund seines zunehmenden Interesses an den germanischen Sprachen wechselte er ab 1913 in das Institut für englische Sprache und Literatur. Dort las er im Rahmen des anspruchsvollen altenglischen Literaturkanons das Werk Crist des angelsächsischen Dichters Cynewulf, dem er seine Inspiration für den Earendil-Charakter des Silmarillion und der Welt Mittelerde (middangeard) verdankte:
ala Earendel engla beorhtast
ofer middangeard monnum sended
Heil dir Earendel, strahlendster Engel,
über Mittelerde den Menschen gesandt
Tolkien war davon überzeugt, dass der Name Earendel (Lichtstrahl), auf den Morgenstern, die Venus, verweist, der mit seinem Aufgehen das Ende der Nacht und den Anbruch des Tages ankündigt. Dieses beinahe mystische Erlebnis ist die wahre Geburtsstunde und Inspiration der Tolkienschen Mythologie: I felt a curious thrill, as if something had stirred in me, half wakened from sleep. There was something very remote and strange and beautiful behind those words, […] far beyond ancient English. Ein Jahr später schreibt er schon sein ersten Earendil-Gedicht The Voyage of Earendel the Evening Star, das mit den oben zitierten Zeilen beginnt. Von einem Freund auf die Bedeutung des Earendil-Gedichts angesprochen, soll er geantwortet haben: I don’t know. I’ll try to find out. Dieses schriftstellerische Credo ist charakteristisch für Tolkien, der sein Werk nicht als Neuschöpfung, sondern als Entdeckungsreise verstanden hat – seine Mythologie, eine andere Welt, in der er sich forschend bewegen konnte.
J.R.R. Tolkiens Teilnahme am ersten Weltkrieg endete 1916, als er sich in den Schützengräben der Somme-Schlacht mit Fleckfieber infizierte und zurück nach England kam. Noch während seines Genesungsaufenthalts begann er ein literarisches Projekt, das in der damaligen Literatur einzigartig war: die Erschaffung eines vollständigen Sagenzyklus, der mit der Kosmogonie der Ainulindalë beginnt und mit der Earendil-Saga endet: die Erzählungen des Buchs der verschollenen Geschichten, das später als die Kompilation Das Silmarillion von seinem Sohn publiziert wurde. Schon hier verwendete Tolkien als narrativen Hintergrund die von ihm erfundenen Sprachen der Eldar, das Quenya, und der Edain, das Sindarin, beide mit funktionaler Grammatik und umfangreichem Vokabular.
Als 1925 der Rawlinson-und-Bosworth-Lehrstuhl für Angelsächsisch in Oxford vakant wurde, bewarb sich Tolkien und erhielt die Anstellung, unter anderem wegen der literarischen Qualität seiner Sir Gawain-Übersetzung. 1926 gründete Tolkien dort die Kolbitar (Kohlenbeißer), einen Literaturkreis, der sich mit den isländischen Sagas und den Edda-Texten beschäftigte, die im Original gelesen wurden. 1927 schloss sich auch Clive Staples Lewis, der Autor von Die Chroniken von Narnia, diesem Kreis an und wurde ein enger Freund und Kritiker Tolkiens. In den frühen 1920er und 1930er Jahren begann Tolkien seinen Kindern fantasievolle Geschichten zu erzählen. Aus dieser Zeit stammt beispielsweise die Erzählung Roverandom, die auf das Verschwinden eines Spielzeughundes seines zweiten Sohnes Michael zurückgeht. Obwohl Tolkien damals bereits an der Konstruktion seiner fiktiven Mythologie arbeitete, fehlen entsprechende Bezüge in diesen Erzählungen fast völlig. Dies änderte sich mit der Inspiration zu dem Roman Der Hobbit, an dem Tolkien ab 1930 zu arbeiten begann. Hier finden sich Verweise auf die verlorenen Geschichten – Gondolin, das Erste Zeitalter, der Nekromant – die im Hobbit eine historische Tiefe und ein mythologisches Fundament andeuten. Durch Empfehlung wurde der Verlag Allen und Unwin auf seine Erzählung aufmerksam, die dann 1937 veröffentlicht wurde. Durch den Erfolg des Hobbits drängte der Verlag Tolkien zu einer Nachfolgeerzählung, die er zunächst als weiteres Kinderbuch anlegte, und die zum Keim des Herrn der Ringe wurde. Ende der 1930er Jahre hielt Tolkien bei den Inklings, einem weiteren literarischen Club, dem er angehörte, den vielbeachteten Vortrag On Fairy-Stories (Über Märchen), in dem er die Grundsätze des später entstehenden Fantasy-Genres beschrieb und energisch gegen die Vorwürfe des Eskapismus verteidigte.
Durch seinen Perfektionsmus und den Wechsel auf den Lehrstuhl für Anglistik der Universität Oxford im Jahre 1945, beendete J.R.R. Tolkien seine Arbeit an seinem Opus magnum, Der Herr der Ringe, erst – und zwar auch nur durch den Druck seines Verlegers – 1954. Die vom dem amerikanischen Verlegern Donald A. Wollheim von Ace Books für 1964 geplante Taschenbuch-Neuauflage lehnte Tolkien aus Qualitätsgründen ab. Diese Zurückweisung führte dazu, dass D.A. Wollheim eine Lücke in den Urheberrechten nutzte, um einen Raubdruck des Herrn der Ringe zu veröffentlichen. Dieser in den Vereinigten Staaten publizierte und in Umlauf gebrachte Raubdruck begründete den Weltruhm von Tolkiens Werk und löste eine Kultbewegung unter den Studenten dieser Zeit aus.
Sein restliches Leben widmete Tolkien der Ausarbeitung des Silmarillion, dem Herzstück seiner fiktiven Mythologie, das er bis zu seinem Tod nicht fertigstellen konnte. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit entstand ein umfangreicher Korpus an Notizen und alternatven Versionen zu den einzelnen Erzählungen des Silmarillion, die Tolkiens Sohn Chistopher von 1983 bis 1996 in seinem zwölfbändigen Kommentar zu seines Vaters Werk, The History of Middle Earth, publizierte.
Astro-Porträt
»Ein korrekter und nüchterner Verstand will vielleicht nicht eingestehen,
daß Unholde und Drachen für uns irgendein Interesse besitzen könnten;«3
J.R.R. Tolkien
Wie die Mythologie gehört auch die Astrologie, deren analoge Bildersprache eigentlich die des Mythos ist, nicht zu den anerkannten, vielmehr abgewerteten und völlig missverstandenen psychologischen Disziplinen. Schon die Mythologie als Psychologie der Antike anzuerkennen, fällt dem modernen, rational aufgeklärten Wissenschaftler häufig schwer genug. Dieses Vorurteil mag in Bezug auf eine Ereignisse voraussagende Astrologie nachvollziehbar und sinnvoll sein, ist aber hinsichtlich der Möglichkeiten, die sie für die Charakteristik der Biographie und Persönlichkeit des Menschen bereithält, fragwürdig geworden.3 Gleiches gilt für die Mythologie, die als eine Art Kompendium des richtigen, tugendhaften Verhaltens den antiken Kulturen Orientierungshilfe und Verhaltenskodex war.
Ein Blick auf Biographie und Werk Tolkiens erschließt unmittelbar zwei besonders auffällige Konstellationen seines Geburtshoroskops, die Licht auf die psychischen Motive werfen, die seine Dichtung motivierten.3.1 Eine Konzentration auf diejenigen astrologischen Einflüsse in Tolkiens Horoskop, die mit den Bereichen Mythos, Fiktion, Vision, Traum und Erinnerung korrespondieren, rückt die Planeten Jupiter (130 Fische) und Mond (00 Fische) in den Fokus der Aufmerksamkeit.4 In Tolkiens Horoskop bewegen sich beide Faktoren im siebten Feld Fische. Entsprechend astrologischer Diktion ist Jupiter in den Fischen erhöht, repräsentiert hier Mitgefühl und Hingabe, woraus dann ein beträchtliches Maß an Idealismus folgt. In den Fischen tendiert Jupiter dazu, sich einem höheren Ideal hinzugeben, diesem unter Umständen auch andere biographische Bereiche zu opfern. Entsprechend astrologischer Theorie repräsentiert der Planet Jupiter Optimalstreben und Wertgerichtetheit, [in Fische; HWJ] Hingabe an das Letztmögliche, durchdrungen von Sinn und Bedeutung eines Auftrags; Erfolg durch Maßhalten im Maßlosen, sonst sich leicht an Gelegenheiten verzettelnd. Manchem fehlt die verständige Kanalisierung seiner Fähigkeiten [hier ausgleichend Merkur in Steinbock: H.W.J.] oder er findet nicht zu zweckmäßiger Auswertung tatsächlicher Leistungen bei einigen ungewöhnliche Konzeption des Werks, fruchtbar die meisten.5 An Idealen ausgerichtet stehen ein sensibles Gespür für Selbstvervollkommnung und Weiterentwicklung im Vordergrund der Aktivitäten, wobei diese leicht durch unkritische und ziellose Einstellungen und Fluchttendenzen behindert werden können. Nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren kann zu einer ernsthaften Herausforderung werden.
Für seine Vision des Idealen und umfassenderen Zieles eintretend, scheuen sich Persönlichkeiten mit Jupiter in den Fischen nicht, Wagnisse auf sich zu nehmen, auch dann nicht, wenn sie auf harte Kritik stoßen. Eine große, expansive und beeindruckende Energie, Vorstellungskraft und innovative Eigenschaften stehen ihnen zur Verfügung. Selbstvertrauen und Zuversicht entwickeln sich im Verlauf auf dieser Basis, insbesondere dann, wenn sie sich mit einem spirituellen, sozialen oder künstlerischen Ziel verbinden, Zielen, denen Tolkiens Werk in besonderem Maße verpflichtet ist. Die astrologische Theorie besagt, dass Menschen mit dieser Jupiter-Stellung ein besonderes Vorstellungsvermögen, ein intuitives Wissen um das Leben oder eine umfassende Vision besitzen.
Tolkiens Auseinandersetzung mit der Mythologie und mit vergangenen Kulturen hielten für ihn ein besonderes Versprechen für die Zukunft bereit. Seine Jupiter-Stellung zeichnet sich nicht nur durch seine Hingabe an eine Sinnstiftung durch verpflichtende Werte aus, es gelingt ihm nicht nur, sie künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, er schafft es auch, die Themen aufzugreifen, die seine Mitmenschen bewegen. Da gesellschaftliche Interessen und Aktivitäten mit Jupiter im siebten Feld korrespondieren, benötigt der Horoskopeigner Freiheit, die vielfältigen Facetten des Lebens auszuschöpfen, sein Geist sehnt sich nach Befreiung von den Einschränkungen durch die Materie, benötigt diese aber auch, um eine konkrete Ausdrucksform zu finden. Tolkien hat von dieser ambivalenten Spannung zwischen Freiheit und Nähe gezehrt, sie war sein Lebensthema, und er hat sie in Blatt von Tüftler als die polare Beziehung zwischen einem ungleichen Paar, dem Maler Tüftler und seinem Nachbarn Paris, geschildert. Erst nach dem Tode, in einer Art Jenseits, gelingt es Tüftler (Tolkien), diese Spannung zu versöhnen, wenn er sich für den einst lästigen Nachbarn einsetzt, ihm zur Transzendenz verhilft, und so einen neuen Blick auf seine künstlerische Arbeit gewinnt. In der Erzählung heißt: Es ist Tüftlers Bild, oder das meiste davon: ein wenig ist es jetzt auch Paris’ Garten.6 Im siebten Feld richten sich diese Fähigkeiten und persönlichen Eigenschaften auf die Beziehungen zu anderen Menschen. Entsprechend dem herrschenden Zeichen Waage formiert sich solches Interesse am Mitmenschen vorwiegend über intellektuelle und philosophische Aktivitäten, ist aber ohne weiteres auch in der künstlerischen Aktivität denkbar. Jupiters Tönung durch das siebte Feld verleiht ihm ein Gespür für gesellschaftliche Trends und dafür, was anderen gefällt. Tolkiens ungewöhnlich große und anhaltende Popularität ist mit dieser Jupiter-Position nicht schwer nachvollziehbar.
Das starke Bedürfnis nach intellektueller Aktivität verbindet sich nur einerseits mit der Begeisterung für Ideale aktiv einzutreten, andererseits öffnet es sich über die Mond-Fähigkeiten für Traum und Vision. Für Thomas Ring repräsentiert der Mond das Traumhafte: Phantasie, als psychischer Ur-Sachverhalt, steht enger auf das eigene Selbst bezogen in Zusammenhang mit dem Gemüt. Nicht unbeteiligt gibt jene uns ein Schauspiel, sondern fühlend spielen wir an ihren Bildern unser inneres Drama durch. Die Grundfunktion des Fühlens wird je nach gegebenen Stoffen bzw. »Anlässen« zu bestimmten Gefühlen, umgekehrt, wenn Fühlen an bestimmte Inhalte des Gemüts rührt, kleiden diese sich bildhaft ein, angelehnt an das empirisch Nächstliegende oder mit der Freiheit des dichterischen Symbols. [...] Mit Mond in hervorgehobener Stellung kann Gemüt, schöpferische Phantasie und Einfühlung zur beherrschenden Note werden.7 Tolkiens Fische-Mond erweitert und ergänzt die durch Jupiter geförderten Persönlichkeitsmerkmale. In den Fischen partizipiert der so gestellte Mond an grenzüberschreitender Fantasie und unerschöpflicher Einbildungskraft neptunischer Provenienz, überlässt sich sensibel dem universellen Lebensstrom, umgebungsabhängig und beeinflussbar, dennoch ungebunden und festem Zugriff sich entwindend.8
Auf welche Weise Tolkien seine Mond-Fähigkeiten literarisch nutzte, belegt ein kurzer Artikel, der die Präsenz des altnordischen Óðinn in Tolkiens Erzählungen nachweist.9 Majorie Burns zeigt anschaulich, dass die Komplexität der Protagonisten Manwë, Melkor-Morgoth, Gandalf, Sauron und Saruman durch mehrdimensional verflochtene óðinnische Persönlichkeitsmerkmale charakterisiert sind, Teilpersönlichkeiten Óðinns, inkarniert in antagonistischen Handlungsträgern. Angesichts dieses Sachverhalts wird deutlich, dass Tolkien seine Personae dramatis kaum bewusst und planvoll entwickelt haben kann, sondern dass sich deren Persönlichkeit wie von selber schreibend entwickelte, unbewusst genährt aus seinem reichen Reservoir mythologischer, historischer und linguistischer Kenntnisse, die er seit seiner Kindheit angesammelt hat. Dieser imaginative Aspekt seiner Textproduktion scheidet Tolkien den Dichter vom Schriftsteller und Wissenschaftler. Richtend und sich selbst disziplinierend wirkt dabei der saturnische Einfluss (Saturn 00 Waage) auf Sonne (120 Steinbock) und Merkur (Saturn 00 Steinbock; Saturn Quadrat Merkur) in Tolkiens Horoskop auflösenden Tendenzen entgegen, sodass seine Personen ein deutlich personales Profil und glaubwürdige Identität gewinnen. Der saturnische Einfluss errichtet aber gleichzeitig Spannungen und Widerstände gegenüber dem produktiven Streben nach der Hingabe an das Letztmögliche, sorgt dabei für ein Maßhalten im Maßlosen. In seiner autobiographischen Allegorie Blätter von Tüftler beschreibt Tolkien selbstkritisch sein Verzetteln in sich bietende Gelegenheiten.10 Als das Sinngebende charakterisiert Thomas Ring das Prinzip Jupiter, und denkt dabei an die Pflege von Werten, den planenden Weitblick, aber ebenso an Überschuss, die Extensität des Aufschwungs, an die gläubige Begeisterung, die Tolkiens Fische-Mond in sensible Imaginationen umsetzt, und die der Autor selbst mit Fantasie (Mond) sowie Wertgerichtetheit, Optimalstreben und sinnhafter Rückbindung (Jupiter) in seinem Werk verbindet.11 Die Struktur und Beharrlichkeit, mit der Tolkien lebenslang seinem visionären Ziel verpflichtet blieb, konfiguriert die Spannung zwischen Fische- und Steinbockkonstellation (Sonne und Merkur im fünften Feld Steinbock), wobei das fünfte Haus nicht allein personale Selbstdarstellung auf größerer Bühne, sondern auch künstlerische Kreativität und Produktion symbolisiert.
Die Wirkung von Tolkiens Werk liegt in der Ambivalenz, die aus stringent konzipierten, auf die Zukunft ausgerichteten Idealen sowie deren ständige Bedrohung durch als irrational gefürchtete Kräfte lebt. Gerade in dieser Spannung liegt Tolkiens Schnittstelle mit der modernen Welt, deren postreligiösem Hunger nach Mythen. Als neptunisch gelten im kollektiven Maßstab die Illusionen einer Zeit, schreibt Thomas Ring, die hypothetischen Voraussetzungen, unter denen man sich im Gegebenen einrichtet und auf eine utopische Zukunft hin lebt. [...] Urtümliches und Zukunftsträchtiges reichen sich dabei die Hand, beides gleich nebelhaft, was auf die Unterscheidungskraft naiver Geister verwirrend einwirkt. Unter Umständen schöpferische Imagination. [...] Es handelt sich normalerweise um subtile Ausgleiche des Alltäglichen in der Zuwendung zum Geheimnisvollen, Berauschendem am Rande des Möglichen und Erträglichen.12
Unbeirrbar entfaltete Tolkien seine Vision (Jupiter) einer fiktionalen Mythologie (Mond) für England als Lebenswerk: von Das Buch der Verschollenen Geschichten über Der Herr der Ringe bis hin zum postumen Das Silmarillion. Mit Hilfe vermittelnder Alter ego-Gestalten, wie Eriol und Ælfwine in den verschollenen Geschichten, träumt er sich in die alltäglicher Erfahrung unzugänglichen Welten von Mittelerde, um die verschollenen Geschichten wiederzufinden und zu dokumentieren, sie für die Nachwelt zu bewahren: eine Aufgabe für den Dichter und Schriftsteller (Jupiter und Mond), aber auch für den dokumentierenden und analysierenden Wissenschaftler (Saturn).
Anmerkungen
1 J.R.R. Tolkien, Das Buch der verschollenen Geschichten, Bd.1, herausgegeben von Christopher Tolkien, Stuttgart, 1999:54 [VG 1].
2 Tom Shippey, J.R.R. Tolkien. Der Autor des Jahrhunderts, Stuttgart, 2002. Humphrey Carpenter, J.R.R. Tolkien, Eine Biographie, Stuttgart, 1979.
3 J.R.R. Tolkien, Die Ungeheuer und ihre Kritiker. Gesammelte Aufsätze, Stuttgart, 1987.
3.1 Die Astrologie, von hier die Rede ist, unterscheidet sich in Anspruch und Ziel von esoterischer Verwässerung und Wahrsagerei, und noch erheblicher von der Vulgärastrologie in der Regenbogenpresse. Namen wie beispielsweise Thomas Ring, Fritz Riemann und Peter Niehenke repräsentieren diese psychologische oder analytische Astrologie in Deutschland (Thomas Ring, Astrologische Menschenkunde, 4 Bände, Freiburg i.Br., 1990-1994 [Menschenkunde]; Fritz Riemann, Astrologie als Lebenshilfe. Gedanken und Erfahrungen, München, 1996; Peter Niehenke, Kritische Astrologie. Zur erkenntnistheoretischen und emprisch-psychologischen Prüfung ihres Anspruchs, Freiburg i.Br., 1987; ders., Astrologie. Eine Einführung, Stuttgart, 1994).
4 John Ronald Reuel Tolkien wurde am 3. Januar 1892 (2100 LMT) in Bloemfontein (Südafrika) geboren (Hans-Hinrich Taeger (Hrsg.), Internationales Horoskope Lexikon, Bd.3, Freiburg i.Br., 1991:1479).
5 Ring, Menschenkunde, Bd. 3: Kombinationslehre, 226.
6 J.R.R. Tolkien, Blatt von Tüftler, in: Fabelhafte Geschichten, Stuttgart, 1975:156-157 (das englische Original erschien bereits 1964 unter dem Titel Leaf by Niggle).
7 Ring, Menschenkunde, Bd. 1: Kräfte und Kräftebeziehungen, 120-121 und 124. Die Stellung des Mondes im Horoskop kann die Beziehung des Eigners zu seiner Mutter symbolisieren. Das innere Drama, auf das Thomas Ring hier hinweist, das Tolkien an inneren Bildern fühlend durchspielte, schildert Humphrey Carpenter in seiner Tolkien-Biographie (J.R.R. Tolkien. Eine Biographie, Stuttgart, 1979; insbesondere 35ff., 43 und 44ff.).
8 Ring, Menschenkunde, Bd. 3, Kombinationslehre, Freiburg i.Br., 1994:176-177.
9 Majorie Burns, Gandalf and Odin, in: Verlyn Flieger und Carl F. Hostetter, Tolkien´s Legendarium. Essays on The History of Middle-Earth, London, 2000:219-231.
10 Tolkien, Tüftler, 127-160. Der Name des Protagonisten dieser Erzählung im englischen Original, Niggle, setzt diese Eigenschaft Tolkiens allegorisch ins Bild: to niggle, planlos handeln, Zeit auf belanglose Details verschwenden.
11 Ring, Menschenkunde, Bd. 1: Kräfte und Kräftebeziehungen, 81 und 182ff.
12 Ring, Menschenkunde, Bd. 3: Kombinationslehre, 238.
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