Samstag, 17. Dezember 2022

Imaginationen einer Anderen Welt, Teil Eins


Und so wie das Sprechen ein Erfinden in Bezug auf Objekte und Ideen ist,
so ist der Mythos ein Erfinden in Bezug auf die Wahrheit
.1

I didn´t say in the same way, said Jeremy.
There are secondary planes or degrees
2.

»Rings um euch liegt die weite Welt:
Ihr mögt euch einzäunen, aber euer Zaun wird
sie nicht fernhalten.«
3

Christopher Tolkien und Humphrey Carpenter bezeichnen Tolkiens Texte wiederholt als Mythologie. Aber auch Tolkien selbst verwandte diese Bezeichnung für sein Werk, als er davon sprach, eine Mythologie für England schaffen zu wollen.4
Meines Erachtens trifft dieser Terminus das, was die moderne Literaturwissenschaft als phantastische Literatur bezeichnet nicht ganz, obwohl Tolkien sicherlich als Diskursivitätsbegründer gelten kann: als die „Mutter“ aller rezenten epischen High-Fantasy.5 Wenn Tolkiens Bemühen in der Schaffung einer Mythologie lag, dann schwebte ihm sicherlich eine Heldenmythologie, eine Heldenepik, wie der altenglische Beowulf vor.
In seinen alliterierenden Versdichtungen näherte er sich dem altenglisch-eddischen Heldenlied. Treffender ist es aber, den größten Teil der Texte Tolkiens als literarische Erzählungen zu bezeichnen, vergleichbar denjenigen der nordischen Sagaliteratur.6 Für seine narrativen Texte konzipierte Tolkien in seinen künstlichen Sprachen Quenya [Q] und Sindarin [S] einen eigenständigen Terminus, der diesen Sachverhalt beleuchtet: Q nyár-, erzählen, berichten.7 Auch die Earendil-Erzählung, deren Thema sich in die altnordische Mythologie verzweigt, steht, so wie Tolkien sie erzählt, der Saga näher als der Mythologie, der Tolkien den Impuls zu diesem Thema verdankt.8 Die philosophische Ebene, die der narrativen Ebene unterliegt, behandelt die großen mythologischen Themen: Tod, Wiedergeburt und das Schicksal der Kulturen Mittelerdes. Eng damit verknüpft sind Betrachtungen über Sterblichkeit und Ewiges Leben, ein Thema, das Tolkien als Große Flucht formuliert, die einst über den Geraden Weg (The Straight Road) führte, den die Angst der Menschen vor dem Tod schließlich krümmte. Dass Kritiker für Tolkiens Werk schon früh den Vorwurf des Eskapismus bemühten, darauf werde ich noch näher eingehen. Eine genauere Differenzierung macht allerdings deutlich, dass das Gegenteil wahr ist. Im seinem Essay Über Märchen bekennt sich Tolkien offensiv zum Märchen als eskapistischer Literatur und als Fluchtweg. In der Flucht, die für ihn weder verwerflich noch anstößig ist, sieht er die eigentliche Funktion des Märchens:

Im „wirklichen Leben“, wie es der [eskapistische] Sprachgebrauch zu nennen beliebt, ist Flucht offenbar in der Regel höchst zweckmäßig, manchmal sogar heroisch. Im wirklichen Leben ist Flucht nur schwer zu tadeln, es sei denn, sie scheitert; für die Literaturkritik scheint sie umso schlimmer, je besser sie gelingt [...]. Warum einen Mann verachten, wenn er aus dem Gefängnis auszubrechen versucht, um nach Hause zu gehen? Oder wenn er, weil ihm das nicht gelingt, an anderes denkt und von anderem redet als von Gefängniswärtern und von Gefängnismauern? Die Welt draußen ist doch nicht weniger wirklich geworden, weil der Gefangene sie nicht sehen kann.9

Tolkien betritt mit diesen Worten die Weiten des Traums, der vsionären Ekstase, und verteidigt damit die Empfänglichkeit des Menschen für Transzendenz und Imagination, die Fähigkeit zu einer Wahrnehmung, die unzulänglich als übersinnlich bezeichnet wird. Es ist bedauerlich, dass dem deutschsprachigen Leser, insbesondere den Liebhabern der Werke von John Ronald Reuel Tolkien, nicht der Korpus der Sekundärliteratur zur Verfügung steht, der im englischsprachigen Raum inzwischen publiziert ist.
Man kann Tolkiens Oeuvre durchaus als Phantastische Literatur lesen, die ganze Komplexität, die ganze Schönheit seiner fiktionalen Mythologie erschließt sich aber erst dann, wenn man sein Werk als philosophisch-theologisches System studiert. Denn dass Tolkiens Absicht nicht nur eine narrative, sondern auch eine wissenschaftliche war, zeigen philosophische Texte wie Myths Transformed10 und Athrabeth Finrod ah Andreth,11 philologische wie The Lhammas,12 The Etymologies13 oder Quendi and Eldar14 oder ethnologische wie Laws and Customs Among the Eldar.15 Tolkiens Weise zu denken, wie sie sich insbesondere im The Silmarillion16 darstellt, gleicht der mythischen Struktur Jean Gebsers, die zu einer Bewusstwerdung der Seele führt. Tolkiens dichterisches Schaffen war der Innenwelt der unbewussten Sphären psychischen Bilderschaffens verpflichtet.17 Gebser charakterisiert die mythische Struktur durch die Imagination (lat. imago, Bild):

Die mythische [Struktur] dagegen hat ein imaginatives Bildbewusstsein, das sich in dem Bildcharakter des Mythos spiegelt und auf die Seele und auf den Himmel, den antiken Kosmos, antwortet. [...] In einem gewissen Sinne sind die Mythen wortgewordene Kollektivträume der Völker. Solange sie nicht in dichterischer Form dargestellt werden, sind sie unbewußte Vorgänge; ihre bloße Aussage ist noch kein Indiz für ihre Bewußtwerdung, sondern lediglich für ihre Bewußtwerdungs-Möglichkeit. Jeder Bewußtwerdung geht die sie erst ermöglichende Entäußerung dessen voraus, was bewußt werden soll oder will.18

Flucht positiv aufgefasst, als entspannte Meditation und Selbst-Reflexion, als absichtloses Handeln, ist die Grundvoraussetzung der mythischen Struktur. Die kreisende Bewegung, die Jean Gebser als Symbol dieser Weise in der Welt zu sein ansieht, umfasst alles Polare und bindet es ausgleichend aneinander. Die innere Folgerichtigkeit der Realität,19 von der Tolkien in Über Märchen spricht, ist eine, in der Mythos, Sprache und Kultur, in philologischer Tradition, einander reflektieren und die Welt gestalten, der sie ihre Existenz verdanken. Die beiden Termini, Imagination und Bilderschaffen, bilden den Schlüssel zu Tolkiens Werk.
Eine kulturelle Epoche, die das mythische Denken nicht mehr pflegt, kann dieses nur noch im Gewand der Phantastik erleben oder, wie Tolkien in seinem Essay Über Märchen schreibt, als Zweitschöpfung. Tolkien stellt neben die primäre Welt (Realität) imaginativ eine neben- oder beigeordnete zweite Welt (sub-creation), und nutzt dazu die Macht des Wortes als Medium. Die Entwicklung seiner künstlichen Sprachen erfordert Menschen, die diese sprechen und weiterentwickeln. Ohne Kultur, die deren Entwicklung und Bewusstsein prägt, gibt es keine Menschen, und ohne Menschen keinen Mythos, der formend und gestaltend auf die Kultur zurückwirkt. Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, besagt ein alter Marx`scher Hut, sondern die kulturellen Gegebenheiten. Ein Leitsatz, der auf jede Kultur zutrifft, und auch auf die Protagonisten von Fantasy-Epen.

Die fachwissenschaftliche Rezeption der Werke Tolkiens hat ihren ersten Höhepunkt erreicht. Tolkiens Motivation und Intention wird jetzt in ihrer ganzen Dimensionen sichtbar. Dass Tolkiens Werke weitaus mehr sind, als Romane der Phantastischen Literatur, dazu haben Sprachwissenschaftler, Historiker, Philosophen, Theologen und Literaturwissenschafter mannigfach Argumente vorgelegt. Der Leser, der dieser Diskussion fern bleibt, bewundert Tolkiens The Lord of the Rings20 oder sein komplexeres The Silmarillion wohlwollend als Fantasy oder verurteilt es als eskapistisches Machwerk. Der Mangel der deutschsprachigen Tolkien-Rezeption wirkt sich zum Nachteil des Verständnisses der tieferen Schichten tolkienscher Weltanschauung aus. Es ist höchst oberflächlich, bemerkt Patrick Curry, sein Werk nur auf eine Weise zu lesen und andere Perspektiven auszuschließen.21 Tolkien bietet seinen Lesern weitaus mehr, als dieses angenehme Vergnügen, von dem Aristoteles in seiner Poetik spricht. Die oberflächliche Kategorisierung seiner Schriften in herkömmliche Genre wie Phantastische oder eskapistische Literatur verstellt den Blick auf den Reichtum seiner Gedankenwelt.
In einem Brief an seinen amerikanischen Verleger Houghton Mifflin Co. erläutert Tolkien seinen dichterisch-wissenschaftlichen Ansatz, und bekennt, dass sein Werk zutiefst von der Linguistik inspiriert ist: Das Erfinden von Sprachen ist das Fundament. Die »Geschichten« wurden eher so angelegt, dass sie eine Welt für die Sprachen abgeben, als umgekehrt. Für mich kommt zuerst ein Name, dann folgt die Geschichte.22 Auf der basalen Ebene der Sprache sind Laute für ihn akustische Archetypen, die zu mannigfaltiger Klangassoziation einladen, Formen ohne Inhalt, die auf einer imaginativen Weise zu ihm sprechen, als Sprache gefasst und konzipiert, kulturspezifisch immer wieder anders arrangierbar. In Law and Custom among the Eldar, einem der philosophischen Essays, mit denen Tolkien versuchte seiner fiktionalen Mythographie ein theoretisches Gerüst zu geben, beschreibt er ein Namensgebung-Ritual (essecilmë) der Eldar, in dessen Verlauf sie sich am Ende ihrer Kindheit einen zweiten, Namen erfinden, imaginativ erspüren, sodass er zu ihrem veränderten Status passt. Die geeignete Zeit für ein Essecilmë-Ritual, setzt die Entwicklung einer bestimmten Begabung voraus, die Eignung zur sogenannten lámatyávë. Dieses Talent bezeichnet die individuelle Fähigkeit, mit den Lauten und Worten der Sprache kreativ umzugehen, das heißt, sie müssen zuerst zur Sprach- und Wortschöpfung fähig sein, bevor sie ihren neuen Namen bilden können, a complete mastery of their inherit language and its structure [...] so that to express this tyávë skillfully within its limits23 Die Fähigkeit zu Lámatyávë gilt als identitätstiftendes Merkmal des Individuums, und äußert sich in der persönlichen Vorliebe für bestimmte Laute, in der Freude an Lautbildung und Wortschöpfung.2425 Die Komplexität der traditionellen Namensgebung der Eldar korrespondiert mit der Entwicklung der Orts- und Personennamen in Tolkiens Werk: Die Erfindung und Weiterentwicklung von Eigennamen gehört zu Tolkiens bemerkenswertesten Aktivitäten, und erinnert an die poetischen Synonyme für Hauptwörter (an. heiti) in der altisländischen Literatur.

* * *

Die Analyse der Saga von Túrin Turambar erläutert sehr anschaulich, auf welche Weise Tolkien seine Erzählungen konstruierte, welche Themen und Aussagen ihm wichtig waren, und warum er seine Erzählungen als Mythologie gestaltete.
Túrin, einer der größten Helden im Ersten Zeitalter Mittelerdes, wechselt seinen Namen, und damit seine Identität, in Übereinstimmung mit den Heldentaten, die er vollbringt, den Schicksalsschlägen, die er erleidet. Obwohl Túrin ein Mensch, und kein Eldar ist, demonstriert seine Vita, die Vielzahl seiner verliehenen oder selbstgewählten Namen, die Praxis der Namensgebung der Eldar anschaulich. Wer Túrin seinen ersten und persönlichsten Namen gab, lässt sich aufgrund widersprüchlicher Versionen der Erzählung nicht entscheiden. Auf den ersten Blick scheint dieser Name sein Vater-Name zu sein,26 den Húrin seinem Sohn bei dessen Geburt gab, um ihn sozial in die Gemeinschaft zu integrieren. Betrachtet man diesen Namen von der Etymologie und der Biographie her, gab ihm seine Mutter seinen Anessi-Namen Túrin.27 Der Grund für diese Annahme, und die Widersprüchlichkeit der verschiedenen Túrin-Erzählungen, hängt mit folgendem Brauch der Eldar zusammen, den Tolkien in Law and Customs Among the Eldar schildert. Die Mütter der Eldar geben ihren Kindern, in Vorausahnung eines besonderen Schicksals, ganz spezielle, von ihnen selbst ausgewählte Namen. Diese sogenannten Namen der Vorahnung (essi tercenyë oder essi appacenyë) beziehen sich auf besondere charakterliche Merkmale oder Eigenschaften, die der Mutter an ihrem Kind auffallen. Solche Namen besitzen unter den Eldar eine große Autorität, und werden, wie der Vater-Name oder der selbstgewählte als wahrer Name anerkannt. Es ist durchaus nicht unüblich, wie das Beispiel Fëanor belegt, dass jemand unter dem Namen bekannt wird, den ihm seine Mutter gegeben hat. Finwë, Fëanors Vater, nannte seinen ältesten Sohn zuerst Finwion, und als seine Talente sichtbar wurden, Curufinwë (geschickter Finwe). Fëanáro, Feuer-Geist, nannte Míriel Serinde vorausschauend ihren Sohn, bevor sie, von der Schwangerschaft mit ihm, zu Tode erschöpft, aus der Welt schied, und nach Lórien ging. Auf der Basis eines semantischen Feldes lässt sich der Eigenname Túrin als Meisterschaft (Sieg) [über] Herz [Stimmung; Gedanken] übersetzen, eine Fähigkeit, die es Túrin allerdings nicht gelang zu entwickeln.28 Die Szene, in der Túrin sich Glaurung gegenüber, in maßlosem Stolz, einen neuen Namen gibt, zeugt von seinem Willen, sein Schicksal magisch zu meistern, indem er auf ein Ritual der Eldar zurückgreift:

Da sprang Túrin plötzlich auf die Füsse, mied des Untiers verderblichen Blick, schwang sein Schwert hoch empor und rief: »Nein, von dieser Stunde an soll niemand mehr, solange ich lebe, mich Túrin nennen. Höre denn, daß ich mir einen neuen Namen geben will, und er soll Turambar sein!« [...] Als er diese Worte ausgesprochen hatte, machte er einen zweiten Ausfall gegen den Drachen, weil er tatsächlich glaubte, ihn zwingen zu können, ihn töten und sein Schicksal mit dem Tode zu besiegeln; [...].29

Ein prophetischer Name, den sich Túrin vor den Toren Nargothronds gibt, bedenkt man, dass es ihm in wichtigen Situationen nicht gelang, seine Impulse und Affekte zu kontrollieren. Stattdessen verließ er sich auf ein heroisches Ethos, ein Thema, mit dem Tolkien sich in seinem Essay The Homecoming of Beorhtnoth Beorhthelm ́s Son beschäftigt hat: dem Ofermod altenglischer Krieger, dem übermächtigen Stolz der Hybris,30 wie Byrhtnoth (bei Tolkien Beorhtnoth), dem Fürsten, der 911 in der Schlacht von Maldon seine Gefolgsleute in die Katastrophe führte, weil er dem überlegenden Gegner nicht weichen wollte.31 Dieser übermäßige Stolz, den er an Beowulf, Byrhtnoth und Túrin kritisierte, ist das Leitmotiv der Túrin-Saga. Diese Spannung zwischen Tapferkeit (Mut) und Tollkühnheit charakterisiert das altgermanische Krieger- und Heldenethos, den tragischen furor teutonicus. Für Tolkien äußerte sich dieser northern heroic spirit, dieser heroic-chivalric character, in Beowulfs Verlangen nach Ruhm und Ehre, die ihn Grendel unbewaffnet, und dem Drachen mit wenigen Kriegern gegenübertreten ließen. Für Tolkien ist der Beowulf, sowie seine eigene Túrin-Saga, in der der Held zuletzt allein im Kampf mit Glaurung ist, only a legend of excess:32

Yet this element of pride, in the form of desire for honour and glory, in life and after death, tends to grow, to become a chief motive, driving a man beyond the bleak heroic necessity to excess – to chivalry. ́Excess ́ certainly, even if it be approved by contemporary opinion, when it not only goes beyond need and duty, but interferes with it.33

Durch Túrins Biographie, wie durch die seiner Verwandten Kullervo und Grettis, zieht sich eine Spur von Gewalttaten, die alle drei aus dem Affekt begehen. Túrin erschlägt im unbeherrschten Zorn Saeros, einen Gefolgsmann von Thingol in Doriath, und später den Eindringling Brodda, enttäuscht darüber, weder Mutter noch Schwester in der früheren Heimat Dor-lómin anzutreffen:

Er ergriff Brodda und mit der Kraft, die ihm Qual und Zorn verliehen, hob er ihn in die Höhe und schüttelte ihn wie einen Hund. [...] Mit diesen Worten schleuderte er Brodda mit dem Kopf voran über den eigenen Tisch, so daß er genau in das Gesicht eines Ostlings flog, der aufstand, um Túrin anzugreifen. Bei diesem Sturz brach sich Brodda das Genick; und Túrin sprang hinterdrein und erschlug drei weitere Männer, die sich duckten, weil sie waffenlos waren.34

Zuviel Unbeherrschtheit und Stolz (Hybris), zuwenig Angst, Furcht und Beherrschung der eigenen Impulse kennzeichnet den Charakter Túrins, dessen Über-Mut (heroic excess) nur ungenügend abgegrenzt ist. Túrin ist ein Mann, der seine Gefühle als Passiones erlebt, die ihn als in der Luft liegende Atmosphären ergreifen, ihn zu einem willenlosen Spielball machen. In der altenglischen Dichtung finden sich nur zwei Beispiele, die diesen destruktiven Stolz thematisieren: der erwähnte Fürst Byrhtnoth und der gefallene Engels Luzifer. Aus der Perspektive christlicher Ethik formuliert Tolkien in den genannten Texten eine scharfe Kritik dieses Heldentums, das andere mit ins Verderben reißt: Beorhtnoth nimmt in seinem ihn überwältigenden Stolz seine loyalen Gefolgsleute (ae. heorðgenēat) mit in den Tod; Túrin erschlägt in maßlosem Stolz Saedos, legt sich ein selbstgewähltes Exil als Gesetzloser auf, bricht das Gastfrieden in Broddas Halle, verweigert die Rückkehr nach Doriath, und veranlasst die Eldar von Nargothrond ihre Geheimhaltung zugunsten offener Kriegsführung aufzugeben, und eine Brücke über den Narog zu bauen, über die der Drache Einlass findet. Es ist aber nicht allein Morgoths Verfluchung, eine unheilvolle Macht (an. ófagnaðarkraftr) nach altnordischem Verständnis, die Túrin glücklos macht, es ist insbesondere seine Neigung zu rücksichtslosem Leichtsinn, die sein Schicksal besiegelt. Túrins Charakter gleicht darin nicht nur Kullervo, auch Grettis Biographie prägt diese Ambivalenz der unheilvollen Macht und des unmäßigen Charakters, die ihm personal in dem Wiedergänger Glamr begegnet, der ihn seiner Aggressiviät und Brutalität wegen verflucht:

Doch darin war mehr unheilvolle Macht [ófagnaðarkraftr] in Glam als in den meisten Wiedergängern, daß er folgendes sprach: „Viel Mühe hast du darauf verwandt, Grettir,“ sagte er, „mich zu treffen, und man wird nicht für verwunderlich halten, daß du nicht viel Glück hast bei mir. Aber das kann ich dir sagen, daß du erst die Hälfte von der Kraft und Reife erlangt hast, die dir vorherbestimmt war, wenn du mich nicht getroffen hättest; zwar kann ich dir die Kraft nicht wegnehmen, die du dir schon erworben hast, doch ich kann bewirken, daß du nie stärker wirst als du jetzt bist, und du bist dennoch stark genug, und das werden viele spüren. Du bist bisher berühmt geworden durch deine Taten, doch von jetzt an sollen dir Verbrechen und Mordtaten zufallen, und die allermeisten von deinen Taten werden sich dir in Mißgeschick und Unglück [hamingjuleysis ok ógæfu] wandeln. Du wirst für friedlos erklärt werden und immer allein draußen wohnen müssen. Außerdem verfluche ich dich dazu, daß du immer diese Augen vor dir siehst, wie ich sie habe, und da wird es dir schwerfallen, allein zu sein, und das wird dir den Tod bringen“.35

Túrins Begegnung mit dem Drachen erinnert frappierend an die alt-isländische Grettis saga, in der Glamr die Rolle Glaurungs spielt. In dem Spiel mit dem Eigennamen Túrin hat Tolkien in seiner Saga das altnordische Konzept von Glück (an. hamingja) und Unglück (an. ógæfa) thematisiert, und Túrins Persönlichkeit als die eines Unglücksmannes (an. ógæfumađr) geschildert, wie auch Grettis einer ist.36 Tolkien stattete seine Túrin-Saga mit viel Skeptizismus über das heroische Ethos des frühgeschichtlichen Nordeuropas aus. Richard C. West fasst prägnant zusammen:

A hero ́s valiant deeds are never without human cost even when they also benefit people, and may not do even that if undertaken rashly and without thought. [...] Túrin ́s story is Tolkien ́s speculation on the limits of heroism, and how the mightiest hero, who achieves feats at which everyone marvels, nevertheless needs human values.37

Tolkien muss wohl an einen Vers im Beowulf gedacht haben, in dem der Autor Wiglaf eine vergleichbare Kritik an Beowulfs Verhalten äußern lässt:

3077   „Oft sceall eorl monig  ānes willan
wræc ādrēg[an]
, [...].“
3077   „Often many earls    must suffer misery
through the will of one
, [...]".38

Túrin hielt es Lauf seines Leben einige Male für notwendig, seinen Namen zu verschweigen, und legte sich einen Alias-Namen zu. Diese Namen gehören zu den schon erwähnten zweiten, selbstgewählten Namen, die imaginativ erspürt werden, die Fähigkeit zur Lámatyávë vorausgesetzt. Im Verlauf des Lebens verändern sich aber Fähigkeiten und Talente oder Interessen; im Zusammenhang damit verändert sich, insbesondere bei Männern, auch die Begabung zur Lámatyávë. Nach seiner Flucht aus Menegroth nannte er sich den Gesetzlosen gegenüber, deren Anführer er ebenfalls erschlug, in narzzistischer Attitüde, Neithan, der Beraubte (der Gekränkte). Als er mit Beleg zusammen Orks jagte, und die Straßen im nördlichen Beleriand sicherte, gab er sich den Namen Gorthol, Schreckenshelm, und nachdem er versehentlich Beleg erschlug, der ihn aus der Gefangenschaft der Orks befreite, nannte er sich in Erinnerung an den geliebten Freund, Agarwaen, der Blutbefleckte. Als er Glaurung Auge in Auge gegenüberstand, und dieser ihn schließlich aus seinem Bann entließ, gab er sich den für ihn wohl problematischsten Namen. In maßloser Selbstüberschätzung nannte er sich, vermeintlich über Glaurung triumphierend, Turambar, Meister des Schicksals.39
Die Túrin von Außenstehenden zugewiesenen Namen zählen nur dann zu seinen wahren Namen, wenn er sich mit diesen identifiziert. Es kommt aber selten vor, dass diese Namen in den vollständigen Titel aufgenommen werden, wie beispielsweise Telconcar im Herrn der Ringe für Aragorn. Ebenfalls zu einem Titel Túrins wurde der ihm zu Lebzeiten von den Eldar Nargothronds gegebene Name Mormakil, Schwarzschwert, ein Ehrenname, der auf seine Verdienste bei der Vertreibung der Orks nach Norden anspielt, besonders auf das Schwert, das er dabei benutzte.40 Der zweite Ehrenname Túrins, Dagnir Glaurunga (Glaurungs Verderber), den er posthum erhielt, erinnert an seinen Pyrrhos-Sieg über den Drachen Glaurung, und ist als Epitaph in seinen Grabstein eingemeißelt.41

* * *

Die Erörterung der Namen eines seiner berühmtesten Helden des Ersten Zeitalters wirft ein Licht auf Tolkiens eigene Lámatyávë-Fähigkeit sprach-schöpfend zu arbeiten, Orts-und Personennamen zu imaginieren, die seine Geschichten verursachten. Tolkien selbst glaubte an diese sprach-schöpfende Fähigkeit (tyávë beziehungsweise lámatyávë). Er besaß einen beinahe mystisch anmutenden Glauben an die untrennbare Beziehung zwischen Sprache und menschlichem Bewusstsein, war zutiefst davon überzeugt, dass Sprache und Kultur identisch seien. In English and Welsh, seinem Oxforder McDonnell-Vortrag von 1955, sprach er davon, dass Sprache auf unsere gesamte psycho-physische Konstitution bezogen ist:

I will at any rate say that language – and more so as expression than as communication – is a natural product of our humanity. But it is therefore also a product of our individuality. We each have our own personal linguistic potential: we each have a native language. But that is not the language that we speak, our cradle-tongue, the first-learned. Linguistically we all wear ready-made clothes, and our native language comes seldom to expression, save perhaps by pulling at the ready-made till it sits a little easier. But though it may be buried, it is never wholly extinguished, and contact with other languages may stir it deeply.42

Diese Freude an Wortschöpfung und spachlich elaboriertem Ausdruck zeichnet Tolkiens gesamtes Werk aus. Und um die von ihm erfundenen Sprachen und Wörter errichtete er seine fiktionale Mythologie, indem er aus der nordischen Mythologie und Sagaliteratur schöpfte, die seine Fantasie von Kindheit an beflügelte. Richard C. West meint, the game of source hunting is one in which certainty is difficult to attain43 und Tolkien selbst hat sicherlich nicht gewusst, welche Werke sein Schaffen unbewusst beeinflusst haben. Doch die wichtigsten seiner Quellen lassen sich mit Sicherheit ausmachen: Beowulf, Edda, Kalevala (besonders die Kullervo-Episode), die mittelalterliche isländische Sagaliteratur (Íslendinga-, Fornaldar- und Ridarrasögur), die Gesta Danorum des Saxo Grammaticus, das walisische Mabinogion (vor allem die Saga von Kilhwch und Olwen), die Mythen und Legenden des Artus-Kreises (besonders Gawain und der Grüne Ritter), die Völsunga saga und das Nibelungenlied sowie die Überlieferungen um die germanischen und keltischen Helden Sigmundr, Sígny, Sigurd, Parzival, Finn McCumail, CúChulain, Merlin und Gamelyn, um nur einige Einflüsse zu nennen.
Die Phantastik (Fantasy) hat die Mythologie endgültig abgelöst, soviel ist sicher. In der deutschen Literatur-Szene ist sie spätestens Ende der 1960er Jahre zu einem populären und erfolgreichen Genre des Buchhandels geworden. Inzwischen erwartet jeder Buchladen den Leser mit einer Abteilung, mindestens aber einem Regal, phantastischer Literatur: Science Fiction, Fantasy, Utopien beziehungsweise Dystopien. Doch hat die Phantastische Literatur die Mythologie wirklich abgelöst? Das Bedürfnis des postmodernen Menschen nach Phantastik, einer seinen von dürren Fakten geprägten Alltag begleitenden Fiktion, die die Grenzen seiner Realität transzendiert, war schon immer eins der menschlichen Grundbedürfnisse (baisc need), gleichgültig ob als Religion, Mythologie oder Literatur. Inneres Bilderschöpfen war ihm schon immer zu eigen, auf Worten aufbauend, die auf der Grundlage kollektiver Archetypen ruhen. Die Produktion von parallelen Realitäten, die schon immer Mythologie genannt wurde. Das Erzählen und Überliefern von Mythen ist vom Ursprung her eine orale Tätigkeit, Mund, Mouth und Mythos sind Derivate einer gemeinsamen indoeuropäischen Wurzel. Literatur ist dem Wortsinn nach Schriftkunst (literatura, Buchstabenschrift). Ein bedenkenlos vernachlässigbarer Unterschied, geht es in diesem Zusammenhang doch um deren Funktion für den Hörer oder Leser, und das heißt auch, um die Inhalte der Gattungen Zweitschöfpung und Mythologie. Das erklärte Programm von Mythologie und Phantastischer Literatur besteht in der Konstruktion von Sekundärwelten, im Nebenschöpfertum des Dichters, wie Tolkien es verstanden hat.44 Diesem Ziel fühlte er sich verpflichtet. In seinem Essay Über Märchen hat er Konzept bereits 1939 unmissverständlich formuliert:

Um eine Sekundärwelt zu schaffen, in der die grüne Sonne glaubhaft ist, nämlich einen Sekundärglauben erzwingt, bedarf es vermutlich einiger Mühe und Überlegung, gewiß aber einer besonderen Fertigkeit, einer Art Elbenkunst. Nur selten wird so Schwieriges überhaupt versucht. Wird es aber versucht und gelingt auch nur einigermaßen, so erleben wir etwas höchst Seltenes: die Kunst des Erzählens, des Geschichtenerfindens in ihrer ursprünglichsten und mächtigsten Form. [...] Verzauberung erschafft eine Sekundärwelt, in die sowohl Schöpfer als auch Betrachter eintreten können, zur Zufriedenheit ihrer Sinne, solange sie darinnen sind; in ihre reinsten Form aber ist Verzauberung nach Zweck und Bestreben eine Kunst.45

Der Mensch als Nebenschöpfer (sub-creator), wie Tolkien es in seinem Gedicht Mythopoeia ausdrückte, das er für C.S. Lewis schrieb, war für ihn die willentliche Umsetzung des Unglaubens an Realitäten, die der menschlichen Wahrnehmung nicht unmittelbar gegeben sind:

Eigentlich geschieht vielmehr dies, daß sich der Geschichtenerfinder als ein erfolgreicher „Zweitschöpfer“ erweist. Er schafft eine Sekundärwelt, die unser Geist betreten kann. Darinnen ist „wahr“, was er erzählt: Es stimmt mit den Gesetzen jener Welt überein. Daher glauben wir es, solange wir uns gewissermaßen darinnen befinden. Sobald Unglaube aufkommt, ist der Bann gebrochen; der Zauber, oder vielmehr die Kunst, hat versagt. Und dann sind wir wieder in der Primärwelt und betrachten die kleine, misslungene Sekundärwelt von außen.46

Tolkien bekleidet den Rang eines Diskursivitätsbegründers: Er ist ein Autor, der nicht nur seine eigenen Werke produziert hat, sondern durch seine Texte die Möglichkeit und die Bildungsgesetze für andere Texte schuf.47 Roland Barthes unterscheidet zwischen dem Schriftsteller (écrivain), der ein Werk hervorbringt, und dem Schreiber (écrivant), der einen Text produziert.48 Tolkien, das lässt sich nicht mehr leugnen, setzte neue und radikale Diskurskategorien, in denen sich seitdem andere bewegen. Roland Barthes fand zu einem Kompromiss, weil er die charakteristische Gestalt des 20. Jahrhunderts als Schriftsteller-Schreiber bezeichnet, den professionellen Intellektuellen, der zwischen alternativen Wünschen gefangen ist: einerseits eine bezaubernde verbale Welt zu schaffen, in das einzugehen, was er als das Theater der Sprache bezeichnet; anderseits Tatsachen und Vorstellungen mitzuteilen, Handel mit Informationen zu treiben, und bald dem einen, bald dem anderen Wunsch erliegt. Ließe sich Tolkiens schriftstellerische Intention besser charakterisieren? Die Wertschätzung Tolkiens als Begründer eines phantastisch-fiktionalen, imaginativen Diskurses ermöglichte erst die intensive Analyse seines Werkes durch die Literaturwissenschaft und Linguistik. Betrachtet man das gesamte Œuvre Tolkiens, so fallen zwei sich widersprechende narrative Ebenen auf:

  • einerseits die Gestaltung eines parallelen Universums, in dem sich seine fiktionale Mythologie, besser seine phantastischen Erzählungen, zutragen
  • andererseits aber eine lineare Abfolge von pseudohistorischen Ereignissen, über die in selbstverfassten (erfundenen) Jahrbüchern und Chroniken berichtet wird, die Tolkien als Quelle für seine Texte auswertet, die wiederum an überlieferten historischen und mythologischen Traditionen, Fragmenten und Abbreviationen anknüpfen, im Versuch, sie zu korrigieren, zu ergänzen und zuz erweitern.

In Über Märchen spricht Tolkien häufig von der Konstruktion von Sekundärwelten, die er als das zentrale narrative Mittel in Märchen und phantastischen Erzählungen bezeichnet. Doch: Sekundärwelten sind nicht immer Parallelwelten!

* * *

Eine Parallelwelt zu konstruieren, warfen ihm viele seiner Kritiker der etablierten Literaturwissenschaft vor, die sich an überkommenden Kriterien orientierten, und wenig bereit waren, sich auf den Bedarf und die Realität der Leser einzulassen. Tolkien lade sie mit seinen Erzählungen zur Flucht aus einem frustrierenden Alltag ein, so heißt es. Gegen diese nicht besonders gehaltvolle Kritik lassen sich zwei gewichtige Argumente anführen:

  • In seinem Werk ging es Tolkien nicht darum, eine Parallelwelt zu konstruieren, dieser Eindruck ist oberflächlich. Ihm schwebte vielmehr eine Mythologie für seine Heimat England vor, vergleichbar der Kalevala, wie sie Elias Lönnrot für Finnland schuf. Tolkien hatte den Anspruch, dass seine Mythologie im Verlauf von drei Zeitaltern in die frühgeschichtliche englische Geschichte einmünden sollte, das Vierte Zeitalter der Menschen, in Tolkiens Terminologie der Edain. Aus diesem Grund verstand Tolkien seinen fiktionalen Kosmos als mythologisch, der eine frühgeschichtliche Weltanschauung mit einer historischen sollte.
  • Im Prozess einer jahrzehntelangen Arbeit an den Erzählungen des The Book of Lost Tales, und dessen verschiedenen Nachfolgeversionen des The Silmarillion, verwendet Tolkien das Konzept des Elbenfreunds, eines Reisenden, dessen Funktion darin besteht, die Kluft zwischen Mythologie und Geschichte zu schließen, die eine in die andere überleitend. Diese Elbenfreude stellt Tolkien als Sammler und Bewahrer von verschwindenden Traditionen vor, die als Ethnographen tätig waren, um bedrohte Überlieferungen zu retten (der Eldar). Indigene Wissenschaftler, Linguisten und Historiker berichteten dieses Reisenden von ihren Überlieferungen, sprachen von antiken Schriften, über Geschichte und Kultur, die Tolkiens Elbenfreude, als Zeitreisende, wie in den Notion Club Papers, zusammengetrugen, übersetzten und kommentierten. Tolkiens Elbenfreunde verbinden die unterschiedlichen Kulturen in der Erzählerperspektive vergangenen Epochen ihrer Welt. Als Zeitreisende, obwohl dies bei Tolkien nicht sehr deutlich ausformuliert ist, wechseln sie aus dem frühgeschichtlichen Britannien (Luthany, später Leithian) ins mythologische Mittelerde, als eine historische Periode ihrer eigenen Geschichte.

Die beiden Thesen enthalten den Kern der Idee von Tolkiens fiktionaler Mythologie, die keine Parallelwelt, und trotz widersprüchlicher Bemerkungen, auch keine Sekundärwelt ist. Sie ist eher als frühere Epoche der eigenen Geschichte angelegt, als Mythologie für England. Unter der Voraussetzung dieser beiden Argumente ist die Parallelwelt, die Tolkien immer wieder vorgeworfen wird, keine wirkliche, da es sich allenfalls um secondary planes and degrees seiner eigenen Geschichte handelt, die in den Notion Club Papers diskutiert werden. Seine Methode ist mit der der antiken Mythologien vergleichbar, die dem modernen Rezipienten oft wie phantastische Erzählungen erscheinen, auf der innerpsychischen Ebene der kollektiven Archetypen aber psychische Realität besitzen; das Material, aus dem Kunst in allen Zeiten schöpfte. Da Tolkien dieses Material für seine Zwecke nicht verfügbar war, erfand er es in seinen Jahrbüchern und Chroniken selbst. Was dem modernen Menschen phantastisch erscheint, war den Alten alltägliche Wirklichkeit, die ihnen Orientierung und Identität vermittelte. Wenn die Mythologie die Psychologie der Antike war, dann ist die Phantastik die Mythologie der Postmoderne.49

In den gleichen Zusammenhang gehört eine andere irreführende Behauptung: Tolkien habe seine Erzählungen, insbesondere The Silmarillion, nicht beenden können. Er verfolgte die Idee einer Mythologie, nicht die Produktion unlebendig gewordener, abgeschlossener Texte. Ihm schwebte eine lebendige narrative Tradition vor, der oralen Tradition schriftloser Völker vergleichbar, die sich im Prozess des Erzählens entwickelt, die immer neu und anders erzählt wird, entsprechend einer sich verändernden kulturspezifischen Weltanschauung. Wieder sind es Tolkiens Elbenfreunde, allen voran Eriol und Ælfwine, die als Hörer, Sammler, Übersetzer, Redakteure und Herausgeber der mythischen Überlieferungen der Elben (Eldar) in Tolkiens Werk auftreten.50
Sein antiker Stil diente Tolkien dazu, seiner Götter- und Heldenmythologie in The Book of Lost Tales eine altertümlich klingende Form zu geben, mit der er an die Anglo-Saxon-Chronicle anknüpfen konnte. Diesen Stil benutzte er besonders in seiner frühen Schaffensperiode, aber er verwendete ihn auch dann, wenn er Texte oder Dokumente produzierte, die urspünglich von den Eldar geschrieben wurden, wie die Texte des Pengoloð-Ælfwine-Diskurses. Dieser Stil war besser dazu geeignet, epische Erzählungen als philosophische Essays zu verfassen, wie eben sein Text Dangweth Pengoloð.51
Die Sagas in The Book of Lost Tales sind größtenteils epische Erzählungen, für die dieser Stil angemessen ist. Sie sind lebensnah und lebendig geschrieben, eine Qualität, die dem annalistischen Stil von Tolkiens Chroniken und Jahrbüchern meist fehlt. Die Erzählungen in The Book of Lost Tales sind nicht so sehr von echter Tragik gekennzeichnet. Sie sind mehr eine Sammlung von Märchen (Fairy Stories), in freier, ausdehnend fantastischer Präsentation, anders als die späteren Versionen des gleichen Stoffes in The Silmarillion. Der beeindruckte Leser des Silmarillion steht den Versionen der Sagas der Verschollenen Geschichten daher eher skeptisch gegenüber.
1925-1926 unterzog Tolkien den narrativen Rahmen dieser Geschichten einer größeren Überarbeitung. Eriol wurde zu einem Menschen des 5. Jahrhunderts, während das Notizbuch C noch davon ausging, dass viele Zeitalter vergingen, bevor Tol Eressëa was drawn back to the Great Lands for the Faring Forth.52 Um aber ein kohärenteres Zeitschema zu erhalten, wurde Eriol schließlich zu Ælfwine, ein Mensch aus dem Wessex des 11. Jahrhunderts, der von Britannien aus nach Tol Eressëa segelte (nun verschiedene Orte in Tolkiens Geographie), wo er die Mythen der Eldar hörte und aufzeichnete. Der Faring Forth ist nun der ursprüngliche Marsch der Eldar von Kôr in die Great Lands, und nicht mehr the drawing of Tol Eressëa zurück nach Osten.53 In dieser Überarbeitung suchen die Eldar der Great Lands Zuflucht in Luthany (Britannien), und es herrscht Freundschaft zwischen den Eldar und den eindringenden Ingwaiwar, Tolkiens kollektive ethnische Bezeichnung für Angeln, Sachsen, Jüten und Friesen. Im Verlauf dieser Migration nach Luthany ziehen viele Eldar westwärts nach Tol Eressëa. Von denjenigen, die die Sprache der Ingwaiwar sprechen, erhält Ælfwine die mythischen Überlieferungen der Eldar. Die Bezeichnung Faring Forth behält jedoch ihre prophetische Bedeutung hinsichtlich der Zeit, wenn die Eldar Luthany zurückerobern, und die magischen Bäume wieder neu pflanzen.54
Die zusammenhängenden Texte, The History of Eriol und Ælfwine of England, entstanden 1920. Sie zeichnen die Geschichte von Ælfwine nach, bis zu seinem Eintauchen ins Meer in Sichtweite der Einsamen Insel. Christopher Tolkien geht davon aus, dass mit dieser Erzählung eine Aktualisierung der Verschollenen Geschichten geplant war, da einzelne Entwürfe bis in das Jahr 1920 zurückgehen, als Tolkien schon eine Überarbeitung der Eriol-Erzählung vorschwebte.55 Die Erzählung enthält in der Beschreibung der Insel Eneadur bereits Hinweise auf Númenor und den Kataklysmus, der den Ältersten Tagen ein Ende setzte, und in the warfare of the Gods56 zur Trennung von Irland und Britannien führte. Ein deutlicher Hinweis, wie schwierig es Tolkien gefallen sein muss, die Britischen Inseln in den geographischen Rahmen seiner Mythologie einzufügen, der durch das frühere Konzept der Verschollenen Geschichten präfiguriert war.
Zwischen 1925 und 1931 schrieb Tolkien ein alliterierendes Gedicht, The Lay of Leithian,57 nachdem er die Arbeit am Lay of Húrin endgültig eingestellt hatte. Auch hier findet sich kein Hinweis auf Ælfwine; weder als Autor noch als Herausgeber, obwohl die früheste Version eine bemerkenswerte Anspielung enthält: from England unto Eglamar / on rock and dune and sandy bar.58 Die beiden Jahrbücher, The Annals of Valinor sowie The Annals of Beleriand, dienten dem Zweck, den Ereignissen, von denen Tolkiens Mythologie berichtete, eine konsistente Chronologie zu verleihen: von der Schöpfung bis zum Letzten Krieg gegen Morgoth versah er alle Ereignisse mit einer absoluten Jahreszahl. Der Autor dieser Jahrbücher war Pengelod der Weise aus Tol Eressëa. Eingesehen und übersetzt wurden sie von Eriol of Leithian, - that is Ælfwine of the Angelcynn.59 Anhänge belegen, dass der erste Teil der Annals of Valinor, von Mandos Warnung hinsichtlich der Taten Fëanors und dem Auszug großer Teile der Noldor aus Valinor, von Rúmil verfasst wurden, dem Elfsage of Valinor.60 Auch in dieser kreativen Phase spielt Ælfwine seine Rolle, diesmal ein Engländer des 10. Jahrhunderts, und als Vater von Eadwine. In darauf bezogenen Notizen heißt es:

But this would do best of all for introduction to the Lost Tales: How Ælfwine sailed the Straight Road. [...] So he comes to Eressëa and is told the Lost Tales.61

Die Ælfwine-Notizen geben die Überlieferungssituation, die Tolkien für die Verschollenen Geschichten und die Quenta Silmarillion-Versionen vorschwebte, exakt an: die alten Eldarsagas und -lieder wurden im sogenannten Golden Book überliefert, aus dem Rúmil schöpfte. Auf Rúmil selbst gehen Versionen der Jahrbücher Valinors und die philologische Studie der Lhammas zurück. Pengolod nutzte diese Quellen dann dazu, um eine Standardausgabe der Eldarsagas anzufertigen, die er anscheinend Quenta Silmarillion nannte. Außerdem beendete er die Jahrbücher Valinors und schrieb zusätzlich die Annals of Beleriand, als eine Fortsetzung der Valinor-Jahrbücher, die die fiktive Geschichte der Eldar im Exil in Beleriand enthält. Eriol-Ælfwine, der als einziger Sterblicher Tol Eressëa erreichte, stieß dort auf die Schriften Rúmils und Pengolods, vielleicht auch auf ein Exemplar des Goldenen Buchs, und übersetzte diese Schriften ins Altenglische. Da dieses Buch eng mit den Bewohnern von Tol Eressëa verbunden ist, lässt sich vermuten, dass es die großen Sagas Beleriands enthält, die die zurückgekehrten Eldar erzählten, und als ihre Geschichte bewahrten.
Auf einem Zettel, den Christopher Tolkien auswertete, fand sich folgende Angabe:

From the beginning of this history, the story of the Englishman Ælfwine, called Eriol, who links by his strange voyage the vanished world of the Elves with the lives of later men, has constantly appeared. So in the last words of the Qenta Noldorinwa [ 62 ] it is said: To men of the race of Eärendel have they [the tales of the Quenta] at times been told, and most to Eriol, who alone of the mortals of later days, and yet now long ago, sailed to the Lonely Isle, and came back to the land of Leithian [Britain] where he lived, and remembered things that he had heard in far Cortirion, the city of the Elves in Tol Eressëa.63

Das narrative Konzept des Elbenfreunds, auf das sich Tolkien hier bezieht, sowie auf die Identität von Eriol und Ælfwine, als Vermittler zwischen den secondary planes or degrees, den unterschiedlichen Dimensionen von Geschichte und Mythologie, die nur in der Imaginationsfähigkeit der Menschen glaubwürdig zusammenfließen, wurde bereits angedeutet. Als sein Opus magnum, Der Herr der Ringe, zwischen 1954 und 1955 vom Verlag George Allen und Unwin erstmals publiziert wurde, waren die Kritiker wenig erfreut über einen Roman, von dem der Times Literary Support schrieb, dass es kein Werk ist, dass kein Erwachsener mehr als einmal liest (25. November 1955). Als Quatsch (balderdash) bezeichnet, behauptete Edmund Wilson am 14. April 1956 in The Nation, der Erfolg des Herr der Ringe sei nur so zu erklären, dass gewisse Leute einen lebenslangen Appetit auf kindischen Schund (juvenile trash) hätten.64
Tolkien konnte die Ablehnung seiner fiktionalen Mythographie noch nicht ahnen, als er in seinem Beowulf-Essay die Kritiker dieses altenglischen Gedichts vorausschauend auf ihre Einseitigkeit hinwies. Er warf ihnen vor, einen akademisch-gelehrten Diskurs zu führen, ohne ihre Quellen gründlich genug zu kennen. Wie sehr Tolkien die negative Bewertung des Herrn der Ringe irritiert und verletzt hat, macht seine etwas unfaire Replik im Vorwort der Buchausgabe von 1966 deutlich, in dem er sich mit konfrontierendem Selbstbewusstsein gegen seine Kritiker abgrenzt:

Some who have read the book, or at any rate have reviewed it, have found it boring, absurd, or contemptible; and I have no cause to complain, since I similar opinions of their works, or of the kinds of writing that they evidently prefer.65

Unerwartet und unvorhersehbar erlebte das Werk J.R.R. Tolkiens am Anfang des 21. Jahrhunderts sein drittes Revival. Unsere Gesellschaft scheint einen immensen Bedarf an Archetypen zu haben, wie sie Tolkiens Erzählungen vorführen. Dies kann nicht als eine bloße Geschmacksverirrung eines Massenpublikums abgetan werden, um die sich literarisch Gebildete nicht kümmern müssen. Ein solches Phänomen, wie die Wirkung von Tolkiens Werk, will hinlänglich erklärt sein, stellt es doch mit erstaunlicher narrativer und wissenschaftlicher Kompetenz erneut die großen Menschheitsfragen, und dies auf eine im 21. Jahrhundert seltsam antiquiert und konservativ anmutende Weise. Fragen nach der Natur und dem Urspung des Bösen, nach den menschlichen Tugenden, der menschlichen Existenz generell, nach der kulturellen Relativität, nach dem Zusammenhang von Sprache, Mythos und Kultur, nach dem Tod und der Unsterblichkeit, die Tolkiens Figuren bewegen und auf die sie nach Antworten suchen. Insbesondere die letzte Frage stellt der Autor in seinem Werk immer wieder. Zeitlebens interessierte ihn die Frage nach der Bedeutung des Todes im Leben der Menschen, und deren Schicksal nach dem Tode, ein Motiv, das auch der später zu analysierenden Earendil-Erzählung sein übergeordnetes Thema gibt.
Tolkiens Schriften haben die Phantastische Literatur enorm befruchtet: Er schuf ein Werk, in dem man sich forschend wie in der Wirklichkeit bewegen kann. Dies scheint Tolkien selbst so aufgefasst zu haben, mit dem Resultat, dass er kein geschlossenes Gesamtwerk hinterlassen hat. Dafür sorgte erst sein jüngster Sohn Christopher. Einen großen Teil seiner Zweitschöpfungen hinterließ er fragmentarisch. Sein Wissen um die Unmöglichkeit, jemals alles sagen zu können, sein Werk abzuschließen, thematisierte er in der autobiographisch gefärbten Allegorie von Tüftler, der seinem Bild eines Baumes, lebenslang Blatt um Blatt zufügte, und der doch das Stadium des Fragmentarischen in einem einzigen Menschenleben nicht überwinden konnte. Ganzheit und Vollständigkeit gelangen Tüftler erst nach seinem Tod, in einer Art jenseitigem, von engelhaften Wesen regierten Paralleluniversum.
Tolkiens Sekundärwelt umfasst, wissenschaftlich betrachtet, die Möglichkeit, sie linguistisch, ethnologisch, geografisch, historisch, mythologisch, theologisch und philosophisch zu erforschen - sie ist ein offenes, fortschreitendes Werk, dem Christopher Tolkien ein zweites Menschenleben widmete, sein eigenes. An der tolkien`schen Diktion, dass eine in fantastischer Literatur geschaffene Sekundärwelt wissenschaftlich begründet sein muss, dass heißt: der wirklichen Realität so zu gleichen hat, dass man sie mit ihr verwechseln kann, messen sich heute seine Nachfolger. Wie er brillieren sie damit, eigens geschaffene Sprachen zu entwerfen, wenn auch nicht in der gleichen Perfektion und Ausgeformtheit, eine eigene Geografie, einschließlich der entsprechenden Landkarten zu erfinden, eine ethnologische Theorie vorzulegen, ihren Völkern, Rassen und Nationen eine eigene Geschichte zu geben, sie ihre eigenen theologischen und philosophischen Theorien von Weltschöpfung und Weltanschauung diskutieren zu lassen. Das Heer der Epigonen zählt ins Unüberschaubare, ob literarisch, belletristisch oder trivial. Was Ende der 1960er Jahre in Deutschland mit den beiden ersten Reihen Phantastischer Literatur, der Blibliotheca Dracula des Hanser Verlags oder der Bibliothek des Hauses Usher, des Insel Verlags, begann, ist heute Zeitgeist-Doktrin und weltweit unverzichtbarer Bestandteil eines Millionenpublikums geworden.

Anmerkungen

1 Zitiert in: Humphrey Carpenter, J.R.R. Tolkien. Eine Biographie, Stuttgart, 1979:170 [Biographie].
2 J.R.R. Tolkien, The Notion Club Papers, in: The History of Middle-Earth, Volume IX, edited by Christopher Tolkien, London, 1993:227-228 [HME, IX].
3 J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe, aus dem Englischen von Wolfgang Krege, Stuttgart, 2001:102 [HdR, Krege]: The Wide World is all about it. You can fence yourself in, but you have no means of fencing it out (J.R.R. Tolkien, The Return of the Shadow, in: The History of Middle-Earth, Volume VI, edited by Christopher Tolkien, London, 1994:63 [HME, VI]).
4 Und noch ein drittes spielt eine Rolle: der Wunsch, eine Mythologie für England schaffen zu wollen. [...] eine Sammlung von mehr oder weniger zusammenhängenden Legenden zu schaffen, die von den großen kosmogonischen bis hin zu den romantischen Märchen reichen sollten – die größeren auf den kleineren gründend, in Berührung mit der Erde, die kleineren um den Glanz des weiten Hintergrundes bereichert – ein Werk, das ich einfach England widmen könnte, meinem Lande [Carpenter, Biographie, 2001:109-110].
5 Doch daß »Diskursivitätsbegründer«, wie er [Foucault] sie passend nennt – Autoren, die nicht nur ihre eigenen Werke produziert haben, sondern die, indem sie ihre eigenen Werke produzierten, »noch mehr geschaffen [haben]: die Möglichkeit und die Bildungsgesetze für andere Texte«, von entscheidender Bedeutung nicht nur für die Entwicklung intellektueller Disziplinen, sondern für ihr eigentliches Wesen sind, ist eine Aussage, die, einmal gemacht, eine absolute Selbstverständlichkeit darstellt. »Freud ist nicht einfach der Autor der Traumdeutung oder des Witzes; Marx ist nicht einfach der Autor des Manifests oder des Kapitals: sie haben eine unbegrenzte Möglichkeit zum Diskurs geschaffen«. (Clifford Geertz, Die künstlichen Wilden. Der Anthropologe als Schriftsteller, Frankfurt a.M., 1993:25 [Die künstlichen Wilden]). Für den Begriff High Fantasy vgl.a. Herbert W. Jardner, High Fantasy. Eine Einleitung.
6 Vgl. dazu Herbert W. Jardner, Earendil-Studien, Teil 1 - 4.
7 Wortwurzel NAR2-; Q nyáre, nyarna, Erzählung, Geschichte, Saga; lúmenyáre, historische Erzählung; S naro, erzählen; trenarn, Erzählung, Geschichte, Saga, z.B. Narn í Hî Húrin, Die Saga der Kinder Húrins (J.R.R. Tolkien, The Etymologies, in: The History of Middle-Earth, Volume V: The Lost Road and Other Writings, edited by Christopher Tolkien, London, 1993:374 [HME, V].
8 Ebenda Earendil-Studien.
9 J.R.R. Tolkien, Über Märchen, in: Die Ungeheuer und ihre Kritiker, Gesammelte Aufsätze, Stuttgart, 1987:190 [Märchen].
10 J.R.R. Tolkien, Myth Transformed, in: The History of Middle-Earth, Volume X: Morgoth ́s Ring, edited by Christopher Tolkien, London, 1994:374 [HME, X].
11 J.R.R. Tolkien, Athrabeth Finrod ah Andreth, in: HME, X.301ff.
12 J.R.R. Tolkien, The Lhammas, in: HME, V.167ff.
13 Tolkien, HME, V:341ff.
14 J.R.R. Tolkien, Quendi and Eldar, in: The History of Middle-Earth, Volume XI: The War of the Jewels, edited by Christopher Tolkien, London, 1995:357ff. [HME, XI].
15 J.R.R. Tolkien, Laws and Customs Among the Eldar, HME, X.207ff.
16 J.R.R. Tolkien, The Silmarillion, edited by Christopher Tolkien, London, 1999 [SIL.engl]; Das Silmarillion, Stuttgart, 1999 [SIL.deutsch].
17 Jean Gebser, Ursprung und Gegenwart, Bd.1: Die Fundamente der aperspektivischen Welt, München, 1973:113 [Ursprung].
18 Gebser, Ursprung, 115-116.
19 Tolkien, Märchen, 180.
20 J.R.R. Tolkien, The Lord of the Rings [LOR], Part I: The Fellowship of the Ring [FR]; Part II: The Two Towers [TT]; Part III: The Return of the King [RK], London, 1999. J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe [HdR, Carroux], Band 1: Die Gefährten [G]; Band 2: Die Zwei Türme [ZT]; Band 3: Die Rückkehr des Königs [RdK], aus dem Englischen übersetzt von Margarete Carroux, Stuttgart, 1975.
21 Vgl. Patrick Curry, Modernity in Middle Earth, in: Joseph Pearce, Tolkien, A Celebration, Collected Writings on a Literary Legacy, San Francisco, 1999:34-39 [Celebration].
22 J.R.R. Tolkien, Briefe, herausgegeben von Humphrey Carpenter, Stuttgart, 1999:289, hier: Nr. 165. 23 Tolkien, Law and Custom, 1994:214 [HME, X].
24 Tolkien, Laws and Customs, [HME, X.215]. Wörtlich bedeutet dieses Kompositum Klang-Geschmack, eine Wortbildung, die Tolkien auf die fiktiven Wortwurzeln LAM- und KYAB- zurückführt. Derivate der ersten Wurzel sind láma, schallender Klang, Echo und lamma, Laut, Klang, der zweiten tyavin, ich schmecke, beziehungsweise tyáve, Geschmack, Vorliebe, im Quenya auch als eigenständiges Substantiv verwendet.
25 Tolkien, Etymologies, HME, V.367 sowie 366.
26 Bei den Eldar besitzt der Vater das Recht, den ersten Namen für ein neugeborenes Kind auszuwählen, und ihn während des Ritus der sozialen Geburt (essecarmë) den Verwandten zu präsentieren. Dieser Name bleibt zeitlebens unveränderbar; er liegt nicht in der Wahl des Individuums. Essecilmë und essecarmë sind Marker personaler Identität, da in diesem Ritaul der Name verliehen wird, der zum persönlichsten Besitz des Trägers wird.
27 Nur der Vatername muss öffentlich bestätigt werden. Wie dieser sind auch der mütterliche Anessi-Name und alle anderen, selbstgewählten und privaten Namen, wahre Namen und Teil des persönlichen Besitzes ihres Trägers. Selbstgewählte Namen did not abrogate the former names, und bleiben Bestandteil des vollständigen Titels des Trägers; sequence of all the names that had been aquired in the course of life (Tolkien, Laws and Customs, HME, X.215-216).
28 Wie Húrin seinen Sohn nannte, ist nicht überliefert, es sei denn, die Überlieferung seiner Biographie ist an dieser Stelle korrupt. Túrins Anessi-Name ist jedoch Programm einer außergewöhnlichen Persönlichkeit Mittelerdes, denn er offenbart das Schicksal dieses Heldens, das sich in konstituierenden Wortwurzeln offenbart: *tur-, Sieg, Macht; *id-, *idi, Herz, Begehren, Mut (Q indo, Herz, Stimmung, Laune; Q íre, Begehren; N. inn, ind, Meinung, Herz, innere Gedanken); *tūrē, Meisterschaft, Sieg (Q tūre; N. tûr).
Eine ergänzende Analyse der Túrin-Figur habe ich an anderer Stelle vorgelegt: Herbert W. Jardner, Túrin Turambar und Frodo Beutlin. Tolkiens Theorie des Muts.
29 J.R.R. Tolkien, Turambar und der Foalóke, in: Das Buch der verschollenen Geschichten, Bd.2, herausgegeben von Christopher Tolkien, Stuttgart, 1999:119 [VG, 2]; ebenfalls: The Book of Lost Tales, Part Two, The History of Middlle-Earth, Volume II, edited by Christopher Tolkien, London, 2002:86 [LT 2:119].
30 Ofermod: ae. mōd, Herz, Sinn, Geist, Seele; ne. mood, Stimmung (Laune); dt. Mut (Jardner, Theorie des Muts).
31 The Battle of Maldon, by E.V. Gordon, London, 1937. Ralph W.V. Elliott, Bryhtnoth and Hildebrand: A Study in Heroic Technique, in: Studies in Old English Literature in Honor of Arthur B.Brodeur, edited by Stanley B. Greenfield, New York, 1963:53-70.
32 J.R.R. Tolkien, The Homecoming of Beorhtnoth Beorhthelm ́s Son, in: Tree and Leaf, London, 2001:144-145 [Homecoming].
33 Tolkien, Homecoming, 144.
34 J.R.R. Tolkien, Narn I Hîn Húrin: Die Geschichte der Kinder Húrins, Nachrichten aus Mittelerde, Stuttgart, 2001:150-151 [NAM].
35 Die Grettis Saga. Die Saga von Grettir dem Starken, herausgegeben und aus dem Altisländischen übersetzt von Hubert Seelow, München, 1998, Kap. 35:97-98.
36 Vgl. Jan de Vries, Altnordische Literaturgeschichte 2, Berlin:1999:410.
37 Richard C. West, Túrin ́s Ofermod. An Old-English Theme in the Development of the Story of Túrin, in: Verlyn Flieger and Carl F. Hostetter, Tolkien ́s Legendarium, Essays on The History of Middle-Earth, London, 2000:244 [Legendarium].
38 Beowulf 3077-3078, Translated and with an Introduction and Commentary by Howell D. Chickering, Jr., New York, 1977:234-235.
39 Nach einer anderen Quelle soll Turambar auch Meister des Dunklen Schattens bedeuten (NAM.172). Q. Turumart, Túrumarth (vgl. TUR-, power, control, mastery, victory (Tolkien, Etymologies, HME, V:395).
40 Vgl. Tolkien, Turambar und der Foalóke, VG, 2.115.
41 Tolkien, NAM.201.
42 Zitiert in Verlyn Flieger, A Question of Time. J.R.R. Tolkien ́s Road to Faërie, The Kent State University Press, Kent, 1997:3-4.
43 West, Túrin´s Ofermod, Legendarium, 2000:238.
44 Tolkien, Märchen, 141-208; vgl. a. Carpenter, Biographie, 170 sowie 219.
45 Tolkien, Märchen, 180 und 183-184.
46 Tolkien, Märchen, 170.
47 Michel Foucault, Was ist ein Autor? in: Schriften zur Literatur, München, 1974:7-31, hier:19; s.a. oben, Anm. 5.
48 Roland Barthes, Schriftsteller und Schreiber, in: Literatur oder Geschichte, Frankfurt a.M., 1969:44-53.
49 Der erste Teil des Aphorismus ist zitiert nach Uvo Hölscher; die Erweiterung stammt von mir.
50 Vgl. insbesondere Verlyn Flieger, The Footsteps of Ælfwine, Legendarium:183-198.
51 Tolkien, HME, XII.395-402.
52 Tolkien, HME, I.23-24; II.283. Siehe auch: J.R.R. Tolkien, The Book of Lost Tales, Part One, in: The History of Middle-Earth, Volume I, edited by Christopher Tolkien, London, 2002:23-24 [HME, I].
53 Tolkien, HME, II.302.
54 Tolkien, HME, II.307.
55 Tolkien, HME, II.312-322.
56 Tolkien, HME, II.325; 323-324.
57 Tolkien, HME, III.150ff.
58 Tolkien, HME, III.182.
59 Tolkien, HME, IV.263.
60 Tolkien, HME, IV.271; 292.
61 Tolkien, HME, V.78.
62 Tolkien, HME, IV.165.
63 Tolkien, HME, IX.279-280.
64 Vgl. Tom A. Shippey, The Road to Middle-Earth, London, 1982:1 [Road].
65 Shippey, Road, 3.

Weiterlesen: Imaginationen einer Anderen Welt, Teil Zwei


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