Der letzte bedeutende Einfluss, den Tolkien für die Konzeption seiner Earendil-Gestalt nutzte, stammt aus William Morris Erzählungen The Earthly Paradise und The House of the Wolfings sowie aus dessen altnordischer Quelle, der Völsunga saga.1 Im Frühjahr 1914 gewann Tolkien den Skeat-Preis für Englisch, den sein College verlieh, und von diesem Gewinn kaufte er die erwähnten Morris-Bücher. Seine Begeisterung für William Morris führte zu Tolkiens ersten eigenen narrativen Experimenten: In dem schwer mit Archaismen und poetischen Wort Umstellungen überfrachteten Stil seines Vorbilds, im Bestreben, die Atmosphäre einer alten Mythe nachzudichten, gestaltete er die erst neuerdings unveröffentlichte Kullervo-Episode der finnischen Kalevala nach, eine Vers- und Prosa-Tragödie ganz im Sinne der Morris-Vorlage The House of the Wolfings. Die Geschichte des hapless Kullervos, eines vom Unglück verfolgten Mannes, der unwissentlich Inzest begeht und sich schließlich verzweifelt selbst in sein Schwert stürzt, wird zur Keimzelle, einer anderen der frühen Verschollenen Geschichten, der von Túrin Turambar und seiner Schwester Niënor alias Niniël.2 Es ist gut vorstellbar, auf welche Weise diese Meilensteine phantastischer Literatur die Fantasie und Imaginationskraft des jungen Tolkien entzündet haben muss.
Mittwoch, 29. November 2023
Samstag, 18. November 2023
Altgermanische Katasterisationen
Während der altenglische Éarendel bereits zu der Engel glänzendster, zum sicher-wahren Strahl der Sonne geworden ist, schildert die altnordische Aurvandillr-Mythe den Augenblick der Katasterisation eines mythischen Helden, greift damit zu einem wahrhaft universellen mythologischen Motiv. Die altnordische Variante ist lediglich als Mythenabbrevation überliefert, ein Fragment, dem Kontext und Erklärung fehlen. Auch der Versuch, benachbarte Texte und Traditionen zu befragen und so die Lücken zu schließen, verstrickt tief in mythisches Dunkel. Schließlich bleiben mehr Fragen offen als Antworten möglich werden: Der Mythos wahrt sein Geheimnis vor dem analytisch-rationalen Zugriff wissenschaftlicher Neugier.
Freitag, 3. November 2023
Die semantische Ambivalenz von altnordisch aurr
Die Namen Éarendel und Aurvandillr sind semantisch identisch, es sind die Namen einer bedeutenden mythischen Persönlichkeit in unterschiedlichem Sprachkostüm.
Die ersten etymologischen Bemühungen von Rudolf Much, der zuerst von an. aurr, Gold, ausging und als Bedeutung der glänzende Wandale (*Auza-wandilaz) vorschlug, brachte ihm viel Kritik, kaum aber wissenschaftliche Klarheit in das Aurvandillr-Problem ein.1 Semantisch einleuchtender ist dagegen Muchs spätere Deutung (1926), Lichtstreif, Lichtstrahl (an. aurr, Gold; an. –vandill zu vöndr, Stab), denn diese Deutung passt viel besser zu einer Astralmythe, die der Aurvandillr-Mythos schließlich suggeriert. Viel geklärt, da anfechtbar, war mit dieser Etymologie aber immer noch nichts.2 Tolkien könnte die etymologischen Spekulationen Muchs gekannt, vielleicht sogar geteilt haben, kreist doch sein Earendil um die Phänomene Glanz und Licht. Insbesondere die strahlende Qualität des Lichtes faszinierte Tolkien, wie Verlyn Fliegers Untersuchung belegt hat, die darauf hinweist, dass Tolkiens ganze Silmarillion-Mythologie auf der Spannung von Wort und Licht beruht.3
Muchs einseitige Priorisierung des altnordischen Lexems aurr als Reflex eines leuchtenden Phänomens, denn dahin zielen seine beiden Deutungen, ist nicht unproblematisch, denn aurr ist semantisch ambivalent.
Jan de Vries denkt im Zusammenhang mit an. aurr in erster lexikalischer Position an:4
- mit Stein untermischter Sand;
- Feuchtigkeit, Nässe.5
Mit dieser Bedeutung öffnet de Vries eine Tür, hinter der weitere mysteriöse Mythen warten, deren Interpretation ähnliche Schwierigkeiten machen wie die Aurvandillr-Episode. Eddische Dichtungen scheinen die von de Vries bevorzugte Bedeutung zu bestätigen. Gustav Neckel und Hans Kuhn geben aurr, nasse, schmutzige erde (Ghv.16, Rþ.10, Grt.16); auch bezeichnung der erde (Alv.10).5 In Völuspá 19 (Vsp) steht hvítaauri6 im Zusammenhang mit der Weltachse Yggdrasil, die von weißem nass7 benetzt wird, der als Tau in die Täler fällt. In der entsprechenden Strophe der Vsp. heißt es:
Donnerstag, 26. Oktober 2023
Earendil in der altgermanischen Kultur
[...] das Unvergleichliche des Mythos ist, dass er jederzeit wahr,
und, bei dichtester Gedrängtheit, für alle Zeiten unerschöpflich ist.
Richard Wagner
Auf einen dieser mysteriösen, ihn eigenartig berührenden Namen stieß Tolkien schon sehr früh, noch während seiner Tätigkeit als Hochschullehrer in Oxford (1913), im Zusammenhang seiner Studien altenglischer und altnordischer Sprachen an der Honour School of English Language and Literature. Verlyn Flieger fasst die Bedeutung dieses Moments für Tolkiens Werk in wenigen Worten zusammen, wenn sie auch darin irrt, dass Earendil the closest thing to a Christfigure in all of Tolkien´s fiction ist, eine Rolle, die auch Frodo Beutlin für sich in Anspruch nehmen kann:
No one familiar with Tolkien´s mythos could mistake the importance of the name Earendel or miss its pervasive presence deep in the fabric of his comology. [...] Earendel is, of course, the half-Elv half-Man savior figure from The Silmarillion who sailed his ship to Valinor in order to plead with the Valar for the rescue of Elves and Men. The resonance of the figure developed over time and underwent considerable change, yet he stands out as the closest thing to a Christfigure in all of Tolkien´s fiction.1
In ihrer Studie kommt Verlyn Flieger hinsichtlich der Herkunft des altenglischen Namens Éarendel und dessen Bedeutung für Tolkien zu einer eher pessimistischen Auffassung: But why the name itself was so important and what precisely it meant to Tolkien has never been made clear, perhaps even to him.2 Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist auch, diese Hypothese zu hinterfragen.
Mittwoch, 18. Oktober 2023
Earendil: Synopsis einer Märchensaga
Es war im Grunde der Anfang von Tolkiens Mythologie.
Humphrey Carpenter
Wie Humphrey Carpenter treffend bemerkt, legte die Persönlichkeit Earendils zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Keim für eine fiktive Mythologie. Earendil ist Tolkiens Figur, der die Rolle übernahm, die Nordische Traumzeit in einer miniaturisierten Eschatologie zu beenden.1 Vorbereitet durch die mythische Funktion Earendils übernehmen die Menschen, die Edain, die Herrschaft über Tolkiens Kosmos Mittelerde. Die unter den Sternen Mittelerdes, in Cuiviénen, an den Wassern des Erwachens, noch vor dem Aufgang von Sonne und Mond, erwachten Eldar (Elben), konnten die primordiale Schönheit der Sternennächte ihrer ersten Tage in den Großen Landen aber nie ganz vergessen. Sie gossen diese Sehnsucht, poetisch formuliert, in einen ihrer schönsten Segensgrüße: Aiya Earendil Elenion ancalima,2 durch den, einem geheimen Kode ähnlich, Mitglieder sozial und politisch verbündeter Kulturen einander erkennen. Earendil begegnet den Leser*innen des Herrn der Ringe zum ersten Mal in Band Eins, Elftes Kapitel von Die Gefährten: Aragorn erzählt den Hobbits, die am Fuß der Wetterspitze lagern, und von Furcht vor den Schwarzen Reitern ergriffen sind, aus den Geschichten der Ältesten Tagen Mittelerdes, und zitiert aus der Genealogie Berens:
Donnerstag, 5. Oktober 2023
Earendil: Mythos oder Märchensaga?
Ich weiß nicht mehr, wer gesagt hat, Schöpfung sei Erinnern.
Meine eigenen Erfahrungen, und das, was ich gelesen habe,
bleiben mir im Gedächtnis und bilden die Grundlage für
meine schöpferische Arbeit.
Aus dem Nichts heraus kann ich nichts schaffen.
Akira Kurosawa
Einleitung
Die Earendil-Saga gehört zu den Erzählungen der Älteren Tage (The Legends of the Elder Days), an denen John Ronald Reuel Tolkien lebenslang arbeitete. Diese Sammlung von mythischen Erzählungen und Sagas liegen in drei, im Detail doch sehr verschiedenen Sammlungen vor, die er immer wieder überarbeitet und revidiert, und so weiter entwickelt hat.1 Diese drei Sammlungen von fiktionalen Erzählungen wuchsen aus einer einzigen Wurzel, aus Tolkien Faszination und Begeisterung die altenglische und altnordische Literatur, generell für die altgermanischen Kulturen. Daneben beflügelte die Mythologie Finnlands, in Form der Kalevala-Edition von Elias Lönnrot, Tolkiens Fantasie, und beeinflusste sein Denken über Mythologie. In der Auseinandersetzung mit diesen frühgeschichtlichen, europäischen Kulturen verfasste Tolkien zwei Fassungen seiner Mythologie:
- die in zwei Bänden zuammengestellten Erzählungen in The Book of Lost Tales (dt. Das Buch der Verschollenen Geschichten), und
- die verschiedenen Versionen der Quenta Silmarillion, in denen er die Verschollenen Geschichten aufgriff und weiterentwickelte, ohne sie abschließen zu können.2
Mittwoch, 4. Oktober 2023
Das Antlitz Chirons
Die astrologische Reflexion einer archaischen Signatur
Leider bekommen wir in der Schule nur einen ganz
armseligen Begriff von dem Reichtum
und der ungeheueren Leichtigkeit
der griechischen Mythologie. All jene Gestaltungskraft,
die der moderne Mensch auf Wissenschaft und Technik verwendet,
hat der antike seiner
Mythologie gewidmet.
Carl Gustav Jung
Die Diskussion um den Kleinplaneten Chiron hat mittlerweile eine erstaunlich
naive Einseitigkeit erreicht, die sich weder mit dem Archetypus, den Chiron
eigentlich repräsentiert, noch mit den antiken Quellen und Mythologien
vereinbaren lässt.1 Nachdem Melanie Reinhart ihn zum verletzten Heiler
stilisierte,2 ist er durch die neueste Monographie der inflationär werdenden
Chiron-Literatur zur innerpsychischen Stimme eines fiktiven inneren Lehrers,3 gar zu einem Seelenführer,4 geworden. Während für die griechische und
römische Antike Hermes-Merkur die Rolle des Psychopomps ausfüllte, war ihnen
die Stimme des Gewissens ein palladisches Numen, personifiziert insbesondere
in der kopfgeborenen Tochter des Zeus, Pallas Athene, der römischen Minerva oder christlichen Sophia. Erst ein dekadentes, römisches
Sublimationsbedürfnis verwandelte den affektgeleiteten, triebhaften und wild-
archaischen Kentauren Chiron in die Gestalt, welche die moderne Astrologie
gerne in ihm sehen möchte: den kultivierten Philanthropen, Phytotherapeuten
und Menschenfreund, der in stoischer und bewundernswerter Gelassenheit die
ihm zugefügten Kränkungen und Verletzungen erduldet. Erst in dieser
Verfremdung, die kaum noch etwas mit Chirons Ursprung zu tun hat, taugt er
uns Nachgeborenen als eine Ikone, die hell am astrologischen Himmel des Jahrtausendwechsels
strahlt, um dem heutigen, zunehmend orientierungslos werdenden Menschen als
Projektionsfläche eigener traumatischer Befindlichkeit zu dienen.
Samstag, 29. April 2023
Hollywoods unzuverlässige Erzähler
Meine Studie über Hollywoods unzuverlässige Erzähler befasst sich mit einer speziellen Erzählinstanz des Films im 20. Jahrhundert, den aus der Literatur seit langem bekannten, unzuverlässigen Erzähler, der meist dafür sorgt, dass die filmische Erzählung, die er verantwortet, mit einem Plot-Twist endet. Die Analysen und Interpretationen dieser Studie verwenden Beispiele aus mehreren Filmen und setzen voraus, dass die Leser*innen diese Filme gesehen haben, oder nicht ansehen wollen. To spoil, (die Spannung oder den Spaß) verderben, bezeichnet eine Tendenz, entscheidende Motive oder Wendungen zu verraten, die in den sozialen Netzwerken mittlerweile um sich greift, obwohl kaum jemand vorher wissen will, wie eine Geschichte endet. Gerade in Erzählungen, die einen unzuverlässigen Erzähler und einen Plot-Twist verwenden, erweist sich ein Spoiler als perfider Spaßkiller, der, einmal losgelassen, sich wie ein Virus verbreitet und nicht abgewehrt werden kann. Deswegen meine Warnung zu Beginn der Lektüre: Vorsicht Spoiler!
Montag, 6. März 2023
Túrin und Frodo
Tolkiens Theorie des Muts
Weh nun, waltende Gottheit, Unheil geschieht
Hildebrandslied
Tolkien hat seine Theorie des Muts,1 neben der Earendil-Saga, noch in zwei weiteren seiner großen Erzählungen behandelt:
- in der Befreiung eines der Silmarilli aus Morgoths eisener Krone durch Beren und Lúthien;
- in der Vernichtung des Einen Ring durch Frodo Beutlin, Samweis Gamdschie und Gollum in den Klüften des Oroduin.
Wie Tolkiens Protagonisten ihre Suche bewältigen,2 ist Inhalt langer Geschichten von Licht und Finsternis, Menschlichkeit und Mut. Die Botschaft, die Tolkien in diesen Erzählungen verkündet, wurde bereits angedeutet: die Verleugnung der Niederlage und das Wissen, dass auch der unwahrscheinlichste Bote seinen Auftrag ausführt. Beren, Frodo und Earendil sind solche Boten, unbeirrbar und beharrlich, Protagonisten des Mutes, heroische Persönlichkeiten, die der Glaube an einen unbeugsamen Willen auch noch im Angesicht eines möglichen Scheiterns auszeichnet.3 Dieser Mut, sagt Tolkien in seinem Beowulf-Vortrag von 1936, sei der große Beitrag der frühen nordischen Literatur. Die Stärke der nordischen Mythenbildung liege gerade darin, dass sie die Ungeheuer ins Zentrum ihrer Überlieferung rückt. Sie
überläßt ihnen den Sieg ohne Ehre und findet eine starke, doch furchtbare Lösung im nackten Mut und Willen.4
Sonntag, 15. Januar 2023
Omenvögel und Psychic Birds - Fazit
Die Natur braucht uns nicht
aber wir brauchen die Natur.
Günter Eich
Die Beziehung des Waldläufers zu seiner natürlichen Umwelt ist durch seine psychiche Verbindung
zu seinen beiden Vögeln charakterisiert, die der von Babus Verbindung mit Juhut ähnelt. Wie Juhut
sind die beiden Aviar-Vögel Medium, das den Menschen an die Weisheit der Natur bindet. Was
Babu noch lernen muss, seine Sazsla selbstbestimmt zu lenken und zu kontrollieren, damit er ihre
Fähigkeiten zur Heilung der Welt nutzen kann, beherrscht Dusk von Beginn an.
Dusk steht einer anderen Herausforderung gegenüber als Babu. Seine beiden Aviar
repräsentieren externalisierte, psychische Anteile, deren Voraussicht Dusk sich freiwillig
untergeordnet hat. Er lässt sich von Kokerlii und Sak leiten, ohne gleichzeitig die Kontrolle an sie
abzugeben. Was Babu als einengend und unfrei empfindet, von einem Vogel beeinflusst zu werden,
nutzt Dusk als eine Stärke. Er kontrolliert die Vögel, die sich seinem Willen als Extension seines
Bewusstseins unterordnen. Muss Babu die Verbindung mit seiner Szasla erst mühsam erwerben,
besitzt Dusk seine beiden Aviar als eng mit seinem Bewusstsein verbundene Begleiter.
Auch mit den Sazlas kommt das ökologische Bewusstsein zurück in die bedrohte Welt. Sie
erscheinen zur Rettung einer fast zerstörten Welt, während Dusks Aviar ihm nur das Überleben in
der Natur ermöglichen; zu deren Rettung tragen sie nicht bei. Sie machen dem Menschen den
Zustand seiner Welt nur insoweit bewusst, als sie auf Kommendes hinweisen. Sie sind beide Helfer bei der Bewältigung einer Krise und eröffnen eine neue Perspektive:
Donnerstag, 12. Januar 2023
A Storm Of Swords
Achtung Spoiler!
Ein kommentierter Überblick
George R.R. Martin
A Storm Of Swords [ASOS], Vol.3: A Song Of Ice And Fire, 1998 [ASOIAF]
In der deutschen Übersetzung: Das Lied von Eis und Feuer [LEF] die beiden Halbbände:
Sturm der Schwerter, 2001 [LEF 3.1]
Die Königin der Drachen, 2002 [LEF 3.1]
Vorbemerkung
A Storm of Swords [ASOS] ist das dritte der sieben Bücher von Das Lied von Eis und Feuer, von denen bisher erst fünf Bücher publiziert sind. Der Publikation des dritten Bandes ging die Veröffentlichung der Erzählung Path of the Dragon (SF-Magazin Asimov´s Science Fiction, Dezember 2000; eine zweite Auflage in The Sword and Sorcery Anthology, David G. Hartwell und Jacob Weisman, Eds., San Francisco, 2012) voraus, die die Daenerys-Targaryen-Kapitel aus ASOS in einem eigenen Buch zusammengefasst erzählt.
A Clash Of Kings
Achtung Spoiler!
Ein kommentierter Überblick
George R.R. Martin
A Clash Of Kings [ACOK], Vol.2: A Song Of Ice And Fire, 1998 [ASOIAF]
In der deutschen Übersetzung Das Lied von Eis und Feuer [LEF] die beiden Halbbände:
Der Thron der Sieben Königreiche, 2000 [LEF 2.1]
Die Saat des goldenen Löwen, 2000 [LEF 2.2]
Vorbemerkung
A Clash of Kings [ACOK] ist das zweite der sieben Bücher von Das Lied von Eis und Feuer, von denen bisher erst fünf Bände publiziert sind. CloK erhielt, wie schon das erste Buch von Das Lied von Eis und Feuer, mehrere Auszeichnungen und Nominierungen:
- den Locus Award als bester Fantasyroman, 1999,
- eine Nebula Award-Nominierung als bester Roman, 2000 und
- den Ignotus Award als bester fremdsprachiger Roman, 2004.
Mittwoch, 11. Januar 2023
Die Kinder Húrins -Tolkien News 1
Often many earls must suffer misery through the will of one
Beowulf, 3077-3078
The Spear of Destiny sticking right through me
Nick Cave
Weh nun, waltende Gottheit, Unheil geschieht
Hildebrandslied
Eine Saga der Älteren Tage von J.R.R. Tolkien
1977 legte Christopher Tolkien postum die Kompilation Das Silamarillion vor, in dem er die Geschichten der Älteren Tage des Ersten Zeitalters seines Vaters neu auflegte.1
Die Sage von Túrin Turambar nimmt ihren Beginn im Anschluss an die Schlacht der Ungezählten Tränen. Der Prolog der Lays of the Children of Húrin streift die Niederlage von Maedhros Heer, berichtet von der Gefangennahme Húrins, von seiner Verschleppung nach Angband, seiner Standhaftigkeit sowie der Verfluchung seiner Familie durch Morgoth. Der Prolog beginnt mit den folgenden Versen:
Sieh! der gold´ne Drache des dunklen Gottes,
der Schatten der Wälder in der Welt, die schwand
der Kummer der Menschen, und die Klage der Elben
entweichte wohl sachte Waldwege entlang
nun ist zu erzählen, vom tränenreichen Namen,
von Níniel, der trauervollen und vom traurigsten Namen,
von Thalions Sohn Túrin vom Schicksal besiegt.2
Montag, 9. Januar 2023
Omenvögel und Psychic Birds - Teil Drei
Air, Fire, Earth and Water
Balance of Change
World on the Scales
[...]
Whilst all around our mother earth
Waits balanced on the scales
King Crimson58
Ökonomie contra Ökologie - Bewahrung contra Fortschritt
Auf den letzten Seiten des ersten Bandes von Zwölf Wasser ist das Thema der Trilogie bereits skizziert. E.L. Greiff liefert in ihrem Roman eine Zivilisationskritik, die der Menschheit bewusst macht, dass sie ihre Welt zerstört. In ihrer Version dieser Katastrophe stehen der hilflos auf ihren Untergang zusteuernden Menschheit Vögel zur Seite, die in ihr Bewusstsein eingreifen, ihnen helfen, sich den Irrweg, auf dem sie sich befinden, bewusst zu machen. In Zeiten der Krise wählen die Szaslas ihren Szasran aus, einen, durch den Ethik der die Alte Zeit spricht.
In der Darstellung des Vogeltopos in Zwölf Wasser klingt das eigentlich ökologische Anliegen dieses Roman erst allmählich an. Die Welt der Zwölf Wasser ist eine bedrohte Welt, die der Heilung bedarf.59 Erst am Ende des zweiten Bandes der Trilogie stürzt Babu, der Held der Erzählung, in eine spirituelle Krise, verstrickt im Kampf mit seinen innerpsychischen Konflikten, der Versuchung des Guten durch das Böse. Auf den letzten Seiten lassen die Leser*innen Babu resigniert zurück. Er droht zu scheitern, für seine Welt fatal. Die Problematik des in King Crimsons Ballade thematisierten balance of change, world on the scales ist auch das Thema von B. Sandersons Zwei-Personen-Novelle, Sixth of the Dusk, die im Vergleich zu E.L. Greiffs Trilogie fast wie ein Kammerspiel anmutet.
Sonntag, 8. Januar 2023
Omenvögel und Psychic Birds - Teil Zwei
Waren fast vergessen,
hätten auch vergessen bleiben sollen.
Die sind kein gutes Zeichen.
E.L. Greiff
Psychic Birds
Die Frage, ob Tiere ein Bewusstsein haben, ist vermutlich so alt wie die Domestizierung des Wolfs durch den Menschen im Paläolithikum. Postmoderne Fantasy-Erzähler thematisieren diese Frage
auf ihre Weise, indem sie die Beziehung ihrer Hauptfiguren zu Vögeln in den größeren
Zusammenhang ihrer Beziehung zu ihrer natürlichen Umwelt und ihrem kulturellen Überzeugungssystem stellen.
Nicht die dreiäugige Krähe des Grünsehers in G.R.R. Martins Romanzyklus Das Lied von Eis und Feuer markiert den Übergang in der Verwendung der Corviden (Corvidae). Sie
entwickeln sich bereits im Verlauf von seines Epos von einem Omenvogel zu einem Vogel, der
eine innige Beziehung zu einem Menschen eingeht. Dabei ändert er nicht seine bisherige Funktion für den Menschen, er öffnet ihm vielmehr die Augen für sein eigentliches Potential. Doch trotz anfänglicher Ähnlichkeit erweitert Martin den Vogeltopos im Lied von Eis und Feuer erst allmählich, was mit der Rolle zusammenhängt, die Magie in seiner Erzählung spielt.
Samstag, 7. Januar 2023
A Game Of Thrones
Achtung Spoiler!
Ein kommentierter Überblick
George R.R. Martin
A Game Of Throne [AGOT], Vol.1: A Song Of Ice And Fire, 1996 [ASOIAF]
In der deutschen Übersetzung: Das Lied von Eis und Feuer [LEF] die beiden Halbbände:
Die Herren von Winterfell, 1997 [LEF 1.1]
Das Erbe von Winterfell, 1998 [LEF 1.2]
Vorbemerkung
A Games of Thrones [AGOT] ist die erste von voraussichtlich sieben Teilen des Epos A Song Of Ice And Fire (ASOIAF), von denen bisher nur die ersten fünf Bände publiziert sind. ASOIAF ist eine mehrbändige epische Saga der realistic fantasy, in der eine dem europäischen Mittelalter nachempfundene Welt mit Figuren bevölkert ist, ein Spiegel der alltäglichen Lebenswelt der Leser*innen. Ursprünglich erzählte der Autor, George R.R. Martin (GRRM), seinen mehrbändigen Roman in zwei aufeinanderfolgenden Trilogien, deren narrative Grenze er irgendwo zwischen den Bänden A Storm Of Swords und A Feast For Crows plante. Inzwischen scheint es so, als ob die ursprüngliche Konzeption im Prozess des Schreibens von innen gesprengt wurde. GRRM entwickelte die Erzählung während des Schreibens kontinuierlich weiter und es gab lange Zeit keine Garantie, welche Entwicklungen die Figuren und welche Wendungen die Ereignisse zukünftig nehmen werden. Dies hat sich mittlerweile durch die serielle HBO-TV-Produktion verändert, die die Erzählung abgeschlossen hat, bevor die beiden letzten Bände des Epos, The Winds Of Winter und A Dream Of Spring, auf die die Fangemeinde weiter warten muss, in Druck gegangen sind.
Donnerstag, 5. Januar 2023
Die Konstruktion sekundärer Welten
. . . looks like science fiction,
has the tastes of science fiction
– it IS science fiction!
Margaret Atwood, Other Worlds, 2010
Wenn etwas nach Fantasy aussieht und auch noch die charakteristische Gestalt besitzt, dann IST es Fantasy. Margaret Atwoods bestechend einfache Bemerkung bringt ein ganzes literarisches Genre auf den Punkt und überlässt die Bewertung der Imaginationsfähigkeit dem Rezipienten. Schon Fritz Leiber hat in seinem phantastischen Werk vorgeführt, dass der von Kritikern und Publizisten geführte Genre-Krieg bedeutungslos ist, indem er die drei Genre des Phantastischen, Science Fiction, Horror und Fantasy, virtuos miteinander kombinierte, sie überlagerte und zu einem Genre des Phantastischen verwob. Ohne sich von den aktuellen Genre-Mix verwirren zu lassen, bringt Margaret Atwood die seit Jahrzehnten geführte Diskussion auf einen überraschend einfachen Punkt: But surely all draw from the same deep well; those imagined other worlds located somewhere apart from our everyday one: in another time, in another dimension, through a doorway into a spirit world, or on the other side of the threshold that divides the known from the unkown. Science fiction, Speculative Fiction, Sword and Socery Fantasy, and Slipstreem Fiction; all of them might be placed under the same large „wonder tale“ umbrella.1
Mittwoch, 4. Januar 2023
Zeitreise, Blutmagie, Gestaltwandel
Literartur gibt der Philosphie einen Körper, der sie lebendig werden lässt.
J. Leonore Wright
The Anubis Gates – ein Klassiker des Steampunk
Flüchtig betrachtet, scheint es sich bei Tim Powers The Anubis Gates um eine Zeitreise-Erzählung zu handeln. Dem aufmerksamen Leser fällt aber schnell auf, dass er es nicht mit echter Science Fiction zu tun hat, wie das Zeitreise-Thema vermuten lässt. Besonders das Motiv des Portals, das Übergänge in Parallelwelten ermöglicht, ist eines der bevorzugten Motive der Fantasy-Literatur. Nun ist das viktorianische London nicht gerade eine Parallelwelt, dennoch spielt es in Tim Powers Erzählung diese Rolle.
The Anubis Gates ist ein Roman, der die Grenze zwischen historischer Fantasy und Religion überbrückt. Und ganz besonders kündet dieses Buch von der Komplexität und Vielfalt, die dieser Steampunk-Klassiker zwischen historischer Fantasy und historischer Überlieferung herstellt.
Eine kommentierte Synopsis
Dienstag, 3. Januar 2023
Omenvögel und Psychic Birds - Teil Eins
Phantasie ist alles.
Sie ist die Vorschau auf die
kommenden Ereigisse des Lebens.
Albert Einstein
Gegenstand dieser Studie1 sind einige Vögel und deren Bedeutung für die Interaktion des Menschen mit der Umgebung, in der er lebt, die in Texten moderner Fantasy-Literatur eine besondere Bedeutung für die Erzählung besitzen. Entweder erfüllen sie eine bestimmte Funktion für den jeweiligen Plot oder sie gehen eine besonders intime Beziehung zu einer der Hauptfiguren ein. Bei der Durchsicht einiger Texte fallen zwei verschiedene Topoi auf:
- Vögel überbringen Botschaften, sind vorausschauend und formulieren Prophezeiungen, die für die Protagonisten der Erzählung, die sich an einem Scheideweg befinden, meist von zentraler Bedeutung sind;
- Vögel agieren als externalisierte, psychische Fähigkeiten des Protagonisten, repräsentieren ausgelagerte Ich-Funktionen, und bedienen sich innerpsychischer Prozesse als Medium ihrer Warnungen, Botschaften oder Prophezeiungen.
Night of Knives - A Novel of the Malazian Empire
Wer Steven Eriksons Serie des Malazian Book of the Fallen gelesen hat, erkennt das Setting wieder, wundert sich aber über die ganz andere Atmosphäre von Ian Cameron Esslemonts Version des malazanischen Empire. Als der Roman Die Gärten des Mondes [1] 1999 veröffentlicht wurde, war die Idee für den Entwurf des Imperiums von Malaz bereits siebzehn Jahre alt. Aus der Taufe gehoben wurde die Geschichte dieser fiktiven Welt als A Tale of the Malazian Book of the Fallen bereits 1982 als Gemeinschaftsarbeit von zwei kanadischen Autoren: Steven Erikson [2] und Ian Cameron Esslemont. [3] Gemeinsam arbeiten sie seitdem an der Realisierung dieser huge imaginary world, [4] die ihnen zu umfangreich erschien, um von einem Autor in einem Leben bewältigt zu werden. Den ersten Roman seiner Malaz-Serie, Die Gärten des Mondes, widmete Steven Erikson seinem Freund und Mit-Autor mit den Worten: Welten zu erobern, Welten zu teilen. [5] Als dann 2005 Esslemonts erster Malaz-Roman, Night of Knives erschien, [6] sechs Jahre nach der Veröffentlichung von Eriksons Garden of the Moon, schreibt dieser seinem Freund in die Einführung zu dessen Roman: